Seite:Die Gartenlaube (1868) 489.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Kein Meerschiff ist mein schwanker Gondelnachen,
Schwach ist mein Ruder nur im Meeressturme,
Nach Frankreich dennoch wollt’ ich auf mich machen –
Doch immer noch weht Schwarz-Gelb aus dem Thurme!
Doch endlich werd ich, Schwarz-Gelb, Deiner lachen,
Und wenn Du fliehen mußt vom Marcusthurme,
Wird Manin’s Grab man in der Heimath machen.
Wenn wir Manin auf San Michel’ begraben,
Dann wird San Marco die drei Farben haben!

Und also ist es gekommen, schneller als ich, als irgend ein lebender Mensch es damals geahnt. Kaum ein halbes Jahr, nachdem ich die Lagunenstadt verlassen, sah sich derselbe Mann, der dem todten Manin die letzte Ehre der Grabesrede versagt hatte, von der unerbittlichen Nothwendigkeit – „dem Herrscher über Alle“, wie sie die alten Hellenen nannten, – gezwungen, sein „Frei bis zur Adria!“ zu sprechen, und damit das Programm Manin’s auf seine Fahne zu schreiben. Es blieb unerfüllt für Venedig. Fast schien es, als wolle das Schicksal dem Manne des zweiten December die Ehre seiner Verwirklichung nicht vergönnen, sondern dieselbe einem Andern vorbehalten. Aber nur sieben kurze Jahre vergingen, und siehe, es kam die Erfüllung durch den Tag von Sadowa, und am 4. November 1806 war es mir vergönnt, in Florenz, der Hauptstadt des nun vollständigen Italiens, das Freudenfest der Vereinigung der Stadt Manin’s mit dem Gesammtvaterlande zu erleben. Abends durch die in einem Lichtmeere schwimmenden Straßen von dem brausenden Strome der Volksmenge zu dem Platze des alten Signoriepalastes geführt, dessen schlanker Thurm, bis zur äußersten Spitze hinauf von flackernden Feuersternen besäet, mit der tageshell erleuchteten Loggia, dem schimmernden Wasserstrahl des Neptun und den in Licht gebadeten Marmorriesen vor der Palasttreppe einen unvergleichlichen Anblick bot – da gedachte ich Manin’s und der Stunde, in welcher ich elf Jahre zuvor von dem Verbannten an demselben Tage in seiner ärmlichen Wohnung zu Paris den letzten Händedruck empfangen hatte. Er war dahingegangen in der Blüthe des Mannesalters, ohne den Tag der endlichen Befreiung zu erleben! Aber der erste Gedanke des neuerstandenen Venedigs gehörte dennoch ihm. Seine Asche wenigstens wollte es in der befreiten Heimatherde haben. Und als der Morgen des 21. März des Jahres 1808 anbrach, da, mit dein Frühlingsanfänge, hielt der todte Manin seinen Einzug in die Lagunenstadt, einen Einzug, großartiger und feierlicher als er irgend einem Mächtigen der Erde in der Stadt San Marco’s je zu Theil geworden und wie er dem größten Bürger gebührte, den Venedig seit mehr als einem Jahrhundert hervorgebracht hat.

In der langen Reihe der Dogenbilder des alten Herrscherpalastes zu Venedig erblickt der besuchende Tourist als letztes das Bild des letzten „Dogen von Venedig“, der vor siebenzig Jahren unter weibischen Thränen die tausendjährige Unabhängigkeit der Republik kampflos dem französischen Räuber überantwortete, welcher schon vorher den Raub zu Campo Formio an Oesterreich verhandelt hatte. Dieser letzte Beherrscher Venedigs aus den Reihen seiner verfaulten Aristokratie hieß Ludovico Manin.

Sieben Jahre darauf, am 10. Mai 1804, wars ein anderer Mann dieses Namens geboren. Es war Daniele Manin, der einzige Sohn Pietro Manin’s, eines venetianischen Advocaten jüdischer Abkunft. Bei dem Uebertritte desselben zum Christenthume war ein Manin, der Bruder des Dogen, Taufzeuge gewesen und hatte dem Neubekehrten zugleich, – ähnlich wie weiland die altrömischen Patricier ihren Freigelassenen, – die Annahme seines Namens gestattet. Es ist, als ob er geahnt hätte, daß der Sohn des armen Plebejers, in dessen Adern das Blut der Propheten und der Apostel floß, den stolzen Patricier-Namen Manin aus seiner späteren historischen Schande wieder zu Ehren bringen sollte. Daniele’s Vater war ein strenger Republikaner, ein Todfeind der Franzosen und Bonaparte’s, die Venedig und Italien, welche sie zu befreien gelobt, so schmählich ausgeraubt und schließlich verrathen und unter das Joch gebracht hatten. In der Gesinnung und den Grundsätzen dieses Vaters war der junge Daniele erzogen, auf dessen ungewöhnliche Begabung der Vater früh große Hoffnungen baute. Es geht eine Sage in Venedig, daß derselbe dem Knaben den Hannibalseid schwören ließ, sein Leben der Befreiung Venedigs von der Fremdherrschaft zu weihen. Mit siebenzehn Jahren promovirte der Sohn als Doctor der Rechte in Padua, mit einundzwanzig verheiratete er sich, einer Herzensneigung folgend. Bis zum vierundzwanzigsten Lebensjahre, dem gesetzlichen Alter für den Beginn der advocatorischen Praxis, mußten ihm – arm wie er war – schriftstellerische Arbeiten in seinem Fache den kargen Unterhalt gewinnen. Später besserte sich seine äußere Lage, ohne indeß jemals eine glänzende zu werden.

Ohne jemals einer geheimen Gesellschaft anzugehören, gegen die er, wie gegen alle verschwörerische Geheimbündelei, von jeher eine lebhafte Abneigung hatte, hielt der junge Advocat seine Aufmerksamkeit auf das höchste Ziel seines Interesses, auf die Wiedererweckung des politischen Geistes in Venedig, gerichtet. Die Stunden, in denen er, zur Erholung von den Mühen seines Berufes, in dem Obergestock seines auf dem Campo di San Paternian gelegenen Häuschens Tischlerei trieb, waren die Zeit, in welcher sich seine nächsten Freunde bei ihm einfanden, um die politische Constellation Europas, die Zukunft Italiens und die Möglichkeit einer Befreiung Venedigs von der Fremdherrschaft zu besprechen. Die nächste Aufgabe sah er dabei nicht, wie Mazzini, in Schürung von Aufstandsversuchen, selbst wenn dieselben keinen Erfolg versprachen, sondern vielmehr darin, überhaupt nur politische Bewegung auf den Gebieten des täglichen bürgerlichen Lebens in das Volk zu bringen. Das Volk zu gewöhnen, sich selbstthätig seiner Angelegenheiten anzunehmen, und vor Allem den Versuch zu machen, die getrennten Provinzen Venetiens und der Lombardei durch die materiellen Interessen miteinander in Verbindung zu setzen, das war sein nächstes Ziel bei seinem ersten politischen Hervortreten. Sein ganzes Verfahren bei demselben war ein durchaus praktisches, sein erster Kampf gegen die österreichische Regierung ein finanzökonomischer und industrieller. Eisenbahnanlagen und Handelsverhältnisse, der Weg der Ueberlandpost, Finanzreformvorschläge und dergleichen waren die Themata und Mittel seiner Agitation. Seine Zeitungskämpfe über die Richtung der projectirten Eisenbahn von Mailand nach Venedig, in denen er vollständig Sieger blieb, legten den ersten Grund zu seiner Bekanntheit und Popularität, und wenngleich der von ihm zu Stande gebrachte Actienverein durch einen Gewaltstreich des Gouvernements aufgelöst wurde, da dieses vielmehr darauf bedacht war, die einzelnen Provinzen zu scheiden und auseinanderzuhalten, statt sie, wie Manin und seine Freunde beabsichtigten, durch Gemeinsamkeit der materiellen Interessen einander freundlich anzunähern, so waren doch Fehlschläge, wie diese, weit entfernt, ihn zu entmuthigen, sondern nur ein Sporn für einen Mann, der als geborener praktischer Staatsmann instinctmäßig fühlte, wie in jeder politischen Agitation wahrhaft praktischer Art jedes Stück zurückgelegten Weges immer einen bedeutenden Gewinn liefert.

Bei all seinem Thun war Manin in einem nicht blos bei einem Italiener ungewöhnlichen Grade frei von aller leidenschaftlichen Ueberstürzung. Klare Einsicht und ruhige, aber feste Ueberzeugung, nicht Leidenschaft und Temperament waren es, die ihn zum Revolutionär machten. In der politischen Literatur waren es daher auch weder der phantastisch überschwängliche Mazzini, noch der für ein Italien unter dem einheitlichen Regimente des Papstes schwärmende Gioberti, welche ihn anzogen, sondern weit mehr Balbo’s Programm, der in seinen Speranze d'Italia eine Conföderation aller italienischen Staaten und Fürsten unter Sardiniens Führung und die Befreiung Italiens von der Fremdherrschaft als nächstes Ziel hinstellte. Mit Azeglio endlich theilte er dessen Motto: „Verschwörung im hellen Sonnenlichte“, Verwerfung aller Geheimbündelei und statt dessen: offenes, von gesetzlichem Boden ausgehendes Auftreten im beharrlichen Kampfe gegen alle Mißbräuche der heimischen wie der fremdherrlichen Regierungen. Er wies dabei unablässig seine venetianischen Mitbürger hin auf die vielen Punkte der von dem österreichischen Gouvernement früher selbst erlassenen und gegebenen, aber meist nicht beobachteten oder nicht in Vollzug gesetzten Institutionen und Verordnungen, welche man als ebenso viele Ausgangspunkte einer legalen Opposition benutzen könne und benutzen müsse. Freilich standen ihm bei seiner Agitation nicht, wie seinem Vorbilde O’Connell, mit dem man Manin’s Agitationsweise verglichen hat, jene mächtigen Hebel zu Gebote, welche der große irische Agitator zur Verfügung hatte. Manin’s Venedig besaß kein Versammlungsrecht, keine Tribüne, keine freie Presse, kein Associationsrecht, keine Jury mit öffentlichem und mündlichem Verfahren; wohl aber standen dem kühnen Agitator, auf den schon früh die Regierungspolizei ihr Auge gerichtet hielt, bei dem geringsten Versehen der heimliche Inquisitionsproceß und – die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_489.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)