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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


„Ein wahrer Vater der Stadt“.

„Wir haben der Erde die irdische Hülle eines Mannes anvertraut, der zu den besten zählt, welche je an der Spitze eines großen Gemeindewesens standen. Wir beweinen in ihm einen der reinsten Träger der Idee der Menschenliebe, Güte und Milde. Wir bedauern in ihm den Rechtsfreund im edelsten Sinne des Wortes, den Schützer der Wittwen und Waisen, den wahren Christen, den liebenswürdigen Genossen und Freund. Wir betrauern in ihm vor Allem den wahren Vater der Stadt, der stets und überall den echten Mannesmuth der Wahrheit, die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines getreuen Bürgermeisters bethätigt hat etc.“ So lauteten ungefähr die Worte, mit welchen der Vicebürgermeister Dr. Newald in Wien seine Leichenrede an der Gruft des Bürgermeisters Zelinka einleitete.

„So war der Mann!“ schluchzten Hunderttausende. „So war der Mann!“ wiederholen wir. Seiner Treue und Ehrlichkeit verdankte er das unbeschränkte Vertrauen seiner Mitbürger und seine schöne Popularität, die sich in historischen Momenten bis zum Enthusiasmus steigerte. Alle Kränze wurden vergriffen für sein Grab und seinen Sarg, – wir legen nachträglich nur noch einige Blumen der Erinnerung auf den Hügel.

Zelinka fand bei seinem Auftreten als Bürgermeister in seiner Umgebung offene Gegner von Talent und Beredsamkeit, an deren Spitze der gegenwärtige Minister Dr. Berger stand, die fest entschlossen waren, ihm seine Stellung zu verleiden und ihn zum Rücktritt zu bewegen. Aber man zerrte und rüttelte vergebens an ihm. Wenn ihn Einer seiner vertrauten Freunde auf seine allerdings mächtige Gegenpartei aufmerksam machte, pflegte er achselzuckend zu antworten. „Mich kümmert nur der Gemeinderath, – die Parteien kümmern mich nicht.“ Aber die Zahl der Großen, die er gegen sich hatte, verschwand gegen die Zahl der Kleinen, die er für sich hatte, – der Armen nämlich, die er mit wahrhaft verschwenderischer Wohlthätigkeit bedachte. Niemandem wehe und womöglich Allen wohlzuthun, war seine Devise, der er jährlich über zwanzigtausend Gulden aus seinem Privatvermögen opferte.

Als Präsident des Gemeinderathes hatte das kleine Männchen nichts Imponirendes, auch klangen seine Worte oft zu drollig, um nicht seine Gegner zur ironischen Heiterkeit aufzufordern, aber sein gestählter Charakter, sein warmes fühlendes Herz und seine unantastbare Redlichkeit setzten ihn auch äußerlich in Respect und erwarben ihm selbst die Hochachtung seiner Feinde. Er sprach wenig, – aber das, was er sprach, war immer schlagend und traf mitten in’s Schwarze.

Um alle Verdienste dieses schlichten, anspruchslosen Mannes aufzuzählen, müßten wir für mehrere Monate die Spalten dieser Blätter in Anspruch nehmen. Wir beschränken uns daher, in Kürze mitzutheilen, daß während der Dauer seiner Amtsführung ein neues Wien geschaffen wurde, Paläste mit Gärten und Promenaden aus der Erde auftauchten das Pädagogium gegründet und Kirchen, Versorgungshäuser und Schulen gebaut und reformirt wurden Auch das Hochquellen-Project und die Douauregulirung wurden zur Thatsache, – aber unter allen seinen Werken, die er gefördert, waren es vorzugsweise die beiden Waisenhäuser, mit welchen der gute Zelinka am meisten prunkte. „So viel auch geschaffen worden ist, seitdem ich Bürgermeister bin,“ pflegte er stolz zu sagen, „halte ich doch die Waisenhäuser der Commune für die schönsten und segensreichsten Schöpfungen, welche die Stadt jemals in’s Leben gerufen hat.“

Am thatkräftigsten zu beweisen, daß er nicht nur Vater der Waisen, sondern aller Armen war, gelang ihm im Winter 1862 bis 1863, wo, mit der Erwerblosigkeit, Noth und Elend einen schauerlichen Höhepunkt erreichten. Viele Tausende verschenkte er in diesem Winter, namentlich an die brodlosen Weber, aber das waren dennoch nur Tropfen im Meere. Erst als auf seine Intervention von der Commune öffentliche Arbeiten ausgeschrieben wurden, war größere Abhülfe betroffen, denn Arbeit ist Brod für die Armen. In demselben Winter wurde Zelinka zum Landmarschall-Stellvertreter von Niederösterreich ernannt.

Schon als Landtagsabgeordneter hatte er die Oeffentlichkeit überzeugt, daß er kein Reactionär, sondern ein Mann von aufrichtig constitutioneller Gesinnung war, indem er mit freimütig kräftigem Wort für den unbeschränkten Einfluß der Gemeinden auf die Volksschulen eintrat, aber populär wie der beste Mann des Volkes sollte er erst im verhängnisvollen Jahre 1866 werden, als dessen Herold wir das Jahr 1863 gelten lassen können.

Wenige Wochen nach dem Frankfurter Fürstentage nahm Zelinka in Begleitung seiner beiden Stellvertreter Felder und Mayrhofer eine Audienz beim Kaiser, um ihm die Adresse des Gemeinderathes zu Gunsten Schleswig-Holstein’s zu überreichen.

Es ist bekannt, daß das Präsidium des Gemeinderathes in dieser Audienz von Seite des Kaisers ungnädig aufgenommen wurde und zwar mit dem Bemerken, daß sich dieser Körper nicht mit politischen Fragen zu beschäftigen habe.

In Folge dieser Rüge war Zelinka entschlossen, von der Bürgermeisterstelle zurückzutreten. Da aber auch die Majorität des Gemeinderathes auszuscheiden willens war, befürchtete er, daß dieser Massenaustritt als illoyale Demonstration gedeutet werden könnte, und nahm abermals eine Audienz beim Kaiser, in welcher er sich mit männlichem Freimuth über die gemeinnützige Thätigkeit des Gemeinderathes aussprach. Der Kaiser nahm den Vortrag huldvollst entgegen und die Krisis im Gemeinderathe kam damit zu einem friedlichen Abschlusse.

Im Frühling 1864 wurde Zelinka mit imposanter Stimmenmehrzahl abermals zum Bürgermeister gewählt und seine Wiederwahl durch ein glänzendes Banket in den Sälen des Augartens gefeiert. Noch in demselben Jahre hatte Zelinka das Vergnügen, die aus Schleswig-Holstein heimkehrende siegreiche Armee, aber auch das Mißvergnügen, ein Sistirungsministerium zu begrüßen, dem gegenüber er in die Reihen der Opposition trat. Noch energischer machte er später gegen das Stadtbefestigungs-Project Front und nahm keinen Anstand, der Regierung zu erklären: Wenn man im Ernst daran dächte, die Stadt zu befestigen, möge Bürgermeister werden, wer wolle, – unter seiner Bürgermeisterschaft solle nie und nimmer der Grundstein zum Verfalle Wiens gelegt werden. Zudem wäre es ihm unmöglich für die Ruhe der Bevölkerung zu bürgen, die der Meinung wäre, Wien solle nicht gegen einen auswärtigen Feind, sondern gegen die Wiener selbst befestigt werden.

In dieser scharfen Opposition harrte er auch im Kriege gegen Preußen aus, und ihm und der kräftigen Haltung des Gemeinderathes hatte Wien es zu danken, daß man die Befestigung der Stadt auf ein verschanztes Lager am linken Donauufer beschränkte.

Wir haben jetzt diese Unglückszeit mit ihrer Invasionsgefahr erreicht, – es war die Zeit, in welcher sich Zelinka, als eiserner Mann mit goldenem Herzen, die immergrüne Bürgerkrone erwarb. Noch vor Beginn des Krieges hatte er im Verein mit dem Landmarschall Fürsten Colloredo-Mannsfeld mit dem berühmten Nothschrei „Das Vaterland ruft!“ zur Wehrkraft des Reiches ein Freiwilligen-Corps gebildet, dessen Ausrüstung und Aufstellung Zelinka bei Ausbruch des Kriegs leitete. So war es Zelinka, der, im Interesse der Sicherheit der Stadt, die Errichtung einer Volkswehr betrieb und, im Interesse der Approvisionirung der Stadt, die Sistirung des Frachtenverkehrs mit Lebensmitteln durchsetzte. Von ihm wurde ferner die Errichtung von Nothspitälern eifrigst betrieben und gefördert, – hier und dort und überall wachte, sorgte und opferte er für sein Vaterlaud und seine Bürger, mit bitterm Groll gegen ein Sistirungsministerium, das seinen Fortbestand durch einen Kampf um die Existenz Oesterreichs ermöglichen wollte. Da hieß es plötzlich. Der nahenden Kriegsgefahr wegen solle Wien in Belagerungszustand versetzt und im Falle einer feindlichen Invasion vertheidigt werden. Zelinka eilte bestürzt zum Kaiser und richtete ernst und ehrfurchtsvoll die Bitte an ihn, Wien, im Falle eines Angriffes, als offene Stadt behandeln zu lassen.

Der Kaiser sicherte das zu, – eine andere Bitte des Bürgermeisters, um Aenderungen im Regierungssystem, wurde frostig zurückgewiesen. Aber die Nothwendigkeit umfassender Reformen lag so klar am Tage, daß der Gemeinderath beschloß, ihr in einer Adresse an den Kaiser kräftigen Ausdruck zu geben. Aus dieser Adresse, die Zelinka dem Kaiser überreichte, heben wir folgende Stelle hervor:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_023.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2020)