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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Theater bedeutend mehr besucht, und selbst die Kritik ließ dem Werke jetzt einige, wenn auch nicht alle Gerechtigkeit widerfahren.

Ja, es hatte besser gefallen, aber immer noch nicht in dem Maße, wie ein über alles bisher Gehörte sich so weit erhebendes Kunstwerk gefallen mußte; das sahen wir an dem immer noch nicht ganz gefüllten Hause ebenso, wie Beethoven an seiner Tantieme, über deren geringen Ertrag er sich gerade beim Hofbanquier Baron Braun beschwerte, als ich am Tage nach der dritten Vorstellung (der neuen Bearbeitung) mein Spielhonorar bei letzterem in Empfang nehmen wollte. Während ich nämlich im Vorzimmer zum Geschäftsbureau des Barons zufällig warten mußte, hörte ich einem heftigen Streite zu, den derselbe im Nebenzimmer mit dem erzürnten Componisten hatte. Beethoven war mißtrauisch und glaubte seinen Antheil am Reingewinn größer, als ihm der Hofbanquier, welcher gleichzeitig das Theater an der Wien leitete, ausgezahlt hatte, dieser aber bemerke, daß Beethoven der erste Componist sei, den die Direction in Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste mit in Theilung gehen ließ, und erklärte ihm den Ausfall in der Casse dadurch, daß wohl die Logen und Sperrsitze alle besetzt gewesen wären, nicht aber die Plätze, in welchen des Volkes dichtgedrängte Massen eine Einnahme wie bei den Mozart’schen Opern ergeben hätten, wobei er betonte, daß Beethoven’s Musik bis jetzt sich nur bei den gebildetern Ständen Eingang verschafft, während Mozart mit seinen Opern jedesmal gleich das ganze Volk, die Menge begeistert hätte. Beethoven rannte aufgebracht durch das Zimmer und schrie laut:

„Ich schreibe nicht für die ,Menge’ – ich schreibe für die ,Gebildeten’.“

„Diese allein füllen uns aber nicht das Theater,“ versetzte der Baron wieder mit Ruhe, „zu unseren Einnahmen brauchen wir die ,Menge’, und Sie haben sich, da Sie in Ihrer Musik dieser einmal keine Concessionen machen wollten, die geringere Tantieme somit selbst zuzuschreiben. Hätten wir Mozart einen gleichen Antheil von dem Ertrage seiner Opern ausgezahlt, er würde reich geworden sein.“

Dieser nachtheilige Vergleich mit seinem berühmten Vorgänger schien Beethoven auf das Empfindlichste zu berühren. Ohne ein Wort weiter darauf zu antworten, sprang er auf und rief im heftigsten Zorn: „Geben Sie mir meine Partitur zurück!“

Der Baron stand zögernd und starrte, wie vom Schlage gerührt, in das glühende Gesicht des erzürnten Componisten, der aber wiederholte mit furchtbarer Leidenschaft:

„Ich will meine Partitur – auf der Stelle meine Partitur!“

Der Baron zog die Glocke; ein Diener trat ein.

„Die Partitur der gestrigen Oper für diesen Herrn,“ sagte der erstere vornehm, und der Bediente holte dieselbe schleunigst herbei. „Es thut mir leid,“ fuhr hierauf der Cavalier fort, „allein ich denke, daß Sie bei ruhigerer Ueberlegung –“

Beethoven hörte jedoch diese Worte nicht mehr; er hatte den riesenhaften Band dem Diener aus der Hand gerissen und rannte damit – ohne mich im Eifer zu bemerken – durch das Vorzimmer und die Treppe hinab.

Als der Baron mich wenige Minuten darauf empfing, konnte der ernste Mann ein leises Beben noch nicht verbergen; er schien zu fühlen’, welch’ einen kostbaren Schatz er aus der Hand gegeben hatte. Verstimmt sprach er zu mir:

„Beethoven war gereizt und -übereilt; Sie haben Einfluß auf ihn: bieten Sie Alles auf – machen Sie ihm jede Versprechung in meinem Namen, unserer Bühne sein Werk zu erhalten.“

Ich beurlaubte mich und eilte dem zürnenden Meister nach in sein Tusculum. Allein umsonst – er wollte kein Wort der Beruhigung hören: die zweite Bearbeitung des „Fidelio“ verschloß bereits der Notenschrank, aus welchem das Meisterwerk erst nach siebenzehn Jahren durch das Dornröschen der neuen Opernwelt, die jugendliche Schröder-Devrient, unter den Spinngeweben der Vergessenheit wie ein Phönix hervorgezaubert wurde, um in abermals geläuterter Gestalt für immer den höchsten Ehrenplatz im Repertoire der Bühnen aller Nationen einzunehmen.

Soweit die persönlichen Mittheilungen des „ersten Florestan“, welcher seine Verehrung der größten deutschen Oper nicht nur in begeisterten Reden kund gab, nein, der sie im Jahre 1832 von seiner aus eigenen Mitteln gegründeten ausgezeichneten Operngesellschaft, gleichzeitig mit dem damals neuerschienenen Freischütz unseres Karl Maria von Weber, unter dem Namen einer „deutschen Oper“ nach Paris brachte, wo die beiden Kunstwerke unserer Nation Alles übertrafen, was bisher auf den französischen Bühnen „herumklingelte“. Professor Röckel verhalf dadurch dem Fidelio, dessen Componist am 26. März 1827 mit den denkwürdigen Worten: „Hört ihr die Glocke? plaudite amici, die Decoration wechselt!“ verschieden war, zum Range einer Weltoper – und diesen Rang hat das früher so viel geschmähte Kunstwerk nie wieder eingebüßt. Bei Gelegenheit großer Ereignisse, wie die Weltausstellung zu London, hörte das Publicum den Ouvertüren stehend zu, wozu der Hof das Beispiel gab, und man bekränzte dabei auf der Scene die Büste Beethoven’s, des so tief gekränkten Componisten. Zur Galavorstellung beim Besuche Napoleon des Dritten am englischen Hofe gab man ebenfalls den Fidelio, und die „Times“ bot bei dieser Gelegenheit am 19. und 20. April 1855 in Redgrave’s Opera-Ticket-Office eine Loge zweiten Ranges für dreißig Guineen aus. So viel brachten Beethoven alle drei Bearbeitungen seiner Oper zusammengenommen nicht ein, wenn man nämlich die Kränkungen und Verfolgungen nicht für baares Geld rechnen will – und das Ende des Opernschicksals der großen Schicksalsoper zeigt wieder, wie bitter wahr es ist, daß die Deutschen ihre großen Männer immer erst nach dem Tode ehren!

Als der Componist der „durchgefallenen“ Oper Fidelio, als Beethoven, welcher noch auf dem Todtenbette unter den schmerzhaftesten Operationen so höchst charakteristisch bemerkte: „Besser Wasser aus’m Bauch, als aus der Feder“ gestorben war, da wollte ganz Wien, ja ganz Deutschland den unersetzlichen Verlust fühlen. In einem prächtigen Leichenbegängnisse that die Kaiserstadt für den Todten, was sie für den Lebenden zu thun unterlassen hatte: ihn nach Gebühr zu ehren. Wohl mehr als zwanzigtausend Menschen folgten dem Sarge zum Währinger Friedhofe, und Deutschland errichtete 1845 dem großen Meister in seiner Vaterstadt Bonn ein Nationalmonument, nach dessen bronzenem Glänze ihn das Volk in dortiger Gegend nun „den goldenen Musikanten“ nennt.




Aus dem Hamburger Hafen.

Mit Abbildung.

Jedem Binnenländer, der Hamburg besucht, ist der Hafen das Sehenswürdigste, und er pflegt halbe Tage damit hinzubringen, um die in mannigfaltigster Weise wechselnden Scenen voll Leben und Munterkeit mit reger Theilnahme zu beobachten. Fast zu jeder Tageszeit findet er hier thätige Menschen, die in Rüstigkeit und Fröhlichkeit ihr Tagewerk vollbringen, als sei die Arbeit Zweck ihres Daseins, die sich durch lauten Gesang darin fördern und durch ihr kräftiges Aussehen und Zugreifen beweisen, daß frische Luft und reichliche Bewegung am besten gesund erhalten.

Am regsten ist das Leben früh Morgens, nachdem um sechs Uhr die Glocke an der Zolljacht durch vier weithin vernehmbare Schläge das Zeichen zu allgemeiner Thätigkeit gegeben hat. Kurz vor dieser Zeit aber herrscht die tiefste Ruhe im Hafen; es ist ruhiger als selbst in der Nacht, in welcher doch mitunter der Ruderschlag eines Bootes den spät vom Lande zum Schiffe zurückkehrenden Seemann verräth. Nichts regt sich auf den Schiffen, nur bläuliche Rauchwolken, aus den Combüsen (Schornsteinen der Schiffsküchen) aufsteigend, thun kund, daß die für die leibliche Pflege der Mannschaft bestimmten Seeleute bereits in Thätigkeit begriffen sind. In größerer Ferne aber, stromabwärts, oder auch in der Mitte des Stromes in der Nähe des Hafens erblickt man die vielen kleineren Fahrzeuge, die Hunderte von Milch- und Gemüseewern, mit aufeinander gethürmten rothen Milcheimern oder flachen Körben, hochbeladene und langsam vorwärts kommende Smacks,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_606.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)