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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wenn ich auch nicht begreife, wie Sie dazu kommen… Sie haben doch ohne Zweifel unser Winterholz im Sommer zur rechten Zeit einfahren lassen – denn Sie sind ja sehr praktisch – liegt es denn nicht an einem trocknen Ort?“

Ein beißendes Lächeln glitt um Sievert’s Lippen, als er das Wort „einfahren“ hörte. Ja, auf diesen seinen Schultern hatte er heute das Winterholz der gnädigen Frau „eingefahren“, und es mochte freilich mancher noch grüne Ast mit untergelaufen sein, der jetzt im Ofen zischte und die Nase der Dame beleidigte. … Sievert hatte die Casse der Frau von Zweiflingen unter seinen Händen, seit er bei ihr eingetreten war. Früher gelang es ihm, auszukommen und, wenn auch mit großer Mühe, den Anschein eines behaglichen Auskommens der Welt gegenüber aufrecht zu erhalten; aber jetzt kostete die Krankheit viel Geld. Daran dachte die Frau nicht im Entferntesten, ebensowenig hatte sie eine Ahnung, daß das Abendbrod, welches sie heute essen sollte, wie auch das verabscheute Talglicht aus Sievert’s Tasche bezahlt seien – denn es war kein Groschen mehr im Hause.

Der alte Diener versicherte indeß seiner Gebieterin, daß das Holz wohlverwahrt im nördlichen Thurm liege, und schob alle Schuld auf den Sturm, der den Rauch in die Halle blase. Dabei nahm er gleichmüthig eine Serviette, zwei Tassen und eine messingne Theekanne aus dem Schranke und arrangirte einen Theetisch vor dem Sopha.

In diesem Augenblick schloß das Clavierspiel im Nebenzimmer mit einem rauschenden Accord. Frau von Zweiflingen seufzte erleichtert auf und preßte ihre Hände einen Moment gegen die Schläfe – für ihr zerrüttetes Nervensystem mußte die geräuschvolle Musik eine wahre Marter gewesen sein.

Die Thür des Nebenzimmers ging auf. Wenn statt der Gardinen plötzlich bestaubte Spinnweben die tiefen Fensternischen des Thurmgemachs überhangen hätten, wenn die elegante Möbeleinrichtung in den Erdboden gesunken und statt des Theetisches eine Kunkel zur Seite der Frauengestalt im Fauteuil auferstanden wäre, dann hätte Prinzessin Dornröschens Erscheinen bei der mörderischen Frau Stubenpoesie nicht lieblicher verkörpert werden können, als in diesem Moment. Dicht neben dem gräulichen schwarzen Ofenungeheuer, im Rahmen der Thüröffnung, erschien ein junges Mädchen. Diese kinderhaften Hände, die jetzt prüfend und ordnend durch die auf die Büste niederfallenden dunklen Locken glitten, waren eben noch mit ungewöhnlicher Energie über die Tasten hingeflogen. Wie leicht mußte das so schwierige Clavierstück der jungen Spielerin geworden sein – auch nicht die leiseste Röthe des Echauffements lag auf dem Gesicht, das zwar blaß, aber frühlingsfrisch wie die Blüthe des Kirschbaumes war. Es hatte nichts gemein mit jenem hippokratischen Frauenprofil, welches so lebensmüde und mumienhaft braun auf dem gelben Seidenpolster lag – wohl aber wiederholten sich seine köstlichen Linien voll griechischer Schönheit immer und immer wieder in der langen Bilderreihe der Halle, und die schwarzen Augen, die da draußen in wilder Jagdlust funkelten oder in ihrem aristokratischen Bewußtsein kalt gleichgültig auf die Welt niedersahen, strahlten auch hier groß und weit geöffnet aus dem weißen Mädchengesicht. Um den Contrast zwischen Mutter und Tochter noch schreiender zu machen und letztere in Allem lediglich als Sproß der Zweiflingen zu kennzeichnen, die fast durchgängig in grünem, mit Goldstickerei bedecktem Sammet prunkten, umrauschte die jugendliche Gestalt ein brochirtes, blaßblaues Seidenkleid, um dessen viereckigen Halsausschnitt sich echte Spitzen in gelblicher Weiße kräuselten.

„Nun, Sievert,“ sagte das junge Mädchen, in das Zimmer tretend, „kann man endlich heißes Wasser bekommen?“ Ihre Augen fielen auf den Theetisch. „Wie, nur zwei Tassen?“ rief sie. „Haben Sie denn vergessen, daß wir Besuch erwarten?“

„Der Besuch kann nicht kommen, weil der Herr Student krank geworden ist,“ rapportirte Sievert kurz, während er die Theekanne noch einmal prüfend neben das Licht hielt, ob sie auch fleckenlos blinke.

Die junge Dame sah plötzlich aus, als seien ihre sämmtlichen Lebenshoffnungen vor ihr in’s Wasser gefallen – ein Zug der bittersten Enttäuschung flog um ihre Lippen.

„O, wie abscheulich!“ klagte sie. „Darf man sich denn auch auf gar nichts mehr freuen? … Krank soll der junge Erhardt sein? Was fehlt ihm denn, wenn man fragen darf?“ Eine Beimischung von Ironie und Unglauben trübte mißtönend die kinderklare Stimme des jungen Mädchens.

(Fortsetzung folgt.)




Der Sohn des „alten Brehm“.

Es hat einmal in der Gartenlaube Einer die Entdeckung veröffentlicht, daß die meisten Menschen mit dem vierzigsten Jahr zwar klug, aber auch hypochondrisch und nörgelsüchtig werden, weil sie dann Vieles sehen, was nicht da ist. Ist diese Entdeckung gegründet, so gehört zu den Glücklichen, welche ausnahmsweise von dieser Krankheit verschont bleiben, sicherlich der Sohn des „alten Brehm“,[1] jener allerweltsthierkundige Thüringer, dessen Geburtstag auf den 2. Februar 1829 fällt und welchem wir es gleich im Portrait dieser Nummer ansehen, daß er nicht krank ist.

Mit welchen Schätzen begrüßt unser Alfred Edmund Brehm das vierzigste Jahr! Das sechsriesenbändige „Illustrirte Thierleben“ liegt vollendet und ziemlich „vergriffen“ vor ihm und der Welt. „Das Leben der Vögel“ erlebte schon die zweite Auflage. Der prachtvollste und größte Felsentempel lebendiger Naturwissenschaft, das Berliner Aquarium, vollendet sich unter seiner und nobler wissenschaftlicher Genossen kräftiger Leitung. Unzählige Freunde aus allen Weltgegenden des Thier- und Menschenreiches, auch „viel Feind’, viel Ehr’“ umdrängen ihn, und in einer nach eigenem Geschmack ausgestatteten Häuslichkeit umblühen ihn eine geliebte und liebende schöne Frau und herzige, gesunde Kinder. Nein, die „Vierzigjahre-Krankheit“ kann ihm nichts anhaben. Schon seine fröhliche, glückliche Kindheit und Jugend wurde zu einem Bürgen für die Gesundheit und Kraft des Mannes.

Es ist jedenfalls schon ein besonderes Glück, in Thüringen überhaupt geboren zu sein, aber in Renthendorf zwischen Gera, Saalfeld, Jena und Schleiz in den Thälern der Roda, in welche von allen Seiten liebliche Wassernajaden aus ihren Mulden murmelnde muntere Bäche herabgießen, zwischen Wald und Wasser, Feld, Berg und Thal zu einem wilden, kräftigen Jungen aufzuwachsen und von der „Mutter Frohnatur“ trotz aller „Lust zum Fabuliren“ für tolle Streiche immer gleich mit baarer Bezahlung honorirt zu werden und keinen höheren Lohn für Tugenden zu kennen, als mit dem Vater, dem verehrungswürdigen Menschen, Forscher und Priester, und dessen Vogelflinte Waldspaziergänge zu machen und am achten Geburtstage schon mit eigenem Gewehr den ersten Vogel zu schießen, eine Goldammer, und sie auch gleich zu treffen und hernach unter den beinahe neuntausend Vögeln des Vaters ausgestopft zu sehen, dabei von ihm nie gescholten, sondern nur immer liebevoll ermahnt und mitten in der lieblichen Natur lebendig durch das Leben belehrt zu werden – das ist eine beneidenswerthe Kindheit, die musterhafteste Elementar- und Hochschule.

„Da fliegt eine Feder. Von welchem Vogel ist sie, Alfred? Hörst Du es dort pfeifen und fingen? Wer ist der Tonkünstler, wie heißt er und wie sieht er aus? Wie machen wir’s, um ihn aufzusuchen? Hier ist ein Nest. Welcher Vogel kann es nur gebaut haben? Wie erkennt man überhaupt den Vogel nicht nur an den Federn, sondern an irgend einer Feder? An seinem Neste? Seinen Eiern? Seinem Schlage oder Rufe? Wie spricht dieser oder jener Vogel in Liebe, Zorn, Gefahr oder Furcht?“ – So lernte der junge Brehm vom alten dessen Lieblinge in der Natur kennen und diese Kunde zu einer ganz neuen Wissenschaft ausbilden. Der Vater der deutschen Ornithologie wurde so durch den Sohn auch Vater der deutschen Ornithobiologie, der Vogellebenskunde. Häufig unternahmen Vater und Sohn größere Fußtouren von denen sie erst spät über waldige Berge und durch tiefe Thäler zurückkehrten. Auch wurde zuweilen schon lange vor Sonnenaufgang aufgebrochen, um in Gesellschaft befreundeter Waidmänner ein besonderes Schauspiel der Natur, ein Morgenconcert der Künstler, welche alle „vom Blatte“ singen,

  1. Vergl. Gartenlaube Nr. 42, Jahrgang 1864.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_020.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2020)