Seite:Die Gartenlaube (1868) 747.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Was ist Dir, Mann?“ fragte Colot begierig. „Du scheinst durch heftigen Schmerz zu leiden. Ich bin ein Arzt, rede.“

Der Wilddieb heftete seine Augen auf den Fragenden, dessen Züge er in dem Halbdunkel nicht zu unterscheiden vermochte. „Herr,“ stöhnte er, „ich leide furchtbar. Die Flucht, die Mißhandlungen und vor Allem der schreckliche Ritt hieher haben mich fast getödtet. Ein rasender Schmerz zerreißt meine Eingeweide. Schon oft plagte es mich also, aber die klugen Bruder im Dorfe linderten das Weh. Sie meinen, ich trage einen Stein in mir, und wollten ihn durch Zauberei vertreiben.“

„So laßt mich untersuchen,“ rief der Arzt schnell.

„Was soll’s?“ sagte der Gefangene. „Ich muß ja doch dran, laßt mich immer heulen. In zwei Tagen ist Alles vorüber.“

„Wer weiß? wer weiß?“ entgegnete Colot, in dessen Hirn sich ein Plan gestaltete. „Laßt mich erst sehen, was zu machen ist.“

„Soll ich eine Leuchte holen?“ fragte der Schließer.

„Nein. Ich kann meiner Hand trauen.“

Der Arzt untersuchte nun sorgfältig den Wilddieb. Seine Hand hatte bald die Ursache des Leidens entdeckt. Während dessen schrie der Gefangene immer lauter und zuckte bei jeder Berührung des Doctors. Colot zitterte vor Erregung, denn der Missethäter trug wirklich jenes Leiden in sich, dessen Beseitigung in kunstgerechter Weise der Arzt möglich machen konnte.

„Ihr seid auf jede Art dem Tode verfallen, wenn Euch nicht Rettung wird,“ sagte er zu dem Wilddiebe. „Kommt Ihr vor den Richter, so tödtet man Euch; aber wenn Ihr auch selbst frei ausgehen solltet, Ihr müßt an dem Stein, der in Eurem Körper sitzt, zu Grunde gehen.“

Der Gefangene wimmerte vor Schmerz und Angst.

„Ich will Euch einen Vorschlag thun,“ fuhr Colot fort. „Ich besitze wunderbare Instrumente, mit denen ich es vermag, den quälenden Gegenstand aus Eurem Körper zu entfernen. Es ist ein Verfahren auf Leben und Tod, noch hat Niemand die geheimnißvolle Operation vollbracht, noch hat sich kein Mann gefunden, der sich unter das Messer begeben wollte. Wenn Ihr nun unter der Bedingung Eure Freiheit erhieltet, daß Ihr jenen gewagten Schnitt an Euch thun lassen wollt, würdet Ihr Euch dann meinem Messer anvertrauen?“

Der Wilddieb zauderte.

„Bedenkt es wohl. Schreckliche Qualen erwarten Euch durch des Henkers Hand, sie sind noch ärger als die, welche das Operirmesser verursacht. Ich glaube Euch die Freiheit und die Heilung versprechen zu können, wenn Ihr einwilligt, und eine gute Belohnung soll Euch außerdem nicht fehlen. Nur zwei Tage und die Henker verrichten ihr Werk.“

Der Gefangene raffte sich empor. „Sei es denn, Meister,“ rief er. „Wenn Ihr mich retten könnt, so versucht Eure Kunst an mir. Soll ich verrecken, so geschehe es lieber durch Eure Hand, als durch die des Henkers.“

Colot verordnete nun schnell einige Mittel, schrieb ein Verhalten vor und verließ das Châtelet.

Er kannte den Arzt König Ludwig’s des Elften, den Angelo Catto. Eiligst suchte er ihn auf. Lange Zeit mußte er sprechen, erläutern, auseinandersetzen. Glücklicher Weise gehörte der Doctor Angelo nicht zu den Kurzsichtigen, und obgleich er eine Regung des Kunstneides schwer zu unterdrücken vermochte, überwand doch die Achtung vor der Wissenschaft das kleinliche Hemmniß. Noch am Abend dieses Tages ließ der Arzt dem Herrscher melden, daß er ihm einen Genossen vorstellen wolle, der eine neue, bisher nur wenig bekannte Operation zu machen entschlossen sei, deren Ausführung von dem Machtspruche des Monarchen abhänge.

Ludwig der Elfte liebte, trotz aller politischen Intriguen und Wirren, in die er sich stürzte, dennoch die Wissenschaft. Er hielt namentlich die Aerzte sehr hoch, weil er stets vor dem Tode bebte. Der König war durchaus nicht feig, sondern zeigte im Gegentheil die größte Kaltblütigkeit, Verwegenheit und Todesverachtung in allen Gefahren, nur das Hinsiechen an einer Krankheit, die Gewißheit, daß er einem Leiden nicht entrinnen könne, war ihm entsetzlich. Er hielt es für höchst nothwendig, jede neue Curmethode zu begünstigen, weil er sich stets vorspiegelte, das Leiden, dessen Heilung irgend eine pedantische Rücksicht verhindere, müsse ihn, den König, heimsuchen.

Colot baute fest darauf, noch mehr auf den Charakter Ludwig’s, der an allen schrecklichen, außergewöhnlichen und blutigen Dingen besonderes Interesse fand. Er vertrieb sich oft genug die Zeit damit, kleinere Thiere durch größere, zerreißen zu lassen, oder ließ sich Folterinstrumente beschreiben, oder erfand Schreckmittel für Gefangene; dabei war er eifersüchtig auf seinen Ruhm und sah es gern, wenn neue Erfindungen auftauchten, die seine Regierungsjahre dereinst berühmt machen konnten.

Als daher Catto ihm die Mittheilung machte, willigte er sogleich ein, den fremden Arzt zu sehen, und befahl, daß derselbe ihm einen kurzen Vortrag über das neue Verfahren halten solle.

Der König wohnte im alten Louvre, in jenem Theile, der heute nach der Wasserseite zu gelegen ist. Colot harrte auf den Ruf seines Collegen im Vorzimmer, welches durch verschiedene Leibwachen und Pagen bevölkert war. Endlich rief ein Officier des Königs ihn mit Namen und der schlichte Landarzt trat in des Herrschers Gemach.

Der König saß in einem Lehnstuhle. Er hatte einen grünen, mit Fuchspelz wattirten Schlafrock an, auf seinem Haupte trug er eine schäbige, hohe Filzmütze, an welcher einige zwanzig bleierne und silberne Heiligenbildchen befestigt waren. Um den Hals hing ihm eine Schnur Amulets. Seine Füße steckten in langen, spitzen Schnabelschuhen. Der Schuh am rechten Fuße war schwarz, der des linken gelb gefärbt. Sein markirtes, boshaftes Gesicht zeigte Neugierde und Mißtrauen, als er den Eintretenden anstierte.

„Ihr sollt ein sonderbares Verfahren entdeckt haben, den sogenannten Menschenstein zu entfernen aus dem Körper,“ schnarrte er. „Aber ich glaube noch nicht recht daran. Bisher war das ein Geheimniß.“

„Das ist es auch noch, Sire,“ sagte ruhig Colot. „Nur bin ich im Besitze desselben.“

„Ihr wollt es an dem Wilddiebe von Meudon versuchen. Gut. Kommt der Schurke lebendig unter Euren Messern hervor, so mag er in des Satans Namen laufen.“ Die Hand des Königs fuhr bei diesen Worten an die Mütze, wo sie die geweihten Bilder berührte. „Wie ist denn nun Euer Verfahren?“

„Wenn ich das verschweige, so werden Ew. Majestät nicht zürnen,“ entgegnete Colot unerschrocken. „Ich hätte es schon längst veröffentlicht, wenn ich es eben nicht geheim halten wollte. Genug, daß ich mich für das Gelingen verbürge.“

„Ihr seid ein dreister Mann. Pasques Dieu!“ rief Ludwig. „So kurz zu sprechen mit mir. Wenn ich nun Eure Bitte abschlage? Euch hinaus weise? Euch als einen Schwarzkünstler verurteilen lasse?“

„Dann schaden Sie der Menschheit und – wer kann es wissen? sich selbst vielleicht, Sire. Vor einem Leiden ist Niemand sicher, der sterben muß.“

Ludwig fuhr erschrocken auf. Er schoß einen wahren Basiliskenblick auf den Arzt. „Olivier, Tristan, André – kommt!“ rief der König. Die Gerufenen traten ein. Der König erhob sich und ging zu einem Tische.

„Aber Catto hat mir von Instrumenten gesagt, die Ihr gefertigt für Euren Gebrauch, diese werdet Ihr doch zeigen?“ sagte er.

Colot verneigte sich. „Sie sind zu Euer Majestät Ansicht bereit,“ versetzte er, seine Cassette hervorholend. Er stellte sie auf den Tisch und öffnete den Deckel. Auf einer Unterlage von schwarzem Sammet sah man eine Anzahl wunderlich geformter Messer, kleiner Zangen, Lanzetten und zwei löffelartige Instrumente, deren Anwendung vollständig räthselhaft erschien. Der König hielt mit der Linken das Amulet umklammert, nahm aber mit der andern Hand die blitzenden Messer. Er betrachtete mit sichtlichem Wohlgefallen die haarscharfen Spitzen und Schneiden, klappte mit der Zange und schnitzte mit den Lanzetten.

„Welches verrichtet nun den Hauptdienst?“ sagte er. Colot zeigte die wichtigsten Messer.

„Sehr scharf – sehr leicht und gut zu handhaben, Olivier,“ sagte er zu dem Günstlinge. „Man möchte selbst einmal das Ding versuchen.“ Er fuhr mit dem Messer durch die Luft. „Hei – das muß eine Menge Blut geben. Ihr werdet sehen, der Bursche wird gewaltig schreien. Ihr laßt ihn doch binden?“

„Es wird nothwendig sein, Sire,“ entgegnete der Arzt.

Der König lächelte seltsam. „Wie nennt Ihr Eure Instrumente?“

„Die hohe Geräthschaft, Sire.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_747.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)