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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und an demselben Altare Euch verbindet, wo wir Beide damals uns so grausam versprachen –“ Er schwieg, seine Erinnerungen an jenen Tag überfielen ihn mit aller Gewalt, und seine Augen schlossen sich mit schmerzlichem Zittern.

„Wilhelm,“ sagte Annette und faßte seine Hand, „was sprichst Du nur Alles, was ist Dir?“

Sie hatte sich völlig aufgerichtet und sah ihn großäugig und erröthend an.

„Ich habe Dir gelobt, Dich glücklich zu machen,“ erwiderte er, indem er die Augen wieder voll Empfindung aufschlug, „und das will ich nun halten. Und was die Welt auch dazu sagen mag, Annette, – wir Drei wissen ja, daß es sein muß, und das ist uns genug. Wie wir dann dereinst mit einander leben wollen, Annette! Du und er, und ich hier Euer Nachbar, Euer Bruder! Wie die Welt uns dann beneiden soll! – Ich bin sehr glücklich, sehr zufrieden, Annette. Es thut noch ein wenig weh, – aber das würzt mir meine Freude, das macht sie mir wunderbar süß. Hier hast Du meine Hand, Schwester: ich gelobe Dir meine brüderliche Liebe. Gute Nacht! – Dieses Zimmer betrete ich nun nicht mehr!“ setzte er mit sanftem Lächeln hinzu und stand auf. „Gute Nacht, meine Schwester!“

Er hob ihre kleine Hand an seine Lippen und küßte sie, Annette aber, in fassungsloser Rührung, ergriff die seine, zog sie an ihre Brust und bedeckte sie mit ihren Küssen und Thränen.

„Genug, genug!“ sagte er verwirrt und zog sie zurück. „Es war ein wunderliches Schicksal, Annette! Es war“ – und er lächelte sie wieder an – „es war eine recht acute Ehe; die zweite, liebe Annette, soll desto chronischer werden! – Gute Nacht; fasse Dich bis morgen! Ich werde da drinnen auf meinem Divan noch ein wenig ruhen; in aller Frühe geht’s fort. Du weißt, ich muß Alles geschwind, Alles eifrig betreiben; diesmal, denk’ ich, wird der Himmel es segnen.“

Er machte sich von ihr los, da sie seine Hand von Neuem in der ihren hielt, und ging eilig hinaus. Annette sah ihm nach, und ihre Thränen flossen von tausendfachen Gefühlen.




Wie lange nach dieser ereignißvollen Nacht – zu großem Erstaunen der Welt – die öffentliche Trennung der Vermählten erfolgte, weiß ich nicht zu sagen, nur, daß sie wirklich erfolgte. Was ich hier erzählt habe, ist eine wahre Geschichte; ohne Zweifel nicht in jeder Einzelheit getreu, in allem Wesentlichen aber wirklich erlebt. Annette und Karl schlossen nach einiger Zeit ihre neue Ehe; indessen, wie man sagt, nicht eher, als bis sie Wilhelm in jedem Sinne getröstet sahen und er eine andere Lebensgefährtin gefunden hatte, die er gefahrlos und mit ruhigem Herzen lieben konnte. Seit dieser Zeit kehrte die ganze Ruhe und Glückseligkeit ihres brüderlichen Beisammenlebens zurück, und in der Gegend, in der ihre nachbarlichen Güter lagen, ist es noch heute nicht vergessen. Es mag unnütz sein, zu erwähnen, daß Demoiselle Merling auf den neuen Hochzeiten nicht zugegen war und daß sich Annette zwar nach einiger Zeit, Wilhelm aber nie wieder mit ihr versöhnte. Der Ehe Karl’s und Annettens aber entsprang eine Reihe blühender Nachkommen, die fast alle noch leben und gedeihen und die sich des Glücks und der unerschöpflichen Liebe ihrer Eltern erinnern.




Skizzen aus dem Land- und Jägerleben.

Wort und Bild von Ludwig Beckmann.
4. Auf Wildkatzen

Vor einigen Jahren hielt ich mich während einer Studienreise mehrere Monate in dem kleinen reizend gelegenen Landstädtchen H. auf und machte hier gelegentlich die Bekanntschaft eines wackeren Grünrocks, in dessen benachbartem Bergrevier ich manche frohe Stunde verlebte. Der alte Revierförster huldigte allerdings mehr dem Sylvan, als der Diana, allein unter seinem Dienstpersonal befand sich ein äußerst tüchtiger Jäger und Rauchwerksfänger in der Person eines alten Waldschützen, welchem denn auch die Leitung sämmtlicher Jagdangelegenheiten vollständig überlassen blieb. Letzterer übersandte mir nun eines Tages nachstehendes wundersames Schriftstück:

„Geehrter Herr,

In Aller Eile setze ich mich hin, weil die Polenfrau sogleich hier vorkommen wirt und der Herr Revierferster es mir aufgetragen hat, indem er zur Okziohn (Holzauction) muß. Nehmlich die große Delle (Schlucht) am Kahlen berge soll heute Abend sechs Uhr mit Schizzen umstellet werten, indem sich Widder eine Wilde kazze dorten gezeicht hat und unser Vorgesetzter in der Sichern Erwartunge ist, daß Ew. Wohlgeb. auch darbei sein werten.

     Im Auftrage dessen                Curt Halsgebinde, Waldschütz.“

Trotz der drückenden Hitze machte ich mich gleich nach Tisch auf den Weg. Die Junisonne sandte ihre glühenden Strahlen unerbittlich herunter auf die staubige, blendend weiße Chaussee, kein Lüftchen regte sich, kein lebendes Wesen war in den weiten Kornfeldern zu erblicken, nur ein paar Krähen hockten unbeweglich mit halbgeöffnetem Schnabel im hohen Wiesengrase. Auch im Kiefernwald weiter unten, auf dessen glattem, tangelbedecktem Boden der unbarmherzige Zahn der Schafe bereits die letzte Spur jedes grünen Hälmchens vertilgt hatte, war die Gluth entsetzlich. Doch endlich ist auch diese Feuerprobe unserer Jagdpassion glücklich überstanden; schon blinkt hier und da zwischen den grauen Stämmen frisches Grün hervor, und aufgehängte Strohbündel – die sogenannten „Hegewische“ – bezeichnen die Grenze der Schaftrift. Vor uns eine üppige Buchenschonung, in deren kühlem Schatten die Turteltauben gurren; drüben zeigt sich bereits das gastliche Försterhaus mit seinen Hirschgeweihen und grellgrünen Fensterläden. Eine ungeheure Rauchwolke wirbelt soeben aus dem Schornsteine in die blaue Sommerluft empor und verkündet, daß die Frau „Revierförsterin“ mit gewohnter Energie die Vorbereitungen zum Kaffee begonnen hat.

Bald sitzen wir am sauber gedeckten Gartentisch unter schattigen Obstbäumen, über uns Schwalbengezwitscher und ringsum das tausendstimmige Gesumme des Bienenschwarmes. In einem Nachbarhäuschen jenseits des Zaunes erhebt sich ein lauter Wortwechsel, der alte Curt Halsgebinde zankt sich mit seinem Sohne Heinrich. Der Revierförster steht endlich auf, um Frieden zu stiften, und wir erfahren nun beiläufig von der gesprächigen Hausfrau, daß besagter Heinrich etwas dämlicher Natur sei und durch angebornes Ungeschick jede Jagd verderbe, bei welcher er irgendwie betheiligt wird. Ihr Mann habe nun leider die fixe Idee, aus dem Jungen trotz alledem noch einmal einen tüchtigen Waldpfleger zu erziehen; sonst hätte der Curt ihn schon längst aus dem Hause geschickt.

Die sinkende Sonne mahnt zum Aufbruch; am Gartenthore harren bereits die beiden Forstgehülfen nebst dem alten Curt, sein Sohn trägt statt des Gewehrs ein mächtiges Tellereisen, in welchem die Wildkatze sich über Nacht fangen soll, falls der Anstand erfolglos bleiben sollte. Nach halbstündigem Steigen und Klettern befinden wir uns auf dem Gipfel des Kahlenberges. Heinrich erhält die gemessene Weisung, sich hier am Rande der Dickung so lange ruhig zu verhalten, bis er durch einen Jagdpfiff benachrichtigt werde, wohin er das Tellereisen zu tragen habe. Wir steigen bergab über eine völlig kahle, mit losem Steingeröll übersäete Fläche, ein wahres Steinmeer, aus welchem nur hier und da ein alter Eichenstumpf seine weißgebleichten Aeste gespenstisch zum Himmel emporstreckt. Am Rande der sogenannten „Delle“ – einer engen Schlucht mit steil abfallenden Klippenwänden – stellen die Schützen sich in gemessener Entfernung auf und harren nun lautlos auf das Erscheinen der Wildkatze. Die Wildkatze, früher wohl in allen Wäldern Deutschlands heimisch, kommt jetzt bekanntlich nur noch in den unzugänglicheren Theilen unserer Gebirgswaldungen vor und ist, wo sie sich zeigt, eine höchst gefährliche Feindin des Wildstandes. Deshalb stellt ihr der Jäger in jeder Jahreszeit eifrigst nach, sucht ihrer indeß seltener durch Schußwaffen, vielmehr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_564.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)