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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

für alle Zeiten machte. Er sah den bedeutenden Mann in seiner Hingebung für das Volk, er sah seine weise Staatsleitung, sowie seine persönliche Uneigennützigkeit und Einfachheit; wie er bescheiden jeden Tag in einer kleinen Trattoria zu Mittag aß gleich dem einfachsten Bürger; wie er so wenig auf seinen persönlichen Schutz bedacht war, daß Lesseps mitten in der Nacht an sein Bett treten konnte, ohne nur einen Diener oder eine Ordonnanz finden zu können, um sich ankündigen zu lassen. Er sah ihn geliebt von der Bevölkerung, den guten Genius Roms, und dall’ Ongaro, stets für alles Gute und Schöne empfänglich, wurde ein warmer und thätiger Freund Mazzini’s.

Wer am Osterfest 1849, zur Zeit der Republik, in Rom gewesen ist, der wird sich der großen dreifarbigen Fahne erinnern, die, von der Nationalgarde geschwenkt, in der Loggia des Vaticans erschien, gleichsam als wenn das Vaterland diesmal selbst den Segen ertheilte, anstatt des entflohenen Oberhauptes der Priesterschaft. Das Volk begrüßte die Fahne mit gerührtem Jubel. Dall’ Ongaro hatte zu dieser Feier gerathen; war die Zerstörung des österreichischen Adlers der erste Act, so war diese Segnung der zweite des großartigen Dramas, das Rom damals vor dem erstaunten Europa aufführte. Römische klerikale Blätter haben später dem Dichter noch oft einen Vorwurf aus der dreifarbigen Fahne gemacht, sowie aus seiner Hingebung für Mazzini.

Mazzini war es auch, der ihn als Commissär nach Ancona und Sinigaglia sandte, wo, durch französische Einflüsterungen veranlaßt, allerlei Unruhen stattgefunden hatten und sogar viele Blutthaten begangen worden waren. Dall’ Ongaro gelang es, den schwierigen Auftrag zu erfüllen und die Excesse aufhören zu machen. Auf dall’ Ongaro’s Vorschlag wurde dann Felice Orsini das Commando Anconas übergeben, welcher dafür sorgte, daß die Ruhe ungestört blieb, und damit der französischen Regierung jeder Vorwand genommen war, eine „Republik von Mördern“, wie sie es nannte, zu bekämpfen. Doch trotz aller Anstrengungen mußte Rom den vereinten nichtswürdigen Angriffen seiner Feinde, Frankreichs, Oesterreichs, Neapels und Spaniens erliegen, es erlag der Uebermacht nach heldenmüthigem Kampf, der glorreicher war, als mancher Sieg. Dall’ Ongaro nahm an diesem Kampfe Theil bis zuletzt und suchte sich darauf ein Asyl in der Schweiz, im Canton Tessin zu Lugano, wo er mit dem edeln Patrioten, dem Grafen Giovanni Grilenzoni, verkehrte und durch seine Schriften die Flamme der Bewegung und die Hoffnung einer künftigen Wiedererhebung Italiens lebendig zu erhalten suchte. Dall’ Ongaro verdanken wir jenen in Lugano gedruckten vortrefflichen „Almanaco di Giano“, welcher die denkwürdigen italienischen Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 in kurzer, gedrängter, wahrhaft meisterhafter Darstellung enthält, sowie die treuen Lebensbilder der Helden derselben. In Lugano dichtete dall’ Ongaro auch auf den Wunsch der Schweizer Regierung, um patriotische Gefühle im Lande zu erwecken, sein Dramas „Gugliemo Tell“; er dichtete oder vielmehr improvisirte es nach den alten Volkssagen in Einer Nacht, und es wurde gespielt, wie er es auf das Papier hingeworfen. Der Beifall des Publicums war stürmisch und auch derjenige der Schauspieler so groß, daß sie die Nacht begeistert zusammenblieben und den andern Morgen mit den Fahnen, welche sie bei der Vorstellung gebraucht, durch die Stadt zogen, wo man sie mit neuem Beifall begrüßte. Unter diesem Einflüsse wurden die Wahlen erneuert und der klerikalen und österreichischen Partei der letzte Stoß gegeben. Das Drama wurde nie gedruckt, aber der erste schriftliche Entwurf verbreitete sich von Bühne zu Bühne und wurde zu dall’ Ongaro’s eigener Verwunderung häufig in Italien gegeben.

Unterdessen hörte die österreichische Regierung nicht auf, dall’ Ongaro’s Thätigkeit mit feindlichem Auge zu betrachten, und erlangte endlich vom Bundesrath 1852 seine Ausweisung aus der Schweiz. Damals schrieb ein Verehrer dall’ Ongaro’s, der früher einer der Zuhörer seiner Dantevorlesungen gewesen war, an ihn und rieth ihm, er möge ihm nur Eine Zeile schreiben, in welcher er ihn bevollmächtigte, ihm die Pforten des Vaterlandes ohne jede Bedingung zu öffnen. Des Dichters Antwort hierauf war kurz und bündig: er habe schon so viel mit andern provisorischen Regierungen zu thun gehabt und so wenig Freude davon erlebt, daß er sich mit einer solchen nicht mehr einlassen wolle! Die Satire auf die damals gefährliche Lage des österreichischen Kaiserstaates war scharf und schneidend genug! –

Dall’ Ongaro wandte sich nun mit seiner Schwester Maria, die ihn getreulich auf jedem Schritte in der Verbannung begleitete, und mit einem Neffen nach Brüssel. Dort hielt er auf’s Neue seine Dantevorlesungen, das Evangelium Italiens auch im Auslande predigend. Drei Jahre daraus erhielt er die Erlaubniß, nach Frankreich zu gehen, wo er sich gleichfalls mit literarischen Arbeiten beschäftigte und sein Ruhm auch in der Fremde sich immer mehr verbreitete. Als 1859 der Krieg mit Oesterreich ausbrach, ergriff dall’ Ongaro die ersehnte Gelegenheit, das geliebte Vaterland wiederzusehen, und ging als Correspondent eines französischen Blattes nach Italien. Nach dem Frieden von Villafranca aber konnte er nicht mehr mit dem französischen Standpunkt übereinstimmen, den er vertrat, und zog sich deshalb von dem Blatte zurück.

Er erhielt darauf in Florenz eine Professur der vergleichenden dramatischen Literatur. Von jetzt an nahm er seinen dauernden Wohnsitz in der Vaterstadt Dante’s, wo sein Haus ein beständiger Sammelplatz fremder und einheimischer Berühmtheiten ist und alle Sprachen durcheinanderrauschen. Vielleicht kennen manche unserer Leser den liebenswürdigen und geistreichen Mann persönlich und haben ihn selbst gesehen inmitten seines glänzenden Gesellschaftskreises, in welchem seine freundliche Schwester die Gäste empfängt. Deputirte, Künstler, Schriftsteller, Gelehrte vereinigen sich bei ihm; hier sieht man zuweilen den würdigen Patrioten Giovan Battista Cuneo, den alten Freund und Biographen Garibaldi’s, hier sang Angelo Brofferio seine piemontesischen Lieder, hier declamirte die geniale Improvisatrice Giannina Milli ihre hinreißenden Verse; blonde Engländerinnen und schwarzäugige Italienerinnen drängen sich mit Neugierde und Begeisterung um den Hausherrn, und wenn man ihn von so vielen schönen jungen Mädchen und Frauen wie von einem Blumenkranz umgeben sieht, so sollte man glauben, der glückliche Dichter habe nicht eine Muse, sondern deren wenigstens zwanzig!

Dall’ Ongaro ist noch immer eine schöne, stattliche Erscheinung; ist auch in den langen, malerischen Bart etwas Schnee gefallen, so sprühen dagegen aus den klugen, sprechenden Augen Jugend und Heiterkeit. Die wahre Dichternatur prägt sich in seinem ganzen Wesen aus und muß überall Zuneigung und Sympathie erwecken; sein Wort ist beredt und immer voll Geist, Witz und Güte.

Dall’ Ongaro ist ein echt vaterländischer Dichter; es ist in der That etwas von einem italienischen Körner in ihm, so schwungvoll und kühn sind seine Lieder, während seine Grazie und Anmuth, das Gemisch von Sentimentalität und Ironie, von Sanftmuth und Schärfe zuweilen an Heine erinnern könnten. Die Klage der trauernden Lombardin aus dem Jahr 1848 und das Lebewohl der Livorneserin, welche ihrem Geliebten in den Vaterlandskrieg folgt, wird Niemand ohne Rührung lesen können, während er dagegen mit heiteren Jubelgesängen den Helden von Caprera und seine Wunderthaten feiert. Das Papstthum verfolgt er mit dem einsichtigen Haß Desjenigen, der es aus der Nähe mit klarem Blick angeschaut und sich deshalb keiner Illusion über dasselbe hingeben kann. Die Freiheit, die religiöse, die politische, die sittliche, liebt dall’ Ongaro wie eine schöne Braut, der er täglich neue Kränze und Blumen darbringt, jede großmüthige und edle That findet in ihm einen beredten Sänger. Wie er in Garibaldi den kriegerischen Helden Italiens verherrlicht, so in Mazzini den geistigen Helden, den großen Propheten und Meister, von dem die intellektuelle Entwickelung und Ausbildung seiner Nation ausgeht und immer neuen Stufen des Fortschritts entgegengeführt wird. Während er so das große allgemeine Vaterland im Auge hat, bewahrt er daneben die besondere Anhänglichkeit an sein heimisches Venedig, und man kann sich nichts Süßeres, Einfachinnigeres, Heiterfroheres denken als seine in der allerliebsten venetianischen Mundart erschienene Gedichtsammlung „Alghe delle Lagune“. Seine „Fantasie drammatiche e liriche“ sind eine Reihe von Balladen, Legenden und vaterländischen Hymnen aus früherer Zeit. Manche Frau hat die „amica ideale“ beneidet, der er so innige Liebesgedichte gewidmet, und es ist viel darüber gestritten worden, ob die ideale Freundin sich nicht auch in der Wirklichkeit verkörpert habe: diese Frage bleibe Eingeweihteren zur Entscheidung überlassen! –

Auch viele Dramen hat dall’ Ongaro geschrieben, die zum großen Theil auf italienischen Theatern vielfach aufgeführt worden sind, während seine Novellen als Muster poetischer Erzählungen gelten können und verschiedene Uebersetzer fanden.

Vielleicht bietet sich später einmal Anlaß, näher auf dall’ Ongaro’s Dichtungen einzugehen; einstweilen mögen diese Blätter ihn den deutschen Landsleuten empfehlen.



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