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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Einer vom jungen „Deutschland“.

(Schluß.)


Unter diesen Schicksalen war das Jahr 1839 herangekommen. Nach verbüßter Haft zog jetzt Laube mit seiner jungen Frau auf Reisen. Paris fesselte ihn längere Zeit. Die Freundschaft mit Heinrich Heine wurde aus einem literarischen ein persönliches Verhältniß. Dann bereiste er Frankreich – die „französischen Lustschlösser“ waren eine Frucht jener Reise – und ging bis über’s Mittelmeer nach Algerien. Das achtzehnhundertvierzigste Jahr sah ihn wieder in der Heimath, er ließ sich bleibend in Leipzig nieder. Jenes Decennium der vierziger Jahre ist bedeutungsvoll geworden für die deutsche Bühne, für unsere dramatische Literatur. Während der zwanziger und dreißiger Jahre waren die eigentlichen Träger der Literatur dem deutschen Theater fremd geblieben. Man betrachtete das Theater als eine Unterhaltungsstätte des Publicums und sprach ihm keinerlei Bedeutung zu; die hohen Maßstäbe Lessing ’s und Schiller’s schienen verloren gegangen. Jetzt wurden in der Nation alle Forderungen früherer Zeit laut, die nicht erfüllt worden waren, auch der Ruf nach einer Nationalbühne tauchte neu auf. Und die Schriftsteller der neuen Zeit begannen sich mit ihrer Production dem Theater zuzuwenden. Gutzkow und Laube gingen voran in dieser Richtung, und bald war dem deutschen Theater ein Repertoirestamm sehr werthvoller neuer Stücke zugeführt. Von Laube erschienen in rascher Aufeinanderfolge Monaldeschi, Rococo, die Bernsteinhexe, Gottsched und Geliert, Struensee, die Karlsschüler, Prinz Friedrich.

Das Leipziger Stadttheater hatte in der Mitte jener vierziger Jahre einen neuen Director erhalten, den Doctor Schmidt. Diesem kunstbegeisterten Manne stand in dem bewährten Schauspieler Heinrich Marr ein ausgezeichneter Regisseur zur Seite. Unter der Leitung dieser beiden Männer gewann das Leipziger Theater bald eine große Geltung. Ein schönes Verhältniß erblühte zwischen dem Publicum der reichen Handelsstadt und seinem Theater. Die Theilnahme an den theatralischen Darstellungen gehörte in Leipzig zum Ton guter und gebildeter Gesellschaft. Heinrich Laube, der die Leistungen der Bühne öffentlich besprach, gewann dadurch bald nähere Beziehungen zum Theater. Die Bühnenkunst literarisch fördernd, ward er selbst gefördert in technischer Kenntniß. Er lernte den Organismus eines großen Theaterwesens genau kennen, denn Schmidt und Marr besprachen mit ihm alle wichtigeren Interessen. Er wohnte den Inscenesetzungen seiner Stücke auf der Probe bei, bald leitete er diese Inscenesetzungen selbstständig. Er ward im Verkehr mit einer strebsamen und begeisterten Kunstgenossenschaft und einem erfahrenen tüchtigen Regisseur selbst ein trefflicher Regisseur. Seine Stücke fanden zum größten Theile Erfolg, und namentlich die Karlsschüler wurden begeistert aufgenommen im ganzen Vaterlande.

Der Ruf von der Trefflichkeit der Leipziger Darstellungen verbreitete sich rasch überall hin. Bald von Dresden, bald von Berlin, von Braunschweig und anderen Orten ergingen Einladungen an Laube, die Inscenesetzung seiner Stücke selbst zu leiten. Indem der Dichter diesen Einladungen folgte, lernte er in wenigen Jahren die deutschen Bühnen gründlich kennen. Ueberall wurde er freudig begrüßt; man bekannte es laut in den Kreisen der Schauspieler selbst, daß mit Laube ein neuer frischer, echter Kunstgeist einzog in jene Darstellungen, deren mise-en-scène er geleitet hatte.

Er hatte den Schauspielern imponirt nicht nur durch die geistige Ueberlegenheit eines begabten Dichters und durchgebildeten Literaten, sondern auch durch die gründliche Kenntniß ihrer Kunst, ja selbst alles Handwerks in dieser Kunst. Solch’ gründliche Fachkenntniß wirkte Wunder. Wie bereit waren die Schauspieler zu höhnischem Achselzucken über die Dichter! „Der versteht ja nichts vom Theater!“ war ein häufiger Ausdruck ihres Zunftstolzes. Laube aber verstand etwas, ja er verstand sogar recht sehr viel davon. Dadurch gewann er überall eine volle Autorität über die Kunstgenossenschaften, und es wurde allen Einsichtigen sehr bald klar, daß Laube sich in der Stille zu einem ganzen Theaterleiter entwickelt hatte. Bald auch fand sich Gelegenheit für ihn, in diese Wirksamkeit einzutreten.

Die deutsche Revolution brach aus im Frühling des Jahres 1848. Das Theater wurde von ihr nirgends mehr berührt, als in Wien. Hier hatte bisher die Censur eine unübersteigliche Mauer aufgerichtet zwischen der neuen Literatur und der Bühne. Jetzt auf einmal fiel diese Mauer in Trümmer. Man durfte fortan auf den Wiener Theatern Alles geben. Und die Theater stürzten sich mit heißer Begier auf die bisher verboten gewesenen Früchte aus dein Garten der neuen Literatur.

Natürlich dachte man jetzt auch an Laube, man nahm die Inscenesetzung seiner Karlsschüler vor. Die geistvolle Künstlerin Louise Neumann, deren schwäbisches Naturell heimathlich anklingen mochte bei dieser dramatischen Schilderung der Jugendschicksale des großen schwäbischen Dichters und welche für diese Dichtung Laube’s deshalb eine besondere Vorliebe hegte, gab brieflich dem Dichter Nachricht von der am Burgtheater gefaßten Absicht, und bei dieser Benachrichtigung floß auch eine Einladung ein, nach Wien zu kommen und die Inscenesetzung am Burgtheater zu leiten. Laube folgte dem Winke und traf im April des Jahres 1848 in Wien ein zur Leitung der Proben. Ein überfülltes Haus harrte der ersten Darstellung der Karlsschüler entgegen, und auch die Hofloge war dichtbesetzt von kunstfreundlichen Gliedern des Kaiserhauses. Das Stück erlebte eine wohl selten dagewesene glänzende Aufnahme. Die donnerndsten Acclamationen begleiteten die begeisterten Reden Friedrich Schiller’s und der für sein Schicksal eintretenden Frauen, die junge Wiener Freiheit berauschte sich in jubelnder Beistimmung zu den schwungvollen Tendenzen des Werks, und zahllose Hervorrufe forderten den Autor an die Rampe der Bühne, um den Dank des entzückten Publicums zu empfangen.

Da ereignete sich ein kleiner Zwischenfall, der für die Wendung in Laube’s Lebensschicksal bedeutungsvoll wurde. Im Wiener Hofburgtheater herrschte das Gesetz, und es herrscht noch heute, nach welchem es den Schauspielern verboten ist, sich auf den Ruf des Publicums bei aufgezogenem Vorhang zu zeigen. Dies ist eine segenvolle Verfügung. Sie hält einen ganzen Wust von Unzukömmlichkeiten von der Bühne fern. Das Unwesen der Claque ist nie lebendig geworden im Wiener Hofburgtheater, die Schauspieler werden nicht eifersüchtig auf die größere Zahl von Hervorrufen, die dem Genossen geworden, kein persönliches Parteigezänk verdirbt den harmonischen Eindruck der Darstellungen, die Aufmerksamkeit gilt hier immer dem Kunstganzen und nicht den um Beifall buhlenden Helden der Bretterwelt. Der Darstellungsstil hat sich rein erhalten von provocatorischer Declamationsmusik, und die künstlerische Andacht wird nicht gestört durch jenes widersinnige Auf und Nieder des Vorhangs nach den Actschlüssen. Man sieht in dem Schauspieler, so lange das Schauspiel währt, nur den dargestellten Charakter und zerstört sich nicht diese künstlerische Illusion dadurch, daß man ihn zwingt, als Herr X. vor den Gründlingen des Parterre hochachtungsvolle Verbeugungen zu exerciren.

An all’ das dachte aber das aufgeregte Publicum jener Revolutionszeit nicht, welches vor Laube’s Karlsschülern im Burgtheater zu Wien saß. „Das ist Zopf, und jeder Zopf muß abgeschnitten werden.“ „Fichtner! Fichtner!“ rauschte es im Beifallsorcan durch das Haus. Karl Fichtner, der Darsteller Schiller’s, sollte durchaus an der Rampe erscheinen. Laube verlor in aller Aufregung nicht seine Ruhe. Er sann darauf, die gute Sitte zu erhalten. Dem Ruf nach dem Darsteller folgte der Dichter, und an die Rampe tretend nahm er ausdrücklich für den Schauspieler den Dank des Publicums entgegen. Feinfühlig, wie das Wiener Publicum es immer ist, verstand es die leise Mahnung und belohnte die Geistesgegenwart des Dichters mit lautem Beifall.

Dieser Beweis von kaltem Blut und ruhiger Fassung in stürmischer Lage soll einer Dame des Kaiserhauses, deren Einfluß damals für allgewaltig galt und deren Theilnahme für die Kunst sich trotz aller Schläge, die ihr Herz getroffen, bis heute erhalten hat, besonders Wohlgefallen haben. Man erzählt, daß sie in jenem Augenblicke, wo Laube dem leidenschaftlichen Verlangen eines erregten Publicums energisch opponirte, zu ihrer Umgebung gesagt habe: „Das wäre ein Director für’s Burgtheater.“

Wirklich unterhandelte auch der damalige Oberstkämmerer Graf Dietrichstein mit Laube wegen Uebernahme dieses Amtes. Man wurde einig, und nur die Frage, auf welche Casse der Gehalt des neuen Directors übernommen werden sollte, blieb in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_536.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)