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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


das Land. Jetzt war das Weinlaub dunkel gefärbt, sonnenverbrannt und hart am Wege seine Farbe sogar durch den dick darauf liegenden, feinen Staub beinahe unkenntlich gemacht. Unter dem Blätterdache aber, dicht über dem steinigen Boden lugten die schwarzen, saftschweren Trauben hervor, in deren Beeren es geheimnißvoll kochte und gährte, als wollten die darin eingesperrten Kobolde die leichten Wände ihres Gefängnisses zersprengen. Die sonst wenig belebte Landstraße zeigte trotz des Sonntages ein reges Bild. In den unabsehbaren Weinfeldern zu beiden Seiten des Weges waren die Winzer in einzelnen Gruppen bei der Lese beschäftigt, und verschiedene mit Ochsen bespannte Wagen, welche mit geschnittenen Trauben beladen langsam daherkamen, zeigten an, daß ihr Tagewerk mindestens mit dem der lieben Sonne zugleich begonnen haben müsse.

Hier und da eine Traube prüfend, welche hart am Wege stand, oder einen Augenblick verweilend und dem Werke der Winzer zuschauend, schritten wir gemächlich weiter, bis wir auf eine Anhöhe gelangt waren, von welcher wir das liebe Château Lafite in seiner bescheidenen Anmuth, umrahmt von dem Dunkel seines Parks, in geringer Entfernung vor uns liegen sahen.

„Guten Morgen, meine Herren, herzlich willkommen!“ rief uns plötzlich eine frische jugendliche Stimme entgegen. Es war der Freund, dem wir unsern Besuch zugedacht hatten und der uns soweit entgegengegangen war, Jules, der Sohn des Inspectors von Château Lafite. „Nochmals schönstens willkommen!“ wiederholte er, uns die Hände schüttelnd. „Wenn Sie noch etwas von der Weinlese sehen wollen, so hätten Sie kaum einen günstigeren Zeitpunkt treffen können, abgesehen davon, daß Sie mir durch ihre Anwesenheit ein wirkliches Vergnügen bereiten. Mein Vater ist drüben auf den Grundstücken des Schlosses beschäftigt, ich führe hier auf unserem eigenen Gute die Oberaufsicht. Kommen Sie jetzt mit mir in’s Haus, erfrischen Sie sich und schütteln Sie den Staub von den Kleidern, wir wollen nachher sofort eine kleine Runde bis zum Frühstück machen.“

Wir leisteten der freundlichen Einladung willfährig Folge und begannen unsere Wanderung wieder, nachdem wir im kühlen Zimmer unseres Freundes ein halbes Stündchen in gemächlichem Geplauder zugebracht hatten.

„Lassen Sie uns zuerst hier eintreten,“ sagte Jules, als wir uns einem der zum Gute gehörigen Wirtschaftsgebäude näherten, „und sehen, wie der edle Wein aus den Trauben bereitet wird.“

Wir traten in einen ziemlich großen Raum ein, welcher fast ganz durch vielleicht ein Dutzend großer hölzerner Bottiche ausgefüllt wurde, die auf starken Untergestellen ruhten. In einem Theile des Raumes befand sich eine Art Tenne, aus starken Hölzern gezimmert, und etwa zwei Fuß über dem Erdboden angebracht. Verschiedene Arbeiter waren damit beschäftigt, die von einem Fuhrwerke herangebrachten Behälter mit geschnittenen Trauben auf diese Tenne zu entleeren; die etwas erhabenen Ränder der letzteren sorgten dafür, daß von dem ausströmenden Safte nichts verloren ging, sondern derselbe gezwungen wurde, sich durch die dazu bestimmte Rinne seinen Abfluß nach dem Bottiche zu suchen, welcher vor der Tenne in Bereitschaft stand.

„Sie sehen dort jenes flache Drahtsieb?“ begann unser Freund seine Erläuterung. „Wohl, auf jenes Sieb, welches wir Délâpoir oder Egrappoir nennen, werden die Trauben geschüttet und die Beeren durch fortgesetztes Reiben mit den Händen von den Stielen befreit, die im Siebe zurückbleiben. Die auf die Tenne fallenden Beeren werden in jene Kufen geschaufelt und es bleibt nun der Natur überlassen, den Saft aus den Häuten zu gähren. Ist der Gährungsproceß vorüber und der Most hinlänglich geklärt, was bald längere, bald kürzere Zeit dauert, so wird er auf Fässer gebracht und empfängt nun die gehörige Behandlung, welche in fortgesetztem Klären, Wechseln der Fässer und Auffüllen derselben besteht.

Der so gewonnene Wein giebt die erste, bessere Sorte und erzielt den höheren Preis. Damit die Beeren- und Saftrückstände, welche in ziemlich reichem Maße an den Stielen und in den Häuten haften geblieben sind, nun aber nicht verloren gehen, nimmt man die letzteren und bringt sie unter die Presse, um daraus die zweite, geringere Sorte, oder vin de presse, auch vin de queue genannt, zu gewinnen.“

„Entschuldigen Sie,“ unterbrach ich Jules, „ich habe bisher immer geglaubt, daß der Wein durch Treten der Trauben mit den Füßen bereitet würde.“

„In der That war dies früher das allgemeine Verfahren,“ erwiderte unser Begleiter, „doch hat sich die neue Methode, der Natur die Hauptsache zu überlassen, bereits immer mehr und mehr Bahn gebrochen, wenngleich verschiedene Winzer noch immer halsstarrig bei der alten verharren, so daß Sie noch heute, wenn Sie wollen, manches lustige Völklein nach dem Klange der Fiedel auf der mit Trauben bedeckten Tenne umhertanzen sehen können. Auf jeden Fall scheint mir die neuere Art der Weingewinnung, die auch wir adoptirt haben, mit keinen Nachtheilen gegen die frühere verbunden zu sein.“

„Sicherlich,“ bemerkte Adolph, einer meiner Reisegenossen, auf die nicht sehr sauberen Füße eines Arbeiters weisend, „hat die neue Methode den Vortheil voraus, daß sie bedeutend appetitlicher ist.“

„Allerdings,“ erwiderte Jules lächelnd; „doch hören Sie, wie es in den Kufen hier rumort. Der heurige Wein“ – er sprach von einem der letzten Jahrgänge – „hat ungewöhnliches Feuer in sich, die Gährung beginnt so zu sagen schon auf dem Felde, und wenn so ein Weinchen behandelt wird, wie es sich gehört, so giebt’s einen wahren Göttertrank. Jedenfalls ist das heurige Jahr ein großes Weinjahr, und vollauf giebt es auch davon, den jede dieser Kufen hier enthält ihre zwanzig bis dreißig Oxhofte; ich fürchte, der Raum wird uns knapp werden, um den Gast gebührend zu logiren. – Jetzt kommen Sie aber mit zum Chai“ (allgemeine Bezeichnung in Bordeaux für Lagerräume, von Weinen namentlich) „und lassen Sie uns ein paar ältere Faßweine probiren; vor dem Frühstück ist der geeignetste Zeitpunkt dazu.“ Jeder von uns nahm ein angezündetes, an einem etwa zwei Fuß langen Stabe befestigtes Talglicht in die Hand und in feierlicher Procession begaben wir uns nach den gegen das Eindringen der Sonnenstrahlen und der Wärme wohlverwahrten Lagerräumen der Faßweine. Verschiedene Oxhofte wurden angebohrt und mußten uns von ihrem Blute spenden.

„Haben Sie keine älteren Jahrgänge als den 1862er hier?“ fragte Adolph, sein Glas gegen das Licht haltend, daß es darin zu funkeln begann wie eitel Gold und Rubinen.

„Gefällt Ihnen der Wein nicht?“

„O, im Gegentheil! Sein Bouquet ist herrlich. Ein Veilchenstrauß, gemischt mit Mandelblüthe, duftet nicht schöner, und die Kehle gleitet der edle Saft hinab, als wäre er das reinste Oel; indeß probirte ich gern einmal ein älteres Gewächs.“

„Diese 1862er,“ erwiderte Jules, „sind unsere ältesten Faßweine, alle vorhergehenden Jahrgänge befinden sich bereits auf der Flasche. Man befolgt nämlich hinsichtlich der Behandlung der Bordeauxweine schon seit Jahren eine den früheren Principien widersprechende Methode. Anstatt den Wein wie früher auf dem Fasse altern zu lassen, wo er nach und nach einen Theil seiner guten Eigenschaften verliert, sperrt man ihn in die Flasche ein, sowie er auf der höchsten Stufe seiner jugendlichen Entwickelung steht, was, je nach Umständen, im vierten bis sechsten Jahre der Fall ist. Der Bursche ist dann wohl noch eine Zeit lang unbändig und wird in seinem eigenen Gefängniß sogar auf Monate lang förmlich krank, d. h. er verliert scheinbar seine guten Eigenschaften, um sie später, wenn sein Trotz gebändigt ist, in einem desto helleren Lichte leuchten zu lassen. Das Alter in der Flasche ist es, was unseren Weinen die rechte Würze giebt, doch ist dabei zu bedenken, daß selbst in der wohlverschlossenen Flasche der Wein am Ende stumpf wird, wie ein hochbetagter Greis, und wenn ich mittheile, daß sich auf dem Château Lafite eine Sammlung von Flaschenweinen sämmtlicher Jahrgänge seit dem Jahre 1797 befindet, nebenbei die einzige Sammlung dieser Art in Frankreich, so müssen Sie die Sache mehr als ein Curiosum ansehen, als den überalten Weinen besonderen Wohlgeschmack und Güte zumuthen.“

Wir verließen den Chai und lenkten unsere Schritte den nahen Weinfeldern zu.

„Lassen Sie uns nur lieber wieder umkehren,“ sagte Jules, stehenbleibend und einen Blick auf seine Uhr werfend, „es ist

schon ziemlich spät, und die Weinlese läuft uns nicht davon.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_070.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)