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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Aus der Küche der Altvordern.

Auch die Mahlzeiten eines Volkes, die täglichen wie die außerordentlichen und festlichen, sind ein Stück von seiner Cultur, und zwar ein keineswegs unwesentliches oder uninteressantes. Die Wahl, Bereitung und Zusammenstellung der Speisen hängt von sehr mannigfachen Bedingungen ab: von der Herrschaft über die Natur, die ein Zeitalter oder ein Volk bereits gewonnen hat, von der Fähigkeit, ihre Producte angemessen zu verwerthen, ihre Productionskraft zu steigern und zu vervielfachen, von dem Reichthum der eigenen Erzeugnisse und der Möglichkeit, deren Ueberschuß gegen die anderer Länder einzutauschen; endlich von Allem, was auf die Beziehungen zu fremden Ländern und Welttheilen einwirkt, als den geographischen Entdeckungen, den Fortschritten der Schifffahrt und des Verkehrs überhaupt, von dem ganzen Zustande des Welthandels. Wie allbekannt, hat die Entdeckung Amerikas, die Auffindung des Seewegs nach Ostindien und die Verpflanzung ostindischer Colonialgewächse nach Amerika alle Lebensverhältnisse der alten Welt, am meisten aber die Ernährung umgestaltet: der tägliche Genuß so vieler dem Alterthum und Mittelalter unbekannten Nahrungsmittel wie der Kartoffel, des Mais, des Zuckers, Kaffees, Thees ec. ist ja in Folge jener Ereignisse Millionen von Europäern zum Lebensbedürfniß geworden.

Aber auch die Entwicklung der gesammten Cultur übt ihre Wirkungen auf die Mahlzeiten, vermehrt und verbreitet die Consumtion feinerer Eßwaaren und setzt Mannigfaltigkeit und Abwechselung an die Stelle des rohen, einförmigen Ueberflusses, der den Luxus halbbarbarischer Zeiten und Völker charakterisirt. Bei großen Festen des Mittelalters wurden Hunderte von Ochsen, Kälbern, Schweinen etc. verzehrt, aber eine Menge von Gewürzen, Gemüsen und Früchten, die uns unentbehrlich geworden sind, war noch ganz unbekannt; die Engländer haben z.B. nicht vor 1660 Artischocken, Spargel, mehrere Arten Bohnen etc. kennen gelernt; selbst in Frankreich sind die feineren Obstarten erst seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts auf den Tisch der Mittelclassen gekommen. So sind denn wohl auch einige Küchenzettel, die uns aus verschiedenen Jahrhunderten überliefert sind, der Betrachtung nicht unwerth, insofern sie den Luxus der Bewirthung in den betreffenden Zeiten und Ländern charakterisiren.

Bevor wir zu einigen Küchenzetteln aus dem Mittelalter übergehen, werden einige allgemeine Bemerkungen über die damalige Küche, namentlich in Deutschland, nicht überflüssig sein, wobei wir hauptsächlich das von unseren Gewohnheiten Abweichende hervorheben. Bekanntlich liebten unsere Vorfahren sehr das Pferdefleisch, gegen das die Kirche eifrig kämpfte, da dieser Genuß mit Erinnerungen an die Pferdeopfer des altheidnischen Gottesdienstes zusammenhing. Auch Bärenfleisch war beliebt, desgleichen Biber- und Hasenfleisch, Papst Zacharias untersagte beides vielleicht aus demselben Grunde wie das Pferdefleisch. „Was die Vögel betrifft,“ sagt ein gelehrter Kenner des deutschen Alterthums (Weinhold, 'die deutschen Frauen im Mittelalter' „so war unser Alterthum merkwürdig geschmacklos, Papst Zacharias verbietet den Deutschen Häher, Raben und Störche zu essen; auf den vornehmsten Tafeln des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts wurden Kraniche, Schwäne, Störche, Rohrdommeln und Krähen gekocht und gebraten als ausgesuchte Speisen geschätzt; der Pfau und der Reiher waren nicht blos eine Augenzier der königlichen Tische. Solches Fleisch konnte natürlich nur durch die schärfsten Brühen genießbar gemacht werden. In gewürzten Brühen wurden denn auch die meisten Speisen bereitet, so Karpfen, Hausen, Hechte und Lammfleisch in der vielbeliebten Pfefferbrühe; auch Safran war als würzende Zuthat sehr gewöhnlich. In einem Speiseliede wird verlangt, daß Alles so scharf gewürzt sei, daß der Mund wie eine Apotheke rieche und ein heißer Rauch dem Becher entsteige. Man bedenke noch, daß auch die Weine stark gewürzt waren, und man wird den starken Durst unserer Vorfahren begreifen lernen. Die Brühen, in denen das Fleisch lag, mögen die Stelle unserer Suppen vertreten haben.“

Uebrigens standen ganz besonders die Geistlichen in dem Rufe, üppige Tafeln zu lieben. Peter von Clugny, genannt der Ehrwürdige, klagt um's Jahr 1130, daß die Mönche wie Habichte und Geier sich dahin stürzen, wo sie einen Braten riechen, daß ihre Tische von fetten Schweins- und Kalbsbraten, Hasen, auserlesenen Gänsen und Hühnern brechen; daß manche, auch damit nicht zufrieden, nach ausländischen Speisen suchen, sich mit Fasanen und Turteltauben mästen.

Der älteste aus dem Mittelalter aufbewahrte Küchenzettel macht einen urweltlichen Eindruck. Er ist aus dem Jahr 1303, wo bei der Einweihung der neuen Hauptkirche zu Weißenfels der Aebtissin des dortigen Claraklosters (Sophie, Landgräfin von Thüringen und Markgräfin von Meißen) und dem Bischof von Naumburg ein Ehrenmahl gegeben wurde. Der erste Gang bestand aus Eiersuppe mit Safran, Pfefferkörnern und Honig, einem Hirsengemüse, Schaffleisch mit Cypollen (Zwiebeln) darüber, einem gebratenen Huhn mit Zwetschen. Der zweite Gang aus Stockfisch mit Oel und Rosinen, in Oel gebackenen Bleien (?), gesottenem Aal mit Pfeffer, geröstetem Pökling mit Senf. Dritter Gang: sauer gesottene Speisefische, gebackene Barbe, kleine Vögel in Schmalz hart gebacken mit Rettig, eine Schweinskeule mit Gurken. Am zweiten Tag gab man als ersten Gang: Schweinefleisch, Eierkuchen mit Honig und Weinbeeren, gebratenen Hering; als zweiten: kleine Fische mit Rosinen, aufgebratene Bleie und eine gebratene Gans mit rothen Rüben; als dritten: gesalzene Hechte mit Petersilie, Salat mit Eiern und Gallert mit Mandeln belegt. Das Ganze kostete acht Gulden fünfzehn Groschen, neun Pfennige. „Und damit,“ sagt der Bericht, „syn syne Gnaden wol tofreden gewesen.“

Im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts zeigen die Küchenzettel nicht blos Fortschritte des Luxus, sondern auch in manchen Stücken eine Annäherung an die moderne Küche. Zwar die Taxe für Lebensmittel zu Costnitz während des Concils seit 1414 (in Reichenthaler's Geschichte des Costnitzer Concils) weist noch einiges Hochalterthümliche auf, namentlich unter den Fleischspeisen Biber, Dachs und Otter, unter den Fischen kommt vor: „ein Pfund Hausen um ein Plaphart (gleich sechs Rappen oder einen Schilling; genau so theuer als ein Pfund gut ungesottenes Schmalz, d. h. Butter) und auch um zween Dürrfisch, dürr Aal und Stockfisch, wie viel man deren wollt“. Aale waren im früheren Mittelalter vor anderen Fischen beliebt, die Angeln in Sussex hatten sie anfangs von allen allein gegessen, sie lernten erst durch ihren Apostel Wilfried († 711) auch die übrigen als Nahrungsmittel kennen. Zu Costnitz waren während des Concils „auch Brodbecken, die hatten geringe und kleine Oefelein, die führten sie auf Roßkärnlein durch die Stadt und buchen darin Bastelen, Ring und Bretscheln, und war solches Brot erfüllt, etliches mit Hünern, etliches mit Vögeln, Gewürz oder guter Spezerei und etliches mit Fleisch, etliches mit Fisch gebachen, wie die einer gern wollt haben, dero fand man genug, in gleichem und gutem Kauff, und darnach sie köstlich waren, kauffte man sie.“

Sehr genau sind wir über die Mahlzeiten der deutschen Ordensherren in Preußen vom Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts unterrichtet; der Geschichtsschreiber des Ordens, der vor wenigen Jahren gestorbene Johannes Voigt, hat die reichen urkundlichen Quellen über diesen interessanten Gegenstand mit einer Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt ausgebeutet, die nichts zu wünschen übrig läßt. Auf der sehr reich bestellten Tafel des Hochmeisters zu Marienburg sehen wir zuerst die bisher vermißte Suppe und Gemüse erscheinen. Man aß die erstere mit Mohrrüben, Schoten, Petersilienwurzel und Knoblauch; von den letzteren wurden außerdem Kohl, Kresse, Meerrettig, Erbsen gegessen. Hierauf trug man verschiedene Gerichte von Fischen auf; man aß Karpfen, Lachs, Morenen, Schmerlen und Lampreten, oder Gerichte von Aal, Brassen, Dorsch, Hecht, oder trockene Fische, als Streckfuß(?) Bergerfisch (?)[1] (?), Stockfisch, oder auch Krebse. Fleischspeisen waren außer den gewöhnlichen Hirsch- und Elensbraten; als Leckerbissen galten Eichhörnchen, Rebhühner, Staare und mehrere Arten kleiner Vögel; auch Kaninchen und Kraniche wurden bisweilen aufgesetzt. Den Durst reizte man durch Neunaugen oder durch schonische und bornholmische Heringe oder auch durch Käse; der bessere hieß Herrenkäse zum Unterschied vom Gesindekäse, schon damals auch Zwarg genannt. Die vorzüglichen Gattungen wurden aus Schweden und England bezogen. Butter kannte man wenigstens unter diesem Namen nicht. Unter dem Obst des Nachtisches verdienen die Trauben von inländischen Weinpflanzungen Erwähnung. Den

  1. Lengfisch
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_029.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2020)