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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

am Boden hin; aber mochte der Sturm auch wüthend hinter ihr her sausen, die Frau ließ sich nicht treiben, ihre Schritte blieben fest und gleichmäßig, bis sie verhallten.

Der Hüttenmeister lehnte noch einen Moment in der Thür und seine Augen verfolgten den tröstlichen Lichtschein, bis er in der Ferne erlosch.

Mittlerweile war es in den Lüften stiller geworden – der Sturm hielt den Athem an; von fern tosten die niederstürzenden Wasser eines Wehres und aus der Gießerei scholl das dumpfe Geräusch der Arbeit. Aber auch eilig sich nähernde Fußtritte wurden laut und bald darauf bog eine männliche Gestalt um die Hausecke. Ein Soldatenmantel flog um die hageren Glieder des Mannes; er hatte sich die Schildmütze mit dem Taschentuch auf dem Kopfe festgebunden und vor ihm her fiel es hell aus der großen Stalllaterne, die er in der Linken trug.

„Was, zwischen Thür und Angel bei dem Lüftchen, Hüttenmeister?“ rief er, als das Laternenlicht auf den einsam dort lehnenden Mann fiel. „Aha, da ist also der Student nicht angekommen und Sie schauen noch nach ihm aus – wie?“

„Ach nein, Berthold ist schon seit heute Nachmittag da, aber er ist krank und macht mir viel Sorge,“ entgegnete der Hüttenmeister. „Kommen Sie doch herein, Sievert!“

Sie traten in das Haus.

Es war eine große, ziemlich niedrige Stube, die der Hüttenmeister öffnete. Draußen tobte eben der Sturm mit erneuter Wuth gegen die alten Wände, die, nach innen so traut und friedlich, liebe Familienbilder auf ihrer helltapezirten Fläche trugen.

Ein feiner Luftzug drang freilich durch die Fensterritzen und bewegte dann und wann leise die großgeblumten Kattunvorhänge, aber sie verhüllten fest zusammengezogen die Scheiben und das wilde Schneetreiben jenseits derselben. Ist etwas geeignet, eine Familienstube auf dem Thüringer Wald heimisch und gemüthlich zu machen, so ist es der gewaltige Kachelofen, der oft selbst im Hochsommer seine Thätigkeit nicht einstellt. Auch hier ragte er riesig und dunkel weit in das Zimmer herein, und die erhitzten Kacheln verbreiteten eine gleichmäßige köstliche Wärme.

So hätte die altväterisch eingerichtete Eckstube leicht das Gefühl der Behaglichkeit erwecken können, wäre nicht der ominöse Duft des Fliederthees gewesen, der die Luft erfüllte; ein eilig aus grünem Papier hergestellter Schirm dämpfte das Lampenlicht, und der Perpendikel hing bewegungslos in der hölzernen Wanduhr – lauter Anstalten, die eine vorsorgliche Frauenhand verriethen.

Der Gegenstand aller dieser Umsicht und Fürsorge schien sich jedoch vorläufig noch energisch gegen die Krankenrolle zu sträuben.

Es war ein blutjunges Menschenkind, das den Kopf unaufhörlich zwischen den weißen Kissen des auf dem Sopha improvisirten Lagers hin und her warf; die wärmende Decke war zum Theil auf den Fußboden herabgeglitten und der ungeduldige Patient schob eben die gefüllte Theetasse grollend weit von sich, als die beiden Männer eintraten.

Wir sehen jetzt den Hüttenmeister in einem vollen Strahl der Beleuchtung, den der unbedeckte Theil der Lampe auf ihn wirft. Er ist ein auffallend schöner junger Mann von imposanter Gestalt. Wir begreifen nicht, wie er sich unter der niedrigen Zimmerdecke so zwanglos bewegen kann – man meint, sie müsse seinen lockigen Scheitel streifen. Seltsam contrastirt das aschblonde Haupt- und Barthaar mit den schöngeschwungenen, sehr dunklen Brauen; sie sind über der Nasenwurzel zusammengewachsen und geben dem Gesicht etwas unbeschreiblich Melancholisches – der Volksglaube sieht in dieser eigenthümlichen Bildung einen Stempel des Unglücks, die untrügliche Prophezeiung eines traurigen Schicksals.

Dem unbetheiligten Beobachter würde es sicher nicht einfallen, den Kranken und diesen hochgewachsenen Mann für Blutsverwandte zu halten. Dort das knabenhafte magere Gesicht mit dem bleichen, alabasterartigen Teint und der römischen Profillinie unter einer köstlichen Fülle bläulich schwarzer Locken, und hier der echt deutsche Typus, eine blühend kräftige, blondbärtige Männergestalt, das untadelhafte Bild der Thüringer Edeltanne – und doch sind die Beiden Brüder, zwei Menschen, die nur noch ein Familienband besitzen, das unter sich.

Der Hüttenmeister trat rasch an das Bett, hob die Decke empor und umhüllte den Kranken bis über die Schultern; dann nahm er die verächtlich weggeschobene Tasse und hielt sie an dessen Lippen. Das geschah schweigend, aber mit einem unabweisbaren Ernst, gegen den sich schlechterdings nichts einwenden ließ. Der rebellische Patient wurde plötzlich sanftmüthig und leerte die Tasse pflichtschuldigst bis auf die Neige; darauf ergriff er mit einer leidenschaftlich zärtlichen Geberde die Hand des Bruders und seine Wange daran schmiegend, zog er sie mit sich auf das Kissen nieder.

Währenddem war der Mann im Reitermantel auch näher getreten.

„Na, junger Herr, ist das auch eine Art, in’s Quartier einzurücken? Pfui, schämen Sie sich!“ sagte er, indem er die Laterne aus den Tisch stellte. Diese Anrede sollte jedenfalls humoristisch klingen, durch die eigenthümlich rauhe und ungefügige Stimme des Mannes erhielt sie jedoch weit mehr den Charakter einer derb polternden Zurechtweisung – ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch das unwandelbar finstere Gepräge der Gesichtszüge, – sie sahen fast zigeunerhaft dunkel aus der Umhüllung des grellrothen, baumwollenen Taschentuchs.

Der Angeredete fuhr empor; eine jähe Röthe flammte über das blasse Gesicht, und seine aufgeregten Augen hefteten sich finster forschend auf den Eingetretenen, den er bis dahin nicht bemerkt hatte. Dabei zuckte seine Rechte unwillkürlich nach dem auf dem Tisch liegenden Cereviskäppchen, dem Abzeichen seiner Würde als Student und Burschenschafter.

„Laß gut sein, Berthold!“ sagte, lächelnd über diese Bewegung, der Hüttenmeister. „Es ist ja unser alter Sievert –“

„Ei, was wird denn dies junge Blut da vom alten Sievert wissen?“ fiel ihm der Mann im Soldatenmantel trocken in das Wort. „Als flotter Bursche weiß Einer nicht mehr, wie gut ihm der Kinderbrei geschmeckt hat – gelt, Herr Student? … Da, just auf der Stelle, wo Sie jetzt liegen, stand dazumal die Wiege, und da lag der kleine Kerl drin und strampelte und schrie nach der todten Mutter und schlug dem Vater und der Röse den Breilöffel aus der Hand – weiß der Henker, was Ihnen an meinem Gesicht so besonders gefallen hat, aber da wurden Boten über Boten in das Schloß geschickt, und der Sievert mußte her und den Kleinen füttern. … Hei, wie er da lachte! Die Thränen kollerten noch über die Backen, aber der Brei rutschte glücklich hinunter!“

Der Student reichte dem Sprechenden beide Hände über den Tisch hinüber. Der knabenhafte Trotz in seinen Zügen war einem fast mädchenhaft kindlichen Ausdruck gewichen. „Das hat mir mein Vater oft genug erzählt,“ entgegnete er mit weicher Stimme, „und seit Theobald Hüttenmeister in Neuenfeld geworden ist, hat er mir auch viel von Ihnen geschrieben.“

„So, so – kann sein,“ brummte Sievert. Damit schien er jede weitere Erörterung abschneiden zu wollen. Er schlug seinen Mantel zurück, und der Anblick, den er jetzt darbot, machte den Studenten hell auflachen. Am rechten Arm hing ihm ein Henkeltopf aus weißem Blech, daneben ein Weidenkorb, in welchem ein Brod lag; an einem seiner Rockknöpfe baumelte ein Bündel Unschlittkerzen, und aus der Brusttasche guckte der Glasstöpsel eines Rumfläschchens im Verein mit einer gefüllten Papierdüte.

„Ja, ja, da lachen Sie nun!“ sagte der Alte – diesmal konnte man leicht eine starke Dosis Groll, aber auch einen Anstrich von Resignation aus der harten Stimme heraushören – „Dazumal war ich Kindermagd und jetzt bin ich Küchenjunge – hat mir mein Vater auch nicht an der Wiege gesungen. … Was soll man nun da sagen! … Die alte Frau trinkt keine Ziegenmilch, das weiß Fräulein Jutta besser als ich; aber wenn ich nicht daran denke, daß Kuhmilch im Dorfe geholt wird, da geschieht es auch ganz gewiß nicht. … Ich komme heute mit todtmüden Beinen aus dem Walde, habe ein hübsches Bündel Holz zusammengeschlagen und freue mich auf die warme Stube – ja post festum, da ist die Milch vergessen, keine Krume Brod im Schranke, und auf dem Leuchter steckt das letzte Stümpfchen Licht. Fräulein Jutta aber ist aufgedonnert, als ging’s zu einer Hoftafel beim Kaiser von Marocco, und spricht von Thee-Gesellschaft; na, die hätte uns noch gefehlt im Waldhause! Möchte nur wissen, mit was sie den Herrn Studenten hat tractiren wollen! O über –“

Während Sievert’s Schilderung war der Hüttenmeister flammendroth geworden; bei dem letzten Ausruf aber hob er drohend den Zeigefinger, und ein so zornsprühender Blick traf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_002.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2016)