Seite:Die Gartenlaube (1868) 594.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


Er zeigte den Bergabhang hinunter, welchen eine schwarze düstere Gestalt langsam heranschritt, wie ein dunkler Schatten, der in die weite sonnenlichte Landschaft fiel.

„Jetzt weiß ich nicht,“ sagte die Bäuerin, „ob mir träumt, oder ob das wirklich unser Cooperator ist …“

„Etwas Geistliches ist es. Ihr werdet doch die Herren aus Eurer Pfarrei kennen.“

„Das wohl … aber unser alter Herr Pfarrer, der in die dreißig Jahr’ bei uns gewesen ist, hat sich in die Ruh’ gegeben und ist Beneficiat ’worden; den neuen kenn’ ich noch nicht genau, und der junge Herr da ist erst im Auswärts zu uns gekommen; kann mir auch gar nicht einbilden, was den herauf treibt auf den Funkenhauser-Hof.“

Der junge Geistliche war indessen näher gekommen; eine wohlgebaute Gestalt, welche aber der enganliegende Gürtel und der lange Talar aus schwarzem, matt glänzendem Stoffe fast überschlank erscheinen ließ; ein schwarzer niedriger Hut mit sehr breiter Krämpe beschattete ein längliches, etwas hart geschnittenes Antlitz, in welchem ein paar feurige Augen glühten, jetzt eifrig in das Brevierbuch gesenkt, das der junge Mann in den festgeschlossenen Händen trug und so, eifrig lesend, ohne aufzuschauen vorwärts schritt. So kam er hart an das Haus heran; erst auf den Gruß der Frau schlug er langsam das Buch zu, richtete den Blick der großen durchforschenden Augen fest auf das Gesicht der Bäuerin und erwiderte das „Gelobt sei Jesus Christus“ derselben in wohlklingendem, feierlichem Tone mit dem landesüblichen Gegengruße.

„In Ewigkeit, Amen!“ sagte er. „Ihr seid wohl die Funkenhauser-Bäuerin? Ich habe mit Euch zu sprechen!“

„Mit mir?“ rief die Bänerin verwundert. „Ja, was könnt’ denn das sein … Reden S’ nur Hochwürden, Herr Cooperator, mit was ich dienen kann! Wollen S’ denn nicht in’s Haus hereinkommen …“ Der Geistliche machte eine ablehnende Bewegung und sah forschend nach dem Maler hinüber, der eben sein Glas geleert hatte und dasselbe noch einmal gefüllt haben wollte. „Dann nehmen S’ halt hier vorlieb, Hochwürden,“ sagte sie eifrig, „es ist auch angenehmer hier … in der Stuben sind gar so viele Fliegen! Ich will nur dem Herrn Maler da noch ein Glas Milch holen und bin gleich wieder da!“

Sie ging; die beiden Männer blieben eine Weile allein, sich und dem weit vor ihnen aufgeschlagenen Buche der Weltoffenbarung gegenüber. Es war ein eigenthümlicher Gegensatz, den sie bildeten – Haupt und Züge des viel älteren Künstlers zeigten, daß die Welt mit vielen stürmischen Stunden darüber hingezogen, wohl auch mit manchen andern, die er, wäre es vergönnt, sie noch einmal zu leben, gewiß besser benutzen würde; dennoch war in seinem Antlitz das Gepräge der errungenen Ruhe nicht zu verkennen und aus dem an der herrlichen Landschaft hangenden Auge schimmerte ein Strahl von Glück – die strenge geschlossene Haltung des weit jüngeren Priesters zeigte, wie fern ihm die Welt lag, von welcher Erziehung und Beruf ihn von den ersten Knabenjahren an sorgfältig zu trennen und zu bewahren gewußt, aber wie keine Kampfesspur zu erkennen war, fehlte auch das Zeichen des Sieges. Hinter der anscheinend leblosen Stirn rangen ruhelose weitstrebende Entwürfe und in dem Auge, das auf den Worten des Gebetes ruhte, war der Friede noch nicht aufgegangen.

Die entzückte Umschau des Malers hatte auch ihren guten Grund.

Wäre einem Künstler oder Dichter aufgegeben worden, einen Platz zu einem Hause auszusuchen, wo es für das Auge lieblich, für den Sinn gefällig und für das Herz wohlthuend sei, sie hätten nicht vermocht, einen schönern Erdenwinkel aufzufinden. Die stattliche Vorderseite des schönen Gehöfts, nach Morgen und Mittag gewendet, beherrschte eine angenehm ansteigende breite Berghalde, auf welcher Licht und Wärme beinahe den ganzen Tag über heimisch waren und ein kleines fruchtbares Eden schufen, um so lieblicher und fruchtbarer, als nach allen Seiten hin breite Waldsäume mit mächtigen Buchenkronen oder Ahornwipfeln und hundertjährigen Riesentannen dazwischen sich wie Mauern dahinzogen, die rauhen Weststürme abhielten und die Gebäude gegen den erkältenden Nordwind schützten. Im Rücken davon und darüber hinaus, wie in einem Halbrund, stieg der eigentliche höhere Gebirgsstock hinan, ein ewiger undurchdringlicher Wall und Schutz. Nach vorn zu aber öffnete sich dem Auge ein nicht breites, doch um so lieblicheres Thal, rings von Felsen und waldigen Bergen umrahmt, während im Grunde Wiesen in bunter Blumenpracht leuchteten, grüne Matten schimmerten, Waldschatten dunkelte, Bäche und Wässer blitzten und über Allem der Sonnenschein lag, der Duft der noch von keiner Sense berührten Blumenhänge schwebte und das Summen der Käfer und der Gesang der Vögel darein klang, als wäre es ein Theil des zu Tönen gewordenen Duftens, Wallens und Wehens.

Die Bäuerin mußte durch ein Geschäft aufgehalten worden sein, denn es verging geraume Zeit, bis sie wieder kam. Der Maler gewahrte es aber nicht; die Hände unter Kinn und Bart stützend sah er unbeweglich in die Landschaft hinaus, als wolle er Linien, Töne und Farben, die blitzenden Lichter und die wallenden Schatten in sich einfangen, sie zum inneren kunstvollen Bilde zu gestalten. Er hatte darüber die Anwesenheit des Geistlichen ganz vergessen, der, noch immer in sein Brevier vertieft, die Gegend nicht eines Blickes würdigte.

„Wie, mein Herr,“ rief der Maler verwundert, als er, sich einmal abwendend, dies gewahrte, „Sie vermögen es, an einem solchen Orte zu lesen? O, nur einen Augenblick gönnen Sie diesem lebendigen Buche, und der Blick Ihrer Augen wird nicht mehr zu den todten Lettern zurückkehren!“

„Was von außen kommt, ist vergänglich,“ erwiderte der Priester ernst; „wer klug ist, lernt bei Zeiten, den Blick nach innen zu richten!“

„So?“ sagte der Maler sich erhebend im gedehnten Tone der Verwunderung. „Dann verzeihen Sie, wenn ein Mensch, der so ganz am Aeußern hängen muß, wie der Maler, Sie in Ihrem innerlichen Schauen unterbrochen hat … Jedenfalls aber sind Sie in der Gegend wohl bekannt und sind vielleicht so freundlich mir eine Frage zu beantworten … Wie heißt wohl jener Berg mit dem gewaltigen Doppelhorn, dort über der Waldbreite, unmittelbar neben dem kahlen langgestreckten Felsgrat?“

„Das weiß ich nicht,“ sagte der Caplan wie zuvor, „wir kümmern uns nicht um die Berge!“

„Nicht?“ rief der Maler, unangenehm berührt, beinahe wie zürnend entgegen. „Um was kümmern Sie sich denn – wenn es erlaubt ist, zu fragen?“

„Um das, was erhabener ist, als die Berge, und unvergänglicher, als sie!“

Dem Künstler stieg es heiß in’s Gesicht; er wollte gereizt erwidern, wie ihn die Gluth antrieb, die er in seiner Brust nährte, wie die Opferflamme in einem Heiligthum – er begegnete dem fest und erwartend auf ihn gerichteten Auge des Priesters und in ihm dem Leuchten eines ähnlichen Strahles, das einer anderen, aber gleich heilig gehaltenen Ueberzeugung entstammte – und er schwieg. Hastig packte er seinen Kasten und die anderen Geräthschaften zusammen und rief der eben herankommenden Bäuerin zu: „Ich will dort hinüber, auf den Abhang, wo die zwei Buchen stehen – es scheint ein hübscher Punkt zu sein, ich will eine Studie malen … die Beleuchtung hat gerade noch etwas von dem letzten verschwindenden Dufte des Morgens in sich! – Meine Milch nehme ich mit,“ fügte er, ihr das Glas abnehmend, leiser hinzu, „in der Gesellschaft könnte sie mir sauer werden!“

Der Geistliche wartete ab, bis er weit genug entfernt war, und lud dann die Bäuerin mit feierlicher Geberde ein, neben ihm auf der Hausbank Platz zu nehmen.

„Aber was giebt’s denn nur, Hochwürden?“ rief sie staunend. „Sie machen mir ja völlig Angst – das muß ja ’was Schreckliches sein, was Sie mir sagen wollen!“

„So ist es auch,“ erwiderte er ernst, „etwas, was das Heil Eurer Seele, das Wohl der ganzen Gemeinde und der Kirche selber betrifft …“

„So reden S’ doch – was soll ich denn thun?“

„Antworten – und mir vertrauen; die Macht, die den Sturm erregt, vermag ihn auch wieder zu besänftigen … Ihr habt, wie ich höre, schon seit mehreren Jahren zur Sommerszeit, Gäste in Eurem Hause. Es sind Fremde – aus dem Norden Deutschlands … aus Preußen – nicht wahr?“

„Ich weiß net, Hochwürden – ich kenn’ die Gegend net so genau: sie sind halt noch viele Stund’ hinter Berlin daheim – in der Mark, glaub’ ich, oder wie man’s heißt … sie sind Gutsherrnleut’ und haben auch eine große Oekonomie, wie wir …“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_594.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)