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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Frühstücken wir lieber erst, dann haben wir nachher desto längere Zeit zum Umherstreifen.“

„Wir kommen doch ihrer Frau Mutter nicht ungelegen?“

„Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Es sind heute über dreihundert Menschen dort auf dem Schlosse satt zu machen, und da wird denn doch wohl auch etwas für uns abfallen.“

Unser Freund hatte Recht. Trotz der dreihundert durstigen Kehlen und hungrigen Magen fanden wir ein vortreffliches Frühstück auf dem Schlosse, und was noch mehr werth war, eine warme und freundliche Aufnahme von den Eltern unseres Freundes.

Der Vater unseres Freundes, der alte Herr Mondon, war eben vom Felde zurückgekommen und glühte wie eine dunkele Rose.

„Harte Arbeit das, in diesem Jahre!“ sagte er. „Aber ich bin stolz darauf, daß ich mich mit solchen Ehren aus einer Stellung zurückziehen kann, welche meine Familie mehr als ein halbes Jahrhundert getreulich verwaltet hat. – Frisch auf, meine Herren!“ fuhr er fort, auf die dastehende Flasche deutend, „schenken Sie sich brav ein, das ist 1859er meines eigenen Gewächses, dessen Veredelung ich fortan meine paar Lebensjahre ausschließlich weihen werde. Heute Abend trinken wir noch zusammen ein Fläschchen vom König der Weine, kommen Sie, damit Sie es selbst aus dem Keller herauf holen können.“

Wir folgten nach beendetem Frühstück unserem wackeren Wirth über den Hof und stiegen, jeder mit einer Leuchte ausgerüstet, in die geräumigen, aus vier aneinanderstoßenden Gewölben bestehenden Kellereien des Schlosses herab.

„In diesen Räumen,“ begann der alte Mann, die düsteren Wände beleuchtend, von denen hie und da die Nässe herabtropfte, während sie theilweise dem Blicke durch die davor aufgespeicherten Fässer und Flaschen entzogen wurden, „haben Reichthümer gelagert, für deren Gesammtwerth ein Königreich feil sein würde.“

„So steht der Ruf des Weines von Lafite schon seit langer Zeit fest?“

„Allerdings, wenngleich seine Berühmtheit erst aus einer späteren Periode datirt, als diejenige mancher anderer Gewächse unseres Weinlandes.“

„Bitte, erzählen Sie uns, was Sie über die Geschichte des Schlosses und seines Gewächses wissen.“

„Sehr gern, doch lassen Sie uns erst diese Flasche 1858er für unsere Abendtafel bereit stellen. Wie Sie sehen, werden die Flaschenweine im Keller in horizontaler Lage aufbewahrt und müssen, bevor sie in Angriff genommen werden, mindestens ein paar Stunden aufrecht stehen, damit der Satz zu Boden fällt und sich beim Einschenken nicht mit dem Wein vermischt, was demselben einen Theil seines Bouquets rauben und auch den Geschmack wesentlich beeinträchtigen würde.“

„Führen alle Bordeaux-Weine Satz mit sich?“

„Fast immer mehr oder minder, besonders die älteren Flaschenweine. Dieser Satz, welcher sich aus kleinen, unlösbaren Körpertheilchen bildet, ist indessen weit entfernt davon, schädlich oder ein schlechtes Zeichen für die Güte des Weins zu sein, wie manche Leute zu glauben geneigt sind; er ist im Gegentheil gewissermaßen ein Beweis der Echtheit des Ursprunges, da er nur den Bordeaux-Weinen eigenthümlich ist. Die vorerwähnten Nachtheile vermeidet man dadurch, daß man den Satz von der Flüssigkeit zu scheiden sucht und beim Eingießen in die Gläser möglichst behutsam verfährt.“

Die merkwürdige Sammlung alter Flaschenweine, wie wir sie noch in den Kellereien lagern sahen, die einzige, welche vielleicht auf der ganzen Erde existirte, ist, um dies gleich hier einzuschalten, leider dem Untergange geweiht worden. Bei dem Verkauf des hochberühmten Weinschlosses „Château Lafite“, welches, wie gemeldet, dem Baron James von Rothschild in öffentlicher Auction für vier Millionen einhundertvierzigtausend Franken zugeschlagen wurde, hatten sich die Erben (die Familie des früheren Ministers Duchâtel) das Recht vorbehalten, die in den Kellereien des Schlosses noch vorhandenen Bestände von Weinen, sowie das Mobiliar des Schlosses für ihre Rechnung verkaufen zu dürfen. Am 26. October vorigen Jahres fand darum auf dem Schlosse selbst die Auction dieser Weine statt, welche als ein Curiosum erster Größe bezeichnet zu werden verdient. Das ganze Sortiment bestand aus 5252 Flaschen in den Jahrgängen 1797 bis 1864. Hiervon wurden u. A. bezahlt – die Feder sträubt sich die Thatsache niederzuschreiben: 21 Flaschen des Jahrgangs 1811 (des Jahres des großen Kometen) zu je 121 Franken, schreibe: „hunderteinundzwanzig Franken“ oder zweiunddreißig Thaler acht Silbergroschen die Flasche! Der glückliche Käufer ist Herr Grémailly, der Besitzer des Hotels Des Princes et de la Paix in Bordeaux.

Von den übrigen Weinen gingen einige Flaschen 1823er zu sechszig Franken, eine größere Quantität 1848er zu fünfundsechszig und mehrere Flaschen 1834er zu siebenzig Franken die Flasche weg. Ein Oxhoft des berühmten Kometen-Weines von 1811 würde, zu dem obigen Preise von 121 Franken, mithin 34,925 Franken kosten, das Stückfaß von vier Oxhoften aber 139,700 Franken! Der erzielte Durchschnittspreis überschreitet zwanzig Franken für eine Flasche Wein, der Gesammterlös der Auction aber betrug gegen 127,000 Franken. –

Wir schlugen jetzt den Weg nach dem hinter dem Schlosse gelegenen Gehölz ein, wo im Gegensatze zu der Mittagshitze eine recht angenehme Kühle unter den schattigen Eichenbäumen herrschte.

„Ich wollte Ihnen Einiges über unser Schloß erzählen,“ begann der alte Mondon, als wir uns auf einer weichen Moosbank niedergelassen hatten. – „Wohl! Das Schloß verdankt seinen Namen seiner Lage auf einer Anhöhe, das heißt sein Name rührt von dem nicht mehr gebräuchlichem Worte ‚la hite‘ her, was so viel wie Hügel bedeutet. Lafite ist schon um das Jahr 1355 in alten Annalen als Herrensitz erwähnt, und der Name seiner Besitzer spielt in der Geschichte der Guyenne, namentlich während der Periode der Occupation des Landes durch die Engländer, eine ziemliche Rolle. Einigermaßen befremdend ist es daher, daß sein Wein von den englischen Königen, welche in dieser Beziehung feine Zungen hatten, unbeachtet blieb und erst bedeutend später zur Geltung gelangte, um dann aber freilich seinen Ruf um so glänzender zu behaupten. Erwähnt ist er in der Geschichte zuerst im Jahre 1641, also am Ende der Regierung Ludwig des Dreizehnten, zu welcher Zeit er den Preis von sechszig bis hundert Franken für das Faß von vier Oxhoften erzielte. Mehr geschätzt wurde der Wein schon gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, nachdem sich ein regelmäßiger Verkehr Bordeaux’s mit dem Auslande gebildet hatte. Seit 1745 war der Wein von Lafite überall geschätzt und wurde schon mit 1500, selbst 1800 Franken bezahlt. Seine wirkliche Berühmtheit verdankt er indessen hauptsächlich dem Marschall von Richelieu, welchem während seines Aufenthaltes in Bordeaux als Gouverneur der Guyenne von seinem Arzte der Château Lafite als angenehmes, tonisches Heilmittel verschrieben wurde. Der Wein soll denn auch so große Wunder an dem Marschall ausgeübt haben, daß nach seiner Rückkehr nach Paris König Ludwig der Fünfzehnte seine Verwunderung über das frische Aussehen des Marschalls offen aussprach. Richelieu gab dem Könige nicht allein die Quelle an, aus welcher er Heilung geschöpft hatte, sondern beschenkte ihn auch gleichzeitig mit mehreren Flaschen des Göttertrankes, welcher nunmehr Modeartikel wurde, da er bei den Favoritinnen des Königs, der Pompadour und später der Du Barry, große Gnade fand. – Trotz der Revolution stieg der Wein im Jahre 1790 auf den hohen Preis von 2200 Franken für das Stückfaß, welcher seitdem, von Mißernten abgesehen, in stetem Wachsen geblieben ist. Im Jahre 1792 erklärte der Convent Château Lafite zum Nationaleigenthum. Bald darauf wurde die Besitzung durch eine holländische Gesellschaft erworben und gelangte dann in die Hände des Herrn Van der Berghe, des bedeutenden Lieferanten des ersten Kaiserreichs. Nach dessen Tode verwaltete es nachmals eine Reihe von Jahren hindurch der Londoner Bankier Sir Samuel Scott als Fideicommissar der Erben, um es diesen, der Familie des früheren Ministers Duchâtel, zu sichern, bis es die letztere endlich vor Kurzem selbst in Besitz nehmen konnte.“

(Schluß folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_071.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2022)