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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 3.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Reichsgräfin Gisela.

Von E. Marlitt.

(Fortsetzung)

„Hm – der Student wird sich auf der Reise erkältet haben,“ erwiderte Sievert trocken, indem er nach der Thür schritt.

„Nun meinetwegen denn – aber ich sehe nicht ein, weshalb da nun auch der Hüttenmeister zu Hause bleibt. … Fürchtet er sich auch vor dem Schnupfen“ fragte die junge Dame.

„Sei nicht so kindisch, Jutta!“ schalt Frau von Zweiflingen ärgerlich. „Wie kannst Du verlangen, daß er den kranken Bruder allein lassen soll, den er seit zwei Jahren nicht gesehen hat, und ihn obendrein zum ersten Mal im eigenen Hause beherbergt!“

„O Mama, das entschuldigst Du auch?“ rief Jutta und schlug in unwilligem Erstaunen die Hände zusammen. „Würde es Dich nicht tief geschmerzt haben, wenn Papa Dich um Anderer willen hätte vernachlässigen wollen, und –“

„Schweig, Kind!“ gebot Frau von Zweiflingen so rauh und heftig, daß die Tochter erschrocken verstummte. Die Kranke lehnte den Kopf kraftlos an die Stuhllehne und legte die Hand über die lichtlosen Augen.

„Sei nicht böse, Mama,“ hob das junge Mädchen nach einer Pause wieder an; „aber in dem Punkte kann ich mich nicht ändern – eine solche Rücksichtslosigkeit von Seiten Theobald’s macht mich sehr unglücklich! Ich habe nun eben einmal meine hohen Ideale und weiß, daß alle Damen aus dem Hause der Zweiflingen zu allen Zeiten hochgefeiert gewesen sind. Lies nur unsere Hauschronik; da wirst Du finden, daß die edlen Herren in den Tod gegangen sind für die Dame ihres Herzens, und was waren ihnen Eltern und Geschwister, wenn es sich um das Wohl und die Freude der Geliebten handelte! Nun ja, das waren eben auch adelige Gesinnungen!“

„Du Thörin!“ zürnte die kranke Frau. „Ist dieser bodenlose Unsinn das ganze Resultat meiner Erziehung?“ Sie hielt inne, denn Sievert trat eben wieder in das Zimmer. In der einen Hand trug er ein Glas frisches Wasser und in der andern die mitgebrachte weiße Papierdüte, die er Jutta hinreichte. Sie schlug das Papier auseinander – auch nicht ein Zug des Gesichts veränderte sich beim Anblick der duftenden Liebesboten, die ihre unschuldigen Köpfchen furchtlos in die Winterzeit gewagt hatten, um die an Licht, Duft und Wärme verarmten Menschen erquickend zu trösten. Es ist reizend, wenn ein junges Mädchen die vom Geliebten gesandten Blumen leise und verstohlen an ihre Lippen drückt – diese Braut aber war wohl augenblicklich zu tief gekränkt; sie bog nicht einmal den Kopf nieder, um den süßen Duft einzuathmen; das Papier auf dem Tisch ausbreitend, warf sie das Bouquet auseinander und zog nur die Tazetten heraus. … Sievert stand noch da und hielt ihr das Glas hin; sie stieß es zurückweisend leicht mit der Hand weg.

„Ach, dazu sind sie nicht abgeschnitten,“ sagte sie verdrießlich.

„Ich kann die trübe Lache in den Gläsern nicht ausstehen!“ Sie trat an den Spiegel und steckte die Tazetten diademartig in ihre Locken, und zwar so anmuthig und ungezwungen, als seien die weißen Blumensterne auf das dunkle Haar geschneit. Die unglückliche Mutter war in diesem Moment doppelt bedauernswürdig, daß sie ihr unvergleichlich schönes Kind nicht sehen konnte, vielleicht hätte sie über der Erscheinung den ‚bodenlosen Unsinn‘ vergessen, den die in innerer Befriedigung jetzt lächelnden Lippen vorhin so herb ausgesprochen – ,sehr unglücklich' sah das Gesicht ganz gewiß nicht mehr aus.

Der alte Diener warf auch nicht einen Blick auf die geschmückte Gestalt vor dem Spiegel, aber ein böses Lächeln zog seine Mundwinkel herab, als er mit dem Glas zur Thür hinausging. Die Dichter besingen in zahllosen Variationen das vermuthliche Wonnegefühl der Blumen bei ihrem Verscheiden im Haar oder an der Brust eines schönen Mädchens – der rauhe Soldat aber fluchte innerlich, daß er ‚die armen Dinger‘ so sorgsam durch Schnee und Wetter getragen, damit sie nun ,elendiglich‘ hier umkommen sollten. Er brachte nach kurzer Zeit das Theewasser, Brod und Butter herein, und schob die kranke Frau im Lehnstuhl näher an den Tisch; dann zog er sich in seine im Erdgeschoß des nördlichen Thurmes gelegene Stube zurück. Da kam, wie allabendlich, seine Erholungszeit. Er heizte den Ofen tüchtig, stopfte sich eine Pfeife und las – astronomische Werke.

Jutta schlug die feinen Spitzenmanschetten am Handgelenk zurück. Sie strich Butterbrode und bereitete den Thee.

„Ich weiß nicht, mein Kind,“ sagte die Blinde, das Ohr aufmerksam nach ihrer Tochter hinneigend, „es rauscht heute bei jeder Deiner Bewegungen wie schwere, starre Seide –“

Die junge Dame erschrak sichtlich; ein glühendes Roth färbte für einen Augenblick Gesicht und Hals, und unwillkürlich rückte sie einen Schritt weiter aus dem Bereich der Mutter.

„Hast Du Deine schwarzseidene Schürze vorgebunden?“ forschte die blinde Frau weiter.

„Ja, Mama!“ Diese Antwort klang halberstickt, aber sie erfolgte sofort.

„Merkwürdig – das Geräusch ist mir nie so aufgefallen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_033.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)