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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

aufgesucht und im Sprachzimmer mit ihr eine längere Unterredung gehabt.“

„Und ihre Worte haben mehr vermocht, als alle meine Bitten und Ermahnungen. Du liebst sie, liebst eine Nonne!“

„Frage mich nicht, forsche nicht!“ versetzte Robert. „Laß Dir damit genügen, daß ich wieder Antheil am Leben nehme, daß ich von Neuem hoffen darf.“

„Und Teresina?“

„Fürchte nichts, nicht für mich und noch weniger für die Reine, die durch keinen irdischen Wunsch mehr befleckt wird. Sie lebt, betet und sorgt nur noch für ihre Kranken und Leidenden. Auch mich hat sie getröstet und wunderbar gestärkt, so daß ich mit ihrer Hülfe genesen werde. Ihr allein danke ich es, daß ich wieder Lust an der Arbeit finde.“

„Und wie heißt der Balsam, womit sie dies Wunder gethan?“

„Glaube und Hoffnung, Liebe und Vertrauen,“ erwiderte Robert geheimnißvoll.

Unter diesen Umständen hielt es Aurel für gerathen, seine Neugierde zu bezwingen, obgleich es ihn schmerzte, daß Robert zum ersten Mal vor ihm ein Geheimniß zu haben schien. Gegen seine sonstige Gewohnheit ging derselbe jetzt zuweilen allein, ohne Begleitung des treuen Bruders aus; auch empfing und schrieb er öfters Briefe, die er sorgfältig vor Jenem verborgen hielt. Gewöhnlich pflegte er diese Correspondenz selbst fortzutragen, statt sie, wie sonst, seinem Commissionär zu übergeben; auch vernichtete er sogleich die eingegangenen Antworten, wie Aurel beobachten konnte, als er ihn zufällig überraschte, wie er einen solchen soeben erhaltenen Brief, dessen Aufschrift eine Frauenhand verrieth, in den Flammen des Kamins verbrannte.

Anfänglich wurde Aurel durch dieses seltsame Benehmen beunruhigt, so daß er aus Furcht vor einem ebenso sträflichen als gefährlichen Liebesverhältniß mit Teresina die Schritte Robert’s im Geheimen überwachte, um ihn vor den möglichen Folgen einer neuen Thorheit zu bewahren. Bald aber mußte er seinen Irrthum erkennen und jeden derartigen Verdacht um so mehr schwinden lassen, da Teresina, wie er von dem Gondolier erfuhr, seit einigen Tagen Venedig verlassen hatte, um auf Befehl der Oberin die Pflege einer hochgestellten Kranken in Florenz auf deren besonderen Wunsch zu übernehmen.

In der That schien Robert’s letzte Unterredung mit Teresina eine wohlthätige Umwandlung seines zerstörten Gemüthes hervorgerufen, seine bisher so gedrückte Stimmung wieder gehoben zu haben. Mit früherer Lust arbeitete er jetzt an seinem neuen Gemälde, das eine Fischerfamilie in Chioggia darstellte in dem Augenblick, wo die Männer sich zur Abfahrt rüsten und von ihren Familien Abschied nehmen. Nur die sanfte Melancholie, welche auf seinem Bilde ruhte und unwillkürlich die Seele des Beschauers ergriff, verrieth dem tieferen Beobachter die geheimen Leiden des Künstlerherzens.

Seit jenem verhängnisvollen Abende in der Kirche Santa Croce, wo er mit der Prinzessin an dem Grabe Alfieri’s einen ewigen Bund geschlossen, litt Robert alle Höllenqualen einer unglücklichen Liebe. Er glaubte sich verrathen, verachtet von der einzigen Frau, die er anbetete wie nie ein anderes Weib. Ihre plötzliche Abreise, das vorangegangene Gespräch mit ihren nächsten Verwandten zeigten ihm nur zu klar den unübersteiglichen Abstand, welcher den Maler von der Fürstentochter trennte. Der Gedanke, daß sie ihn getäuscht, nur ein leichtfertiges Spiel mit ihm getrieben, verletzte seinen Stolz, verwundete ihn um so tiefer, je höher er sie gestellt, je reiner und vollendeter sie ihm erschienen war.

Ihr Abschiedsbrief hatte wie ein Blitzstrahl das luftige Gebäude seines Glückes vernichtet, seinen Liebestraum unbarmherzig zerstört, er war erwacht zu einem schrecklichen Dasein.

Matt und gebrochen schleppte sich Robert nach Venedig, wo er vergebens Vergessenheit suchte. Umsonst kämpfte er gegen die Leidenschaft seines Herzens, suchte er das Bild der Ungetreuen, die Erinnerung an seine Liebe aus der kranken Brust zu reißen.

Nicht die Auszeichnungen, die dem berühmten Künstler zu Theil wurden, nicht der Reiz der gebotenen Zerstreuung, die besten Gesellschaftskreise, welche sich ihm bereitwillig öffneten, noch die Verehrung der ersten Männer, die Zuvorkommenheit der schönsten Frauen, selbst nicht die Liebe zu seiner Kunst, die Treue des besorgten Bruders vermochte seine täglich wachsende Schwermuth zu besiegen.

Jener unüberwindliche Ekel des Daseins, welcher gerade die edelsten und größten Geister anzuwandeln pflegt, hatte Robert unbarmherzig erfaßt und den sonst so klaren Verstand umdüstert. Er fürchtete, wahnsinnig zu werden wie Tasso, der gleich ihm zu kühn seine Augen zu der Fürstentochter Leonore von Este emporgehoben, der wie er geliebt und unaussprechlich gelitten.

Zuweilen starrte er minutenlang in den ihm gegenüberstehenden Spiegel und beobachtete sein bleiches, von Leiden abgezehrtes Gesicht, das ihn mit Schauer und Furcht vor sich selbst erfüllte.

„Welch’ eine Physiognomie!“ sagte er zu dem erschrockenen Aurel, „welche hohle, gespenstische Augen! Die Fremden, denen ich auf der Straße begegne, bleiben stehen, weil sie mich für wahnsinnig halten.“

„Um des Himmels willen!“ rief der geängstigte Bruder. „Wie kommst Du zu diesem Gedanken, der mich unglücklich macht?“

„Du hast Recht,“ erwiderte er, sich gewaltsam fassend. „Ich will nicht mehr in den verwünschten Spiegel sehen, der meine Züge verzerrt. Habe Geduld mit mir und meinen Leiden.“

Mit einem erzwungenen Lächeln suchte Robert die Besorgnisse Aurel’s zu verscheuchen, den er über Alles liebte. Aber bald verfiel er wieder in sein früheres dumpfes Brüten; vor seiner Seele stand das blutige Gespenst seines Bruders Alfred, der durch Selbstmord geendet hatte. Im nächtigen Traume erschien ihm die bleiche Gestalt und deutete auf die klaffenden Wunden, unheimlich verlockende Worte ihm zuflüsternd, daß er verstört aus dem unruhigen Schlafe emporfuhr.

So verflossen für Robert die Stunden und Tage in namenloser Pein, aus der ihn jedoch, wie durch ein Wunder, die unerwartete Dazwischenkunft Teresina’s erlöst zu haben schien, obgleich er über ihre Mittheilungen selbst dem vertrauten Bruder gegenüber das tiefste Stillschweigen beobachtete.

Wie der Frühling das starre Eis schmilzt und die erstorbenen Blüthen weckt so hatte der milde Zuspruch der Nonne die finsteren Schatten von Robert’s Seele verscheucht und frischen Lebensmuth in sein wundes Herz gegossen. Wieder wurde sein Atelier der Sammelplatz der vornehmen Welt, aller Kunstfreunde, die aus der Nähe und Ferne herbeiströmten, um seine neueste geniale Schöpfung zu bewundern. Ja er verstand sich dazu, hauptsächlich aus Rücksicht für seinen Bruder, die Salons der hohen Aristokratie zu besuchen. Am liebsten jedoch verkehrte er jetzt mit den bürgerlichen Familien einiger in Venedig angesessenen Schweizer Landsleute, vor Allen aber in dem Hause eines deutschen Arztes, für dessen schöne und geistvolle Schwester Aurel sich zu interessiren schien.

„Folge meinem Rath,“ sagte er eines Tages zu dem Bruder „und heirathe so bald als möglich das holde Kind, um glücklich zu werden.“

„Du vergißt, daß ich noch nicht selbstständig, nicht in der Lage bin, eine Frau und eine Familie zu ernähren.“

„Das wird meine Sorge sein. Ich besitze und erwerbe ja genug für uns Beide.“

„Aber ich kann unmöglich eine solche Unterstützung von Dir annehmen, auch will ich Dich nicht verlassen, so lange Du noch leidend bist.“

„Wir werden uns auch nicht trennen, sondern mit einander leben wie bisher. Grüße Deine Johanna von mir.“

„Willst Du nicht mit mir kommen? Sie erwartet Dich.“

„Ich will, so lange es noch hell ist, an meiner Copie für den Grafen Raczinsky arbeiten. In einer Stunde folge ich Dir zu Deinen Freunden.“

Kaum aber hatte Aurel das Atelier verlassen, so legte auch Robert Pinsel und Palette bei Seite. Heimlich stahl er sich aus der Thür und rief den treuen Gondolier, dessen Stillschweigen er durch ein ansehnliches Geschenk erkaufte.

„Schnell zu dem Kloster der barmherzigen Schwestern!“ rief er, verzehrt von Ungeduld.

„Ich weiß schon,“ sagte Pietro. „Da muß man sich anstrengen und ein Uebriges thun.“

„Für jede Minute, die wir früher ankommen, erhältst Du einen Lira.“

Mehr bedurfte es nicht, um den Gondolier anzuspornen, aber so schnell auch das leichte Fahrzeug unter den kräftigen Stößen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_355.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)