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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

sich in Paris billige Möbel verschaffen will, holt sich gewöhnlich aus dem Hôtel des Ventes seinen Bedarf. Angehende Aerzte, Advocaten, junge Beamte und viele andere Leute, deren Besitzthümer im Reiche der Hoffnung liegen, kaufen dort die Sieben Sachen, um die Blößen ihrer Wohnung zu bedecken. Wer in einen solchen Saal tritt und die Spiegel und Teppiche, die Divans und Sessel, die Wanduhren, Lampen und Candelaber erblickt, der wird zu gar mancher Betrachtung veranlaßt. Könnten diese Geräthe sprechen, welche Geschichte würden wir hören! In Paris erleiden Menschen und Dinge die merkwürdigste Schicksale, und kein Poet verräth hier so viel Phantasie wie das wirkliche Leben. Gar viele der Geräthe, welche hier so kunterbunt durch einander stehen und liegen, haben bereits den verschiedensten Besitzern angehört; und wer kann sagen, wie oft sie noch die Eigenthümer wechseln werden? Vielleicht, daß derjenige, der diesen prachtvollen Lehnstuhl zuerst besessen, in irgend einem abgelegenen Winkel von Paris auf einem Strohlager gestorben; vielleicht, daß die Dame, die in diesem venetianischem Spiegel einst ihre Reize bewunderte, jetzt in einer Pariser Vorstadt welkes Gemüse oder faule Fische feil bietet! – Es passirt auch häufig genug, daß ein Besucher des Auctionshôtels unter den dort aufgehäuften Gegenständen alte Bekannte wiederfindet, Möbelstücke, die er in der Stunde der Noth losgeschlagen, oder die ihm ein unerbittlicher Executor entrissen.

Doch lassen wir diese Betrachtungen und treten wir in einen der Säle, wo Kunstgegenstände versteigert werden. Wie die Waare, so ist auch hier das Publicum viel interessanter. Alles, was Paris an wirklichen und eingebildeten Kunstkennern und Kunstfreunden besitzt, ist hier vertreten. Hier findet man auch die Leute, die von der Sammelwuth ergriffen sind. Die Leidenschaft der Einen besteht darin, eine reiche Sammlung von Dolchen zu besttzen; Andere sammeln Tabaksdosen; wieder Andere schwärmen für chinesische Theetassen. Ich kenne einen sonst vernünftigen Mann, der eine Sammlung von Fetischen besttzt und seit einem Menschenalter täglich das Hôtel Drouot und alle Pariser Trödler besucht, um irgend eine fratzenhafte Gottheit zu entdecken und damit seine Sammlung zu bereichern. Seine Wohnung ist ein wahres Pandämonium. Die dem Menschen angeborene Liebe zum Besitz äußert sich auf unzählige Weise und wird nicht selten zu der sonderbarsten Manie. Jeder wahre Sammler hält natürlich seine Collection für die schönste. Er liebt dieselbe mit einem wahren Fanatismus und grollt Jedem, der diesen Fanatismus nicht theilt. Vor mehreren Jahren machte ich die Bekanntschaft eines Spaniers. Er wohnte in meinem Hause und ich begegnete ihm fast täglich auf der Treppe. Man kann sich keine possirlichere Gestalt denken. Er war spindeldürr, hatte eine lange spitze Nase, die fast das Kinn berührte, und unter seinen struppigen Brauen blitzten die kleinen grauen stechenden Augen unheimlich hervor. Sein Anzug war noch sonderbarer als seine Gestalt. Er war stets in einen verschossenen Teppich gehüllt und trug einen breitkrämpigen spitzen Hut, der wer weiß wie viel Geschlechter hatte entstehen und vergehen sehen. Niemand wußte zu sagen, wo er speiste. Er holte sich jeden Morgen eine Schale Milch und ein Weißbrod, und man behauptete, daß dies seine einzige Nahrung bildete. Von den Hausleuten wurde er „l’adorateur de Venus“, der Anbeter der Venus, genannt und auf meine Frage nach der Ursache dieses Spitznamens wurde mir geantwortet, daß der Spanier ein Sammler von antiken Kunstwerken sei und unter diesen eine Venus besitze, welcher er die größte Bewunderung zolle. Man bemerkte mir zugleich, daß der sonderbare Kauz, der sich nicht satt esse, sehr reich sei, aber sein ganzes Vermögen in seine Sammlung stecke.

Kurz darauf, als ich im Louvre bewundernd vor der Venus von Milo stand, kam er auf mich zu, und indem er sein Vergnügen ausdrückte, einen Kunstfreund in mir kennen zu lernen, bat er mich, am folgenden Morgen seine Sammlung zu sehen. Er wartete meinen Besuch nicht ab, sondern fand sich am andern Morgen bei mir ein. Ich folgte ihm in seine Wohnung, die einer Rumpelkammer glich. Unzählige Fragmente in Bronze und Marmor lagen rings umher gestreut oder aufgehäuft. In der offenen Alkove bemerkte ich eine Matratze auf dem Boden. Sie bildete die Schlafstätte des sonderbare Mannes. Da er nie die Fenster öffnete, so war die Luft so drückend, daß sie mir fast den Athem benahm. Ein kleiner gichtbrüchiger Tisch und ein Rohrstuhl, an dem das Rohr in Fetzen herumhing, bildeten das ganze Mobiliar. Dieser Stuhl stand in der Mitte des Zimmers vor der mit einem durchlöcherten rothseidenen Unterrock halbumhüllten Göttin der Schönheit. Der Spanier bat mich, auf besagten Stuhl mich zu setzen, und nachdem ich dies mit aller Vorsicht gethan, nahm er die seidene Umhüllung von der Statue. Dieselbe war in der That ein schönes Werk, dem ich die gebührende Bewunderung zollte. Der Spanier fand jedoch die Temperatur meiner Bewunderung nicht hoch genug. Er überreichte mir daher eine Loupe und indem er mich auf die Einzelnheiten des Kunstwerkes aufmerksam machte, suchte er mir zu beweisen, daß es nicht seines Gleichen habe. Er zählte mir dabei alle Venusse auf, die aus den classischen Werkstätten Griechelands hervorgegangen und nun in den Museen und Sammlungen in mehr oder minder fragmentarischem Zustande zerstreut sind, warf noch einige sehnsüchtige Blicke auf seine Venus und bedeckte dieselbe wieder mit dem durchlöcherten rothseidenen Unterrock.

Ich sah ihn noch mehrere Male nach diesem Besuche. Eines Morgens, als er nicht wie gewöhnlich seine Ration Milch und Brod holte, wurde die Hausmeisterin stutzig. Man klopfte an seine Thür. Keine Antwort! Als man das Zimmer öffnete, fand man den Spanier entseelt vor der Venus neben dem umgestürzten Rohrstuhle zu Boden gestreckt. Der Arzt erklärte, daß der Unglückliche sich durch unzulängliche Nahrung den Tod zugezogen. –

Kommen wir wieder zu den Versteigerungen zurück. Es fehlt bei denselben niemals an Leuten, die sich in der bloßen Absicht einstellen, die Preise in die Höhe zu schrauben. Diese Scheinkäufer nent man „Chauffeurs“ (Heizer). Diese Chauffeurs sind bei den Versteigerungen ungefähr, was die Claqueurs in den Pariser Theatern sind. Wenn z. B. ein schönes Gemälde unter den Hammer kommt, betrachtet der Chauffeur dasselbe so lange wie möglich und scheint seine Bewunderung nicht unterdrücken zu können. Er bietet mit großem Eifer, der im Verhältniß zum Gebote der Anderen wächst, und wenn das Feuer der Kauflust am hellsten flackert, d. h. wenn er sieht, daß der Preis am höchsten emporgeschraubt, zieht er sich mit traurigem Kopfschütteln zurück und überläßt das Feld dem Gegner, der nicht selten seinen Sieg bereut. Es versteht sich von selbst, daß ein solcher „Heizer“ seine Absicht nicht verräth, und ebenso leicht wird man begreifen, daß er nicht immer seinen Zweck erreicht. Das Publicum des Hôtel des Ventes besteht aus schlauen, durchtriebenen Leuten, die sich nicht blenden und berücken lassen. Indessen giebt es doch dann und wann Einige, die in die Falle gehen. Es sind dies besonders die eingebildeten Kunstkenner, die sich die Miene geben, als ob sie an einem einzigen Pinselstrich einen Meister von dem anderen unterscheiden können. Hier, wie sonst im Leben, werden gewöhnlich diejenigen am ersten angeführt, die sich durch ihre Klugheit gegen jeden Irrthum gerüstet glauben.

Wie vorsichtig man im Hôtel des Ventes sein muß, mag folgender Fall beweisen. Einer meiner Landsleute saß einst bei einer Gemälde-Versteigerung mit dem Katalog in der Hand an dem langen Tisch, der sich vor der Tribüne des Commissaire Priseur befindet, als eine hinter ihm stehende schöne Dame mit einem sehr aristokratischen Aeußern ihn leise auf Französisch fragt, ob er Englisch verstehe? Auf seine bejahende Antwort bittet ihn die Dame in englischer Sprache, auf das Bild zu bieten, das so eben unter den Hammer kommt. Ein wahrer Gentleman, erklärt sich mein Landsmann sogleich bereit, ihren Wunsch zu erfüllen. Bald findet er sich im Kampfe mit einer Unzahl Kauflustiger, und nach einigen Minuten hat er, den Einflüsterungen der unbekannten Schönen gehorchend, sämmtliche Mitbewerber überboten. Jetzt erst fällt es ihm ein, daß er sich von seiner Galanterie zu schnell habe hinreißen lassen, daß die Dame, die er nicht kannte, vielleicht die Eigenthümerin des Bildes sei und er sich als unfreiwilliger Besitzer desselben sehen könne. Seine Artigkeit geräth in Streit mit seiner Befürchtung und er zögert, den Kampf mit den zahlreichen Kauflustigen fortzusetzen. Die verstohlenen Blicke der reizenden Dame werden aber immer unwiderstehlicher, und wie von einem holden Zauber getrieben, bietet er immer darauf los, bis ihm endlich das Bild - eine Landschaft mit Trauerweiden und einem Ententeich - zu einem lächerlich hohen Preise zugeschlagen wird. Er sieht sich nach der Dame um, diese aber war wie ein mitternächtlicher Geist bereits verschwunden. Der Geprellte schämt sich zu sagen, daß er das Opfer einer Intrigue ist.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_111.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)