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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wie bekannt, hatte ihm einer seiner Bediensteten eine bedeutende Summe entwendet und damit das Weite gesucht. Zelinka war nicht zu bewegen, den Mann verfolgen zu lassen. „Schad’t nix!“ meinte er. „’S hat keinen Armen betroffen. Ich will den Menschen nicht unglücklich machen. Er war halt undankbar. Du lieber Gott, nicht alle Leut’ können so dankbar sein, wie mein armer Schneider.“

Der städtische Pflasterermeister Schlepitzka, der etwas zu tief in den Säckel der Commune griff, brachte bei einem Banket dem Bürgermeister einen Toast. „Danke, danke!“ sagte Zelinka freundlich mit den Augen blinzelnd. „Aber billiger, mein theurer Herr Schlepitzka, billiger!“

Aeußerst drollig war die Anrede, mit welcher er den Kaiser auf einem Bürgerballe begrüßte. Der Kaiser erschien nur mit den Erzherzogen, denn die Kaiserin hatte, interessanter Umstände wegen, Zimmerarrest.

„Das is schön, daß Eure Majestät zu uns ’kommen sein,“ begann Zelinka in seinem gemüthlichen Wiener Jargon. „Schad’, daß die Kaiserin Majestät nit mitkommen is! Aber –“ setzte er mit vielsagendem Schmunzeln hinzu, – „schad’t nix! Besser so! Freut uns erst recht!“

Der Kaiser bemerkte lächelnd: „Ja, mein lieber Zelinka, die Kaiserin wäre gerne mitgekommen –“

„Weiß schon! Weiß schon! ’S is eh’ recht!“ fiel Zelinka mit schelmischem Augenzwinkern dem Monarchen in’s Wort. „Na, was macht die Kaiserin Majestät denn? Wie geht’s ihr? Die Wiener lassen’s schön grüßen!“

Der Kaiser lachte laut auf und dankte dem Großvater der Stadt mit herzlichem Händedruck.

Der Kaiser und der Bürgermeister haben sich bekanntlich nicht immer so gemüthlich mit einander unterhalten, aber gerade der manneswürdige Bürgermuth, den er bei jenen Ausnahmen bewährte, hat es verursacht, daß sein Name nicht nur in Oesterreich – sondern auch im Auslande, selbst jenseits des Meeres hoch gefeiert worden ist. Zelinka sorgte und wirkte in seinen beiden letzten Jahren fort und fort mit Geist und Herz für seine Bürger und Armen, die er bekanntlich reich in seinem Testament bedachte, und erlebte noch die Freude, in einer seiner letzten Sitzungen für sein Lieblingsproject, die Donauregulirung, acht Millionen votirt zu sehen.

„Gott sei Dank!“ rief er freudig aus. „Die Donau wird regulirt – jetzt kann ich ruhig sterben!“

Und er starb ruhig, mit dem Gebete: „Holz – für die Armen!“ Er ließ keinen Feind zurück und schied wie ein guter Vater von seinen Kindern. Die Zahl der Fürsten ist klein, die wie der schlichte Bürgermeister Andreas Zelinka zu Grabe getragen wurden.




Wunderliche Heilige.

3.0 In den Betstunden der Mormonen.

Dayton im Staat Ohio ist eine hübsche Mittelstadt, die in der Zeit, wo ich mich dort aufhielt, etwa zwanzigtausend Einwohner und die im Vergleich hiermit auffallend große Zahl von dreiundzwanzig Kirchen und Bethäusern hatte. Die Menge dieser letzteren schrieb sich von der Menge der Religionsgesellschaften her, in welche die Bevölkerung zerfiel und deren hier nicht weniger als anderthalb Dutzend ihr Wesen trieben. Es gab da Angehörige der bischöflichen Kirche, zwei Sorten Baptisten und drei Gattungen Methodisten, ferner Presbyterianer, Lutheraner, Swedenborgianer, Albrechtianer, dann Katholiken und Reformirte, Quäker und Shakers, Campbelliten, Universalisten und Congregationalisten, endlich auch eine kleine Gemeinde von Mormonen oder, wie sie sich selbst nennen, Latterday-Saints, d. h. „Heiligen des Jüngsten Tages“, und von diesen soll jetzt die Rede sein.

Von den Mormonen wußte ich damals nur, was der Leser vermuthlich auch wissen wird. Sie waren von Joseph Smith, einem Yankee, gestiftet, der von Gott Auftrag zur Vorbereitung der sündigen Menschheit auf den nahe bevorstehenden Anbruch des tausendjährigen Reichs erhalten und auf dem Berge Cumorah im Staate Newyork ein heiliges Buch gefunden haben wollte, welches die Vergangenheit der Indianer, deren Herkunft von den verlornen zehn Stämmen Israel’s und die unter ihnen erfolgten himmlischen Offenbarungen enthielt. Sie erwarteten eine baldige Wiederkunft Christi und die Errichtung eines glorreichen Priesterkönigthums auf Erden, dessen Mittelpunkte Jerusalem und das Thal des Großen Salzsees in den Felsengebirgen werden sollten, wohin die Hauptmasse der Secte nach mancherlei Verfolgungen und nach Ermordung ihres Propheten durch den Pöbel von Illinois ausgewandert war, und wohin einer ihrer Glaubensartikel allen Gliedern ihrer Gemeinschaft ebenfalls auszuziehen gebot. Sie erlaubten endlich die Vielweiberei nicht nur, sondern betrachteten sie als Gott besonders wohlgefällig und als Mittel, die jenseitige Seligkeit zu erhöhen. Was ich später Genaueres über diese seltsamste aller religiösen Genossenschaften der neuen Welt in Erfahrung brachte, ihre Geschichte, die Natur ihrer „Goldnen Bibel“ und ihre überaus wundersame Glaubenslehre, werden wir in anderen Artikeln behandeln. Für heute nur meine erste Bekanntschaft mit ihnen in Dayton und Cincinnati.

Ich hatte damals in Dayton einen Vetter, der in dem Powel’schen Schuh- und Stiefelgeschäft Commis und als solcher mit dem Prediger der dortigen Mormonen in Berührung gekommen war; denn besagter Prediger gehörte der ehrenwerthen Profession an, die durch häufig in ihrer Mitte beobachtete Neigung zu hohen Dingen dem Sprüchworte: ‚Schuster, bleib’ bei deinem Leisten‘, das Leben gegeben hat. Winthrop Graves – so hieß der Gute – machte als flinker und allenthalben sich zurechtfindender Yankee nicht nur die besten Stiefeln in Dayton, sondern verstand sich auch recht gut auf’s Versohlen von Seelen für die Reise in das Himmelreich. Ich bat meinen Vetter, mich bei ihm einzuführen, und dies geschah an einem schönen Herbstabend.

Unser Prediger und Schuhmacher wohnte in einem netten kleinen Hause auf der St. Clairstreet. Wir trafen ihn in Gesellschaft zweier Frauen im Hinterzimmer des Erdgeschosses vor dem Kamin, stellten uns ihm als Leute vor, die sich über Geschichte und Glauben seiner Kirche belehren wollten, und wurden freundlich aufgenommen. Anfangs zwar schien man uns nicht recht zu trauen; denn es gab in Dayton Viele, die im Rathe der Gottlosen wandelten und da saßen, wo die Spötter sitzen. Aber mit der Zeit überzeugte sich unser Mann, daß wirklich nur Wißbegierde mich zu ihm geführt, und seine ausweichende und einsilbige Art, meine Fragen zu beantworten, wurde zur Mittheilsamkeit. Ich erfuhr, daß er der Secte seit zehn Jahren angehörte und daß er den Propheten persönlich gekannt hatte. Er glaubte offenbar fest an dessen Lehre, obwohl er sonst den Eindruck eines nicht ungebildeten Mannes machte, und bedauerte nur, durch ein Gebrechen – er hatte einen lahmen Fuß – verhindert zu sein, dem „Rufe der Apostel zur Versammlung im Thale der Heiligen“, d. h. zur Auswanderung nach dem Utah-Territorium, Folge zu leisten. Als ich im Laufe des Gesprächs fragte, wie der Prophet ausgesehen habe, führte er uns in die sehr sauber gehaltene und mit hübschen Teppichen ausgestattete Putzstube und zeigte uns eine große bunte Lithographie unter Glas und Rahmen, welche „Bruder Joseph“ darstellte, wie er in Frack und weißer Weste indianischen Häuptlingen, die im Kreise um ihn saßen, sein Evangelium predigte. Da es mir zunächst nur darum zu thun war, mit dem Führer der hiesigen Mormonen bekannt zu werden, so brachen wir bald wieder auf, nachdem ich um die Erlaubniß gebeten, wiederzukommen.

Am nächsten Tage besuchte ich ihn wieder und erhielt von ihm einen Tractat, der von Parley Peter Pratt, einem ihrer zwölf Apostel, verfaßt war und den Titel „Eine Stimme der Warnung und Belehrung für alles Volk oder eine Einführung in den Glauben und die Lehre der Kirche der Heiligen vom Jüngsten Tage“ trug, sowie mehrere Blätter des „Grenzwächters“, eines zu Kanesville im westlichen Missouri erscheinenden Mormonenjournals. Hatte ich am vorhergehenden Abend die beiden Frauen für seine Gemahlinnen gehalten, so wurde ich jetzt eines Besseren belehrt. Er wußte nicht einmal, daß die Mormonen am Salzsee in Vielweiberei lebten. Die eine der Frauen war seine Nichte und die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_025.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2020)