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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Hättest Du über ein seidenes Kleid in Deiner Garderobe zu verfügen, dann wollte ich drauf schwören, Du machtest Dir das lächerliche Vergnügen, im alten Waldhaus als Salondame zu paradiren. … Was hast Du für ein Kleid an?“

„Mein altes, braunes Wollenkleid, Mama.“

Das Examen war zu Ende. Jutta athmete erleichtert auf; sie klirrte beim Theetrinken mehr als nöthig mit der Tasse, im Uebrigen aber hielt sie sich plötzlich steif und unbeweglich, wie ein Wachsbild.

Die Kranke genoß so viel wie nichts. Ein dünnes Schnittchen des feinen Brodes, das Sievert um ihretwillen aus Schloß Arnsberg geholt hatte, zerbröckelte zwischen ihren Fingern, kaum einige Krumen kamen über ihre Lippen – sie war offenbar dem letzten Stadium ihrer Krankheit sehr nahe.

„Du könntest mir etwas vorlesen, Jutta, wenn Du mit Deinem Abendbrod fertig bist,“ sagte sie. „Der Sturm heult zu unheimlich!“

„Gern, Mama. Ich will die Sappho von Grillparzer holen – Theobald hat sie mir gestern mitgebracht.“

Ein nervöses Aufzucken durchflog die Glieder der blinden Frau. „Nein, nein!“ rief sie mit abwehrender Heftigkeit. „Weißt Du, was diese Sappho ist? Ein unglückliches, verrathenes Weib! … Ein Sturm der qualvollsten Seelenschmerzen geht durch dies Buch, schlimmer als der da draußen, und – ich will ihn ja doch vergessen!“

Die junge Dame erhob sich, um ein anderes Buch zu holen; dabei streifte sie unbewußt mit ihrem Kleid die herabhängende Rechte der Kranken – diese Hand erfaßte plötzlich die vorübergleitenden Rockfalten und hielt sie krampfhaft fest, während die Linke prüfend in fieberhafter Hast über den Stoff hinfuhr.

„Jutta, bist Du wahnsinnig?“ schrie sie auf.

Das junge Mädchen sank sofort neben dem Lehnstuhl nieder. „Ach Mama, verzeihe mir!“ flüsterte sie. Der Schreck hatte ihre Lippen schneeweiß gefärbt.

Leichtsinniges, liebloses Geschöpf Du!“ zürnte die Mutter und stieß die Hände zurück, die ihre Rechte erfaßten. „Hast Du auch nicht einen Funken von Scham und Scheu empfunden, als Du mein Heiligthum an Dich rissest? … Mein Brautkleid, das ich gehütet habe wie meinen Augapfel, als einzigen Zeugen einer himmlisch schönen Zeit – dies Kleid, von welchem Du weißt, daß es mit mir gehen soll, wenn ich endlich erlöst sein werde von meinen Leiden, schleifst Du zur Verhöhnung unserer ganzen armseligen Verhältnisse über die elenden Dielen des Waldhauses und führst damit eine Farce auf, wie sie sich lächerlicher und erbärmlicher nicht denken läßt?“

Jutta erhob sich rasch, mit einer zornigen Geberde. In diesem Moment verflüchtigte sich auch die letzte Spur der Dornröschen-Lieblichkeit bei dem jungen Mädchen. Der zürnenden Mutter den Rücken halb zugewendet, war sie Zoll für Zoll die geharnischte Opposition. Ein impertinenter Zug flog um die leichtvibrirenden Nasenflügel, und höhnisch lächelnd richtete sie ihre sprühenden Augen auf ein Damenportrait, das über dem Sopha hing. Es war eine jugendliche Mädchengestalt mit einem Mulattenköpfchen. Vollkommen unregelmäßig in feinen Linien und von entschieden bronzefarbenem Teint, fesselte dies kleine magere Gesicht unwiderstehlich durch den piquanten, geistreichen Ausdruck der Züge und durch ein tiefes, halbverschleiertes Augenpaar, in welchem die Leidenschaft verstohlen glimmte. Die zarten bräunlichen Schultern umfloß weiße Seidengaze, unter welcher schwerer Atlas schimmerte, und in den dicken, dunklen Haarflechten steckte ein Granatblüthenstrauß, den eine Brillantnadel festhielt.

Jutta's Blicke hingen an der eleganten Toilette des Bildes.

„Du thust, als hätte ich ein Criminalverbrechen begangen, Mama,“ sagte sie kalt. „Ich habe das Kleid nicht an mich gerissen, sondern mir nur erlaubt, es für einige Stunden zu leihen. Die paar Nähte, die ich verändern mußte, sind im Nu wieder aufgetrennt; im Uebrigen ist es unversehrt. … Theobald wollte uns heute Abend seinen Bruder vorstellen; es ist wohl sehr natürlich, daß ich dem netten Verwandten wenigstens einen anständigen Eindruck machen wollte. Mein braunes Wollenkleid ist lächerlich unmodern und hat Flicken, die sich nicht gut mehr verbergen lassen – Du erlaubst ja nie, daß Theobald mir dergleichen schenkt. … Mama, Du hast vergessen, daß Du auch einmal jung gewesen bist; oder vielmehr, Du kannst nicht begreifen, wie ich fühle und leide, denn Deine Jugend war ja so ganz anders! … Wenn ich dort Dein Bild ansehe und den weißen Atlas mit meiner brillantesten Toilette, eben dem kostbaren braunen Wollenkleide, vergleiche, dann frage ich: Warum bin ich ausgestoßen aus dem Paradiese, in dem Du, Mama, leben und glänzen durftest?“

Die Blinde stöhnte und schlug die Hände vor das Gesicht.

„Ich bin auch jung und von edlem Geschlecht!“ fuhr die Tochter unerbittlich fort. „Ich fühle auch den Beruf in mir, oben zu stehen und mit den Großen der Welt zu verkehren, und muß elend in einem dunklen Winkel verkümmern!“

War es Frau von Zweiflingen’s Absicht gewesen, ihr Kind, frei von Eitelkeit und Weltluft, für eine anspruchslose, bescheidene Lebensstellung zu erziehen, dann hatte sie unkluger Weise einen beredten Gegner außer Acht gelassen, der unausgesetzt und energisch ihren Bestrebungen entgegenwirkte – es war der Spiegel. Wenn auch die dürftige Talgkerze kaum ein halbes Dämmerlicht im Zimmer verbreitete, so daß nur das weiße Gesicht des jungen Mädchens, die bleichen Blumensterne in ihrem Haar und hie und da ein Streifen der hellen Seidenrobe aufleuchteten – das deckenhohe Glas warf doch eine Erscheinung zurück, die in ihrem stolzen Gesammtausdruck, in dem verführerischen Reiz ihrer tadellosen Formen durchaus nicht mit der einsam und harmlos verblühenden Waldanemone verglichen werden durfte.

„Von dem ganzen großen Familienvermögen ist nicht ein Groschen für mich verblieben,“ sprach Jutta beharrlich weiter, während die blinde Frau, das Gesicht in den Händen vergraben, bewegungslos schwieg. „Du sagst, Papa habe es durch Unglücksfälle und falsche Freunde verloren – gut, das ist nicht zu ändern; aber dann mußten von Deiner und Papa's Seite Schritte geschehen, mich wenigstens standesgemäß zu versorgen. … Vor einigen Tagen las ich, daß die Töchter verarmter Adelsfamilien meist als Hofdamen untergebracht werden – das hat mich sehr aufgeregt, Mama; ich muß fortwährend darüber nachdenken, weshalb Du mir den einzigen Weg zu einem glänzenden Leben verschlossen hast.“

„So – das wäre also Dein unumwundenes Glaubensbekenntniß, Jutta!“ sagte die Blinde tonlos; ihre Hände sanken langsam in den Schooß. Die leidenschaftlich hervorbrechende Heftigkeit der Frau war plötzlich wie erloschen, wie vernichtet unter einem ungeahnten moralischen Schlag. „Und ich habe gewähnt, das Blut durch die Erziehung bekämpfen zu können! Alle Eigenschaften unserer Kaste, da sind sie ja; die Genußsucht, der Hochmuth, der Trieb, es den Höchsten gleich zu thun – und reichen die eigenen Mittel nicht aus, nun so schraubt man den Stolz um so und so viel Grad nieder und mischt sich wenigstens unter den dienenden Troß, um sich von der Gnadensonne beglänzen zu lassen. … Ich wollte Dich nicht in jener Sphäre wissen, die Du, das Paradies’ nennst, hörst Du?“ fuhr sie heftiger fort, indem sie sich mit den Händen auf die Seitenlehnen des Stuhles stützte und so ihre halbgelähmte Gestalt hoher aufrichtete „eher würde ich Dich eigenhändig hier im alten Waldhause vermauern! … Das mag Dir vorläufig genügen. Später, wenn Du gereift und nicht mehr so kindisch unverständig sein wirft, und wenn ich nicht mehr bin, soll Theobald Dir meine Gründe sagen!“

Sie lehnte sich erschöpft zurück und ließ die Lider über die Augen sinken.


3.

Es war mit einem Mal still geworden im Zimmer. Jutta wagte kein Wort der Erwiderung mehr. In dem Blick, den sie auf die Kranke heftete, lag doch etwas wie Scheu, Furcht und ein plötzlicher Schrecken über die eigene Kühnheit. Sie ging einigemal auf und ab; die kleinen Füße glitten unhörbar über die ausgetretenen Dielen, als versänken sie im weichsten Teppich – nur das verhängnisvolle Seidenkleid knisterte und rauschte beim Hinstreifen über die Möbel. Draußen aber flog der Sturm im jähen Aufbrausen um die alten Thurmmauern. Die letzten Blätterreste der ächzenden Baumwipfel rasselten, im wilden Gemenge mit dem Flockenwirbel, gegen die Fensterscheiben, und droben in luftiger Höhe klatschten und knarrten die verwahrlosten Laden der Dachluken hülflos auf und zu.

In diesen allgemeinen Aufruhr mischte sich plötzlich der Ruf einer menschlichen Stimme.

Zur Sommerzeit lag das Waldhaus nicht so gänzlich vereinsamt,

als man hätte denken sollen. Der Fahrweg, den Sievert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_034.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)