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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

sogenannten „faulen Hypotheken“, deren Vermögen auf dem Papiere nach Tausenden und Abertausenden zählt, während sie in Wahrheit keinen Groschen besitzen. Ihre Industrie ist eine höchst gefährliche und dem Strafgesetze leider zu häufig unerreichbare und besteht darin, daß sie auf irgend ein Grundstück Hypotheken auf Hypotheken eintragen lassen, weit über den Werth desselben hinaus, natürlich ohne einen Deut dafür zu zahlen. Die darüber ausgestellten Documente werden nun an geübte Schwindler abgetreten, welche sie an den Mann bringen. Das platte Land bietet meistentheils Gelegenheit genug dazu, wie folgender Fall darthut.

Ein Bauer wünschte wegen Kränklichkeit sein werthvolles Gut zu veräußern, um seiner Heilung in Berlin ruhig entgegensehen zu können und den Rest seiner Tage in Ruhe zu verleben. Kaum hat er eine dahin zielende Anzeige in die Blätter rücken lassen, so erscheinen einige höchst anständig gekleidete Herren mit den nie fehlenden schweren goldenen Uhrketten und Lorgnetten und stellen sich ihm als die früheren Rittergutsbesitzer und jetzigen Rentiers So und So aus Berlin vor. Der Bauer wird nun in der zuvorkommendsten Weise gebeten, sein Gut zu zeigen. Nachdem dies geschehen, reisen die Herren, die mit dem Kaufpreise ganz einverstanden sind, ab, und nach einigen Tagen macht sich der Landmann, einer verbindlichen Einladung folgend, schon auf den Weg nach Berlin, um hier den Verkauf abzuschließen. Sein Empfang ist glänzend; in den luxuriösen Zimmern eines Hotels wird der arme, von dem ungewohnten Glanze und der Herablassung seiner vornehmen neuen Bekanntschaft ganz geblendete Mann den Herren von So und So, dem Baron N. und Gott weiß, wem noch, vorgestellt. Beim Glase Champagner malt man ihm aus, wie ruhig und sorglos er in der Residenz leben könnte, wenn er sein Gut gegen „feine“ Hypotheken umtauschte, wie er sich daheim hart schinden und plagen müsse, hier dagegen nichts weiter zu thun habe, als vierteljährlich seine Zinsen in Empfang zu nehmen. Und wem sollte das nicht einleuchten? Der weinselige Betrogene willigt in Alles. Am nächsten Morgen noch ein delicates Frühstück, und dann zum Notar. Das Geschäft wird abgeschlossen, und unser biederer Uckermärker reist, von seinen nobeln Bekannten noch per Droschke bis zum Bahnhofe begleitet, mit einem ganzen Paket schöner, neuer Hypothekendocumente nach Hause, um „Muttern“ sein ungeahntes Glück und seinen vortheilhaften Handel zu erzählen. Die Gauner sind inzwischen aber auch nicht müßig gewesen. Noch an demselben Tage wird der Bauernhof gegen einen baar ausgezahlten Spottpreis an irgend einen Capitalisten veräußert, der von Hause aus mit der sauberen Sippschaft unter einer Decke steckte. In etwa acht Tagen sieht man einige hochgepackte Möbelwagen das Thor passiren. Sobald diese Betten und Möbel verkauft sind, ist aus einem behäbigen Bauersmanne ein Bettler geworden, welcher der Armenpflege zur Last fällt, wenn auch nicht auf lange Zeit, denn Gram und Kummer sichern dem armen Betrogenen bald den kleinen Sandhügel auf dem Armenkirchhofe.

Der Leser würde irren, wenn er glaubte, daß derartige arge Betrügereien zu den Seltenheiten gehören. Berlin birgt eine ganz respectable Zahl solcher Hochstapler, die freilich ihrer eigenen Sicherheit halber nach verübtem Verbrechen auf einige Zeit von der Bühne verschwinden und namentlich von ihrem Opfer nie wiedergesehen werden. Gelingt es der Criminalpolizei, sie zu fangen, so brauchen sie freilich wegen freien Quartiers auf lange Zeit außer Sorge zu sein.

Man sieht, die „Metropole der Intelligenz“ ist für Unerfahrene ein heißes Pflaster, auf dem manches frische Lebensglück zu Grunde geht. Allein es ist nicht zu ändern. Die ungeheure Entwickelung einer Stadt wie Berlin muß nebst vielem Guten naturgemäß auch Böses mit sich bringen, dem übrigens unsere Behörden, es darf dies nicht geleugnet werden, mit möglichster Thatkraft entgegen wirken.

Die letzten Jahre haben überhaupt den Grundbesitz in eine recht üble Lage gebracht. Der gesteigerte industrielle Verkehr läßt es dem Capitalisten vortheilhafter und bequemer erscheinen, sein Geld in industriellen Unternehmungen zu verwerthen, die ihm nicht allein schnelleren und höheren Ertrag versprechen, sondern ihm auch die Möglichkeit gewähren, jeden Augenblick in beliebiger Weise über sein Vermögen verfügen zu können. So wendet sich das Capital vom Grundbesitze ab der Industrie zu, und zwar mit vollem Rechte. Unsere Hypothekengesetzgebung ist noch eine so starre und unbequeme, daß ein natürliches Verhältniß zwischen Grund und Boden und der Arbeit nicht eher hergestellt sein wird, als bis es gelingt, eine den Grundsätzen des modernen Lebens angepaßte Gesetzgebung zu schaffen, eine Aufgabe, mit der sich sowohl der Staat als Private gleich emsig beschäftigen. Wünschen wir, daß es ihnen bald gelinge, das Räthsel zu lösen.

Zum Schlusse sei es gestattet, einige interessante Notizen der letzten statistischen Ermittelungen über die Berliner Grundverhältnisse mitzutheilen.

Die Zahl der bebauten und unbebauten Grundstücke Berlins betrug im Jahre 1866 sechszehntausend einhundertundfünf, von denen jedes im Durchschnitte mit 16,357 Thalern Schulden belastet war. Der Werth der bebauten Grundstücke betrug 348,762,995 Thaler, der der unbebauten 6,318,830 Thaler; die Privilegien und Gerechtigkeiten, welche mit Grund und Boden zusammenhängen, wurden auf 609,515 Thaler veranschlagt, so daß der Gesammtwerth des unbeweglichen Berlins, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Summe von 355,655,340 Thalern erreichte. Dabei ist von Jahr zu Jahr eine Erhöhung des Werthes von etwa zehn Procent berechnet werden! Die Belastung stieg dagegen nur um fünf Procent. Der Durchschnittskaufpreis eines Grundstückes stellte sich unter den elfhundertundsiebenundzwanzig Verkäufen des Jahres 1866 auf 26,205 Thaler heraus, wozu allerdings noch einhundertundfünfneunzig unfreiwillige Verkäufe (Subhastationen) zum Durchschnittspreise von 15,824 Thalern (!) kamen. In jedem Jahre werden etwa vierhundertundfünfzig Neubauten begonnen.

Alle diese Gebäude wurden von dreiundzwanzig Gesellschaften mit 213,359,500 Thalern versichert und ihr Miethsertrag überstieg 21,750,000 Thaler, die von mehr als 150,000 Miethern gezahlt wurden. Von ihnen entrichteten: 47,200 Miether unter fünfzig Thaler, 54,000 zwischen fünfzig und hundert Thalern, 18,150 zwischen hundert und hundertundfünfzig Thalern, 10,000 zwischen hundertundfünfzig und zweihundert Thalern, 10,000 zwischen zweihundert und dreihundert Thalern, 5000 zwischen dreihundert und vierhundert Thalern, 3000 zwischen vierhundert und fünfhundert Thalern, 4600 zwischen fünfhundert und tausend Thalern, und 1600 über tausend Thaler Miethe.

Also fast ein Drittel aller Berliner wohnt in Räumen, die jährlich weniger als fünfzig Thaler Miethe kosten, das heißt in dumpfen, schlechten Löchern! Wer ahnte dies wohl, wenn er zum ersten Male die glänzenden Straßen der Hauptstadt des norddeutschen Bundes betritt? Es scheint in der That eins der dringendsten Erfordernisse zu sein, diesen gesellschaftlichen Uebelständen abzuhelfen; dann wird auch in Berlin nicht mehr erst der zehnte junge Mann zum Militärdienste körperlich brauchbar sein.




Der Schildknappe aus dem Thierreich.

Der Hund, aus grauer Vorzeit her der treueste Gefährte des Menschen, hat im Laufe der Jahrhunderte in seinem Geschlecht so außerordentliche Veränderungen erfahren und so viele Varietäten aufzuweisen wie keine andere Thiergattung. Klimatische Verhältnisse, Kreuzungen mit Verwandten, wie Wolf und Fuchs, Kreuzungen im eigenen Geschlecht, Verwendung, Fütterung, Pflege und Erziehung mögen die Factoren gewesen sein, so ganz verschiedene Thiere in Größe, Form, Behaarung, Farbe etc. zu bilden, welche wir sämmtlich ihrem Wesen und Charakter nach zur Familie des Hundes zählen. Manche Gattung ist wohl ganz ausgestorben, wie die der plumpen Möpse, oder die der früheren ziemlich glatt- oder stockhaarigen St. Gotthardshunde, andere sind vor Jahren neu geworden, wie die der possirlichen Affenpinscher oder die der prächtigen großen Leonberger Hunde. Die Liebhaberei, ich möchte fast sagen die Mode, spielt auch hier eine große Rolle, und daher kommt es, daß mancher Herr seinen winzigen borstigen Köter eben so liebt, wie ein Anderer seinen kolossalen vorzüglich gepflegten Racehund. Die Hauptsache bleibt aber auch hier die, daß der Hund dem Besitzer gegenüber seinen Zweck bestmöglich erfüllt, er mag aussehen, wie er will, und einer Race angehören,

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