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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und vielseitiges musikalisches Talent wurde in der sorgfältigsten Weise ausgebildet. In der Schule Benda’s und Himmel’s erwuchs er zum Clavierspieler und Componisten ersten Ranges, und in allen wechselvollen Stimmungen seiner so erregbaren Seele flüchtete er sich zu seinem geliebten Instrument. Der alte Hofinstrumentenmacher und Kammermusikus Bachmann mußte ihm die sogenannten englischen Flügelclaviere bauen, die der Prinz vorzugsweise liebte, und von denen er, wie man sagt, dreizehn von verschiedenster Tonfärbung in seinem Palais aufstellen ließ, die er abwechselnd nach Lust und Laune spielte.

Im strengsten Studium der alten Italiener und Deutschen auferzogen, von Scarletti, Durante und Pater Martini an bis zu Bach, Mozart und Haydn, war es besonders Mozart, der Unerreichbare, dessen höchste Formenschönheit, bei allem Reichthum der Melodien und aller Leidenschaft, die Seele des Prinzen entzückte und in Banden schlug, bis die magischen Augen jenes seltsamen Zauberers ihm begegneten, der sich Ludwig van Beethoven nannte. –

So vollendet nun auch Louis Ferdinand die Schöpfungen Anderer wiedergab, liebte er es doch noch mehr sich in freien Phantasien zu ergehen, und diese eben wirkten, nach den Berichten seiner Zeitgenossen, wahrhaft hinreißend. Er vergaß dann Alles um sich her und spielte weiter und weiter, von einem Gedanken in den andern tauchend, bis ihm die Hände ermatteten und er sich plötzlich erhob wie aus Träumen erwachend. Niemand hätte ihn zu stören gewagt, keinerlei Nachricht erschien wichtig genug ihm in solchen Augenblicken zugetragen zu werden. „Dieses Glück wenigstens will ich ganz und ungetrübt genießen,“ sagte er, „man soll es mir gönnen!“

In so mancher kritischen Lebenslage fand er an seinem geliebten Clavier allein das Gleichgewicht wieder, so manchen Sturm beschwichtigten die Töne. Prinz Louis Ferdinand liebte es nicht vor einem großen Kreise zu spielen, nur Auserwählte durften ihn so hören, und vor Allem Frauen.

Wie oft hat die schöne Königin Louise seinem wunderbaren Spiel gelauscht; ebenso die ernste Rahel Levin, jene Prophetin des neunzehnten Jahrhunderts, deren Herz nicht minder groß als ihr Geist, und neben ihr vielleicht die reizende Schauspielerin Unzelmann, zu deren lachendem Bilde das Motto paßt: „wenn ihr das Leben gar so ernsthaft nehmt, was ist denn dran?“ Es mag wohl eine lange Liste reizender Frauen sein, die den Prinzen als Musiker bewundern dursten, eine Galerie weiblicher Schönheiten, unter denen die edle Henriette Herz und die wunderbare Pauline Wiesel geb. Cäsar als die hervorragendsten bezeichnet werden dürften. So verschieden wie der Charakter ihrer Schönheit war aber auch das Wesen und Leben dieser beiden Frauen. Henriette Herz mit ihren stolzen, fast classischen Zügen, der wundervollen Haltung und dem fleckenlosen Leben, jene Frau, die Prinz Louis Ferdinand einst der Rahel zuführte mit den Worten: „diese Frau ist nie so geliebt worden, wie sie es verdiente,“ und der strahlende Schmetterling Pauline, ein Wesen, das sich seiner Schönheit freute und wie ein Falter von Blume zu Blume, von Genuß zu Genuß flatterte. Von ihr könnte man sagen: „sie wurde mehr geliebt, als sie es verdiente.“

Sie klingen so märchenhaft, die Schilderungen jener Tage des Berliner Lebens und die Beschreibung der Kreise, deren Mittelpunkt Louis Ferdinand bildete. Die Frauen und nur die Frauen waren es, die den Ton angaben, Schönheit, Geist und Grazie regierten, man spielte mit den Herzen wie mit den Worten, und die Männer schienen nur da zu sein, um zu lieben, zu bewundern und mit sich spielen zu lassen. Und Einer eben war unter ihnen, der nicht nur lieben und tändeln, sondern auch geliebt, tief und wahrhaft um seiner selbst willen geliebt sein wollte, und dieser Eine war der Prinz. Ob ihm jene echte wahre Frauenliebe und Treue über Tod und Grab hinaus geworden, die er so heiß ersehnte? Wer kann es sagen?

Man hört oft die Behauptung aufstellen, daß auf die musikalische Bildung Louis Ferdinand’s, auf seine Richtung und seine Compositionen die Bekanntschaft und Freundschaft mit dem Claviervirtuosen und Componisten Dussek den wichtigsten Einfluß ausgeübt.

Johann Ludwig Dussek aus Czaslau in Böhmen hatte, als er 1790 nach Berlin kam, ein ziemlich bewegtes Leben als gefeierter Musiker in Paris und London geführt, eine Musikalienhandlung in London angelegt und durch dies Unternehmen fast sein ganzes Vermögen verloren. Mit jenem schönen Enthusiasmus und jener echten Herzenswärme, die ihn charakterisiren, näherte sich der Prinz Louis Ferdinand seinem Kunstgenossen, dessen Spiel er lebhaft bewunderte, und bot ihm in der feinsten und unwiderstehlichsten Weise alle und jede nur irgend erwünschte Unterstützung an. Seit jener Zeit war Dussek der tägliche und stets willkommene Gast im Palais des Prinzen und wurde zugleich sein Vertrauter und Freund. Mit erneutem Eifer widmete sich Louis Ferdinand nun der Composition und unterwarf mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit seine Schöpfungen dem Urtheil des erfahrenen Musikers. Dussek staunte über solch’ eminentes Talent, sowohl in dem freien Vortrag, als auch in der Composition. Er erklärte aber zugleich frei und offen, daß er hier nicht als Lehrer aufzutreten sich fähig fühlte, und in der That waren es auch nur die Rathschläge der Erfahrung und die Winke des Musikers von Profession, die der Prinz Louis Ferdinand benutzte. Nicht der Hauch eines gemeinsamen Gedankens findet sich in den Schöpfungen Beider. Dussek componirte glatt und liebenswürdig, seine Muse könnte man mit einer leicht dahinschwebenden Schwalbe vergleichen, der musikalische Flug des Königssohns ist der eines Adlers. In seinen Variationen, Quartetten, Trios, Quintetten (bei Breitkopf und Härtel erschienen) und vor allem in seinem ergreifenden F-Moll-Quatuor wogt und wallt eine Fülle tiefer Ideen, glühender Empfindung, sie sind frisch und glänzend figurirt, voller Größe und Kühnheit, regellos zuweilen, aber immer durchaus edel.

Von gleicher Verschiedenheit war das Spiel Beider. Dussek zeigte sich hier blendend und elegant, glänzend und zuweilen auch warm, der Prinz leidenschaftlich und ungestüm, voll Gluth und Seele, Licht und Innigkeit, nirgend gemaltes Feuer, echte Flammen! Einen verbesserten Dussek zu finden in unseren Tagen dürfte nicht schwer sein, bei dem Spiel des Prinzen kann man nur an Liszt und Chopin denken, nach den Beschreibungen, die davon vorliegen.

Dussek’s heiterer Sinn, sein leichtes, halb französisches Wesen waren dem Prinzen angenehm, der gefeierte Musiker verstand in seltenem Maße die Kunst den Augenblick zu genießen, er dachte nicht besonders hoch von den Frauen und kümmerte sich wenig um die Männer; alle Wärme aber, deren sein Herz fähig war, gab er seinem königlichen Freunde, an ihm hing er wie an Nichts in der Welt bis zum letzten Hauche seines Lebens. Einfluß auf die musikalische Richtung, wie sie in seinen Compositionen zu Tage tritt und in seinen freien Phantasien sich kund gab, hat nur Einer gehabt: Ludwig van Beethoven.

Himmel war es, damals 1796 noch Kapellmeister in Berlin, der dem Prinzen eines Tages Beethoven’sche Compositionen spielte, von denen Louis Ferdinand hingerissen war.

„O wer ihn kennen lernen, mit ihm reden, ihn hören konnte!“ rief der Prinz begeistert.

„Dazu könnte Rath werden; wenn Durchlaucht den Beethoven, der jetzt auf der Reise nach Wien in Leipzig verweilt, aufforderten nach Berlin zu kommen, würde er sicher nicht zögern. Man sagt, daß er ein Meister sei im Phantasiren, nebenbei freilich ein etwas seltsamer Kauz, der mit den Großen dieser Erde nicht viel Umstände macht!“

„Desto besser! Schreiben wir ihm auf der Stelle!“

Wenige Wochen später war Ludwig van Beethoven in Berlin. –

Das größte Musikzimmer des prinzlichen Palais strahlte am Abend des 10. October 1796 in einem Meer von Licht. Von den Kronleuchtern und Girandolen floß es wie Sonnenschein und das lebensgroße Bildniß Friedrich’s des Zweiten schaute aus seinem prachtvollen Rahmen ganz erstaunt darein. Das Clavier war aufgeschlagen, Notenblätter lagen auf dem Tabouret, das man daneben geschoben hatte. Auf dem spiegelglatten Parket bewegte sich eine kleine auserlesene Gesellschaft von Musikfreunden. Man erwartete Ludwig van Beethoven. Die Prinzessin Ferdinand in ihrer königlichen Ruhe rauschte in ihrem blaßgrünen Schleppkleide daher, auf den Arm ihres jungen Schwiegersohns, des Fürsten Anton Radziwill gestützt, während die Kronprinzessin Louise mit der jungen Fürstin Arm in Arm leise plaudernd folgte. Der jugendliche Prinz

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