Seite:Die Gartenlaube (1868) 642.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

anbringst. Aber damit werdet Ihr die schwarz-weiße Farbe, wenn sie vorrücken will, nicht aufhalten.“

„Na, na,“ rief die Funkenhauserin dazwischen. „Ihr werdet Euch doch nicht wegen dessen ereifern unter einander! Noch lebt der alte Gott; der wird’s schon recht machen, wenn wir nur fleißig zu ihm beten.“

„Beten, liebe Frau?“ sagte Frau Schulze. „Das Beten ist wohl recht und gut; aber hier wird es wohl nicht viel nützen. Mir scheint, hier ist das beste Gebet: ‚Hilf Dir selbst, dann wird Dir auch Gott helfen!‘“

„Nicht doch, Frau Schulze,“ sagte die Bäuerin kopfschüttelnd. „So was müssen S’ net sagen! Das Beten hilft alle Mal, und ein recht kräftig’s Gebet hat unser Herrgott noch alle Mal erhört. Denken S’ an das Bildstöckel beim großen Kirschbaum im Wald!“

„Aber liebe Frau!“ sagte Frau Schulze, ihr Lächeln nicht mehr zurückhaltend. „Ich habe vorhin geschwiegen; aber Ihr werdet doch solche Märchen nicht im Ernste glauben?“

„Nicht?“ sagte die Bäuerin in unverhehltem Staunen. „Nach meinem heiligen Glauben halt’ ich das für wahr – wenn ich bet’, dann glaub’ ich auch und spür’s inwendig, daß mein Beten was helfen muß, und wenn Sie net so beten können nach Ihrem Glauben, Frau Schulze, nachher thut’s mir leid um Ihnen – da möcht’ ich wahrhaftig net tauschen mit Ihnen.“

„Und ich sag’,“ rief Ambros dazwischen, „die Frau Schulze hat Recht. Selber muß man sich helfen. Es ist noch Keiner verlassen g’wesen, der sich selber g’holfen hat, und wenn’s überall fehlt, nachher kommen wir Oberländer und ziehen wieder auf die Münchner Stadt hinein – wir haben’s ihna schon amal ’zeigt, was wir können – selbiges Mal bei der Mordweihnacht in Sendling.“

„Wir erhitzen uns umsonst,“ sagte Günther. „Das ist immerhin eine schöne, aber auch traurige Erinnerung für Euch – damals war das Volk unter allerlei Vorwänden für Privatzwecke aufgereizt und wurde herausgelockt und dann schmachvoll im Stiche gelassen.“

„Wir haben’s aber doch durchg’setzt und haben unser Land b’halten und unsern Landesherrn,“ rief Ambros.

„Wie man’s nimmt. Wenn Frankreich nicht gewesen wäre, möchte es mit Beiden übel bestellt gewesen sein, und wie war es denn später? Als der österreichische Adler seine Krallen nach Eurem Lande ausstreckte, wer war’s denn, der ihm wehrte und noch als Greis seinen Degen in die Wagschale warf, wer sonst, als unser großer Friedrich der Einzige? Daß noch ein Baiern existirt, habt Ihr Niemandem zu verdanken, als Preußen, und es ist schlimm, wenn ein Fremder die Geschichte Eures Landes besser kennt, als Ihr selbst in Eurer kleinlichen, engherzigen Anschauung.“

Während der letzten Reden war Tonerl, welche bis dahin im Stalle beschäftigt gewesen war, eingetreten und hatte zugehört; sie schwieg – aber immer heißer stieg es ihr in’s Gesicht, und immer lebhafter begannen ihre Augen zu funkeln. Jetzt vermochte sie nicht mehr, an sich zu halten. „Nein,“ rief sie dazwischentretend, „der Ambros hat Recht. Nicht er – aber wer so reden kann, wie Sie, dem ist es eng und muß es eng sein um das Herz.“

„Toni!“ rief Günther erstaunt.

„Ist’s etwa net wahr?“ fuhr sie feurig fort. „Es red’t Ihnen kein Mensch ’was ein, wenn Sie Ihr Preußenland gern haben, und wenn Sie’s so schön machen, wie Sie nur wollen – es ist Ihre Heimath, und die Heimath ist wie ein Schatz, für den man sein Leben hergiebt, und Jedem kommt sein Schatz als der schönste vor. Aber einen Anderen muß er deswegen net auf’s Herz treten, Herr! Das ist kein richtiger Bue, der sein’ Schatz schlecht machen laßt oder gar auslachen.“

„Aber mein Gott,“ rief Günther, „wer redet denn davon?“

„Sie,“ rief das Mädchen immer heftiger, „Sie reden davon! Freilich net so g’rad heraus, wie’s bei uns der Brauch ist, aber in der versteckten Weis’, die noch viel weher thut! Probiren Sie’s einmal, kommen S’ mit Ihre Preußen und holen S’ uns unseren König fort, wenn S’ ’was erleben wollen! Und wenn unsere Bueb’n Lettfeiger wären und blieben daheim, nachher giebt’s noch Madeln g’nug, die auch umgehen können mit einem Stutzen!“

„Ah, das geht denn doch zu weit,“ sagte Günther lachend. „Ein weibliches Schützencorps! Du gingst wohl am Ende selber mit, Toni? Nun, ich denke, Ihr würdet Euch wohl besinnen, was Ihr thut! Und wenn ich nun unter den Feinden stände, würdest Du auch den Stutzen nehmen und mich niederschießen?“

„Jeden,“ rief Tonerl mit flammenden Augen, „und wenn er mir noch so fest an’s Herz g’wachsen wär’! Uns ist es net gleich, Herr, ob wir bei unserem Weiß das Schwarze haben oder das Blaue. Ich hab’s Ihnen schon g’sagt: das Schwarz, das ist die Feindschaft und der Haß; das Blau aber ist die Treu’ und die B’ständigkeit. Wer aber so denkt, wie Sie, der ist falsch! Der meint’s net ehrlich mit uns, und wenn er uns no’ so schön thut.“

Mitten in der höchsten Erregung brach ihr die Stimme, und mit einem Strome nicht mehr zurückzuhaltender Thränen stürzte sie aus der Hütte. Lautloses Schweigen waltete einen Augenblick.

„Ich glaub, es ist eine Kuh los ’worden im Stall,“ sagte die Bäuerin nach einer beklommenen Pause, obwohl sich nicht ein Laut geregt hatte. „Muß doch nachschauen, was es ist.“

Ambros folgte ihr; die Fremden waren allein. Das Essen blieb unberührt, und der würzige Kaffee duftete vergebens einladend vom Heerde her. Nach wenig Augenblicken brachen die Gäste auf und kehrten verstimmt und stumm nach dem Hofe zurück. Noch am Abend sandten sie einen Boten in’s Dorf und bereiteten Alles zur Abreise. Es waren Briefe angekommen, darunter auch für Günther der Befehl, sich beim Heere einzufinden.

Am andern Morgen waren sie beim frühesten Tagesgrauen geräuschlos und ohne Abschied verschwunden. Leute aus dem Dorfe waren gekommen, ihr Gepäck fortzubringen. Als die Funkenhauserin und Tonerl in die Stube traten, lag ein Päckchen Geld auf dem Tische; es war die Miethe für den bedungenen Sommeraufenthalt. „Ambros!“ rief die Bäuerin dem eben Vorübergehenden zu; „da nimm das Geld und trag’s in’s Dorf hinunter zum Herrn Cooperator! Er soll’s an die Armen vertheilen, ich will nichts wissen davon.“

Als sie sich wandte, gewahrte sie erst ihre Tochter, die wie versteinert dastand und sich ihr, mit einem Male laut aufschluchzend, um den Hals warf. „Steht’s so mit Dir, armer Narr?“ sagte sie ergriffen. „So hab’ ich halt doch Recht g’habt? Am End’ wär’s doch besser g’wesen, wenn die Fremden draußen geblieben wären aus unserem Haus und aus unserem Land. – Was net z’sammen g’hört, thut halt net gut beieinander!“




3. Bei Kissingen.

Der Juli-Abend ging trüb zu Ende. Es war, als schwebte über ihm ein unheimliches Vorgefühl dessen, was der folgende Morgen zu bringen bestimmt war: nur ganz zuletzt brach die Sonne durch das Gewölk und warf einen scheidenden Gluthblick auf das friedliche Thal, daß die Waldsäume der Hügel, die es umschlossen, sich rötheten und der Fluß aufleuchtete wie in blutigem Widerschein. Rascher strömten seine Wellen dahin, als eilten sie, um nicht sehen zu müssen, wie sehr das anmuthige Bild sich verändert hatte, das sie sonst den lieblich umbuschten Ufern gewohnt waren zurückzuspiegeln. Wo sonst die zahlreichen Gäste des Städtchens sich lustwandelnd ergingen, die aus allen Theilen der Welt herbeigeströmt, um an den Gesundbrunnen Heilung ihrer Leiden zu suchen oder doch sie auf einige angenehme Wochen minder schwer zu empfinden – da blitzten jetzt Waffen und leuchteten die bunt einförmigen Kleider kriegerischer Abtheilungen durch das Gesträuch; statt des sprachverwirrten Geplauders einer schönen Gesellschaft ließ sich ein wildes Durcheinander rufender Commandostimmen vernehmen, und die Klänge lustiger Musik waren verstummt vor den Lärmzeichen der Trommeln und Signalhörner, welche um die Wette wirbelten und schmetterten.

Schon im Laufe des Nachmittags hatte der entfernte Donner der Geschütze die Nachricht bestätigt, daß die Preußen mit einer starken Heeresabtheilung gegen die Saale vorgingen, um die Vereinigung der bairischen Armee mit dem achten Bundescorps zu verhindern, und daß es den Anschein habe, als sei Kissingen gewissermaßen zum Mittelpunkte des Angriffes ausersehen und dazu bestimmt, den Hauptstoß desselben auszuhalten. Auf einer Anhöhe hinter der Stadt waren daher schon Geschütze zu ihrem Empfang aufgefahren, die Stadt selbst nebst allen umliegenden Anhöhen war besetzt und alle Wege, auf welchen eine Ueberschreitung des Stromes möglich war, in Eile unzugänglich gemacht. Die Uebergänge

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_642.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)