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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mehrere seiner Gedichte, die ohne sein Wissen veröffentlicht wurden, gerechtes Aufsehen zu erregen. Zwar schlugen diese Gedichte noch keinen politischen Ton an, allein die geistlichen Behörden fingen doch an bedenklich zu werden und gestanden ihm erst nach längerm Zögern die Aufnahme in den Priesterstand zu.

Nach empfangenen Weihen verschaffte sich dall’ Ongaro die Erlaubniß zu predigen, weil er darin die einzige Art sich frei zu äußern erhoffte, die auf jedem andern Gebiet damals vollständig unmöglich war. Und der junge Priester predigte mit Pathos und Kraft, mit freisinniger, genialer Duldung, er predigte Menschlichkeit und Liebe. Es war natürlich, daß die Kirche ihn verfolgen mußte, denn er war ein Sohn des Lichtes, kein Sohn der Finsterniß!

Eines Tages predigte er in Venedig in San Francesco della Vigna über das Leben und den Tod der heiligen Margaretha von Cortona, einer Art heiligen Magdalena, die alle Sünden ihrer Jugend durch ein späteres werkthätiges und edles Leben sühnte. Niemals waren seine Worte glühender und begeisterter, er feierte jene Macht der Liebe, die auch auf die schon Gesunkenen läuternd wirkt und sie zu einem besseren Dasein zu erheben vermag. Die Beredsamkeit, die von seinen Lippen strömte, wirkte unwiderstehlich auf die Zuhörer, es war die Sprache des Herzens, es war die Stimme der Wahrheit, die einen glänzenden Sieg erwarben. Die Kirche war gedrängt voll, die ganze elegante Welt von Venedig hatte sich in ihr versammelt, und gewiß war unter den schönen, vornehmen, mit dem Ruf der Tugend geschmückten Andächtigen manche schlimmere Sünderin, als die heilige Margaretha von Cortona.

Der Erfolg war ein außerordentlicher, dall’ Ongaro’s Popularität wuchs ungeheuer, und viele Tage lang sprach man in den Salons von Venedig nur von der kühnen Predigt, von der Apotheose der heiligen Sünderin.

So groß wie der Beifall auf der einen Seite, so groß war auf der anderen das Aergerniß, welches die Geistlichkeit daran nahm, die immer feindlicher gegen dall’ Ongaro auftrat. Der erzürnte Patriarch von Venedig ließ ihn zu sich rufen und machte ihm, untermischt mit Bibelsprüchen, bittere Vorwürfe über seine Rede, indem er ihm erklärte, er würde ihm die Erlaubniß zu predigen entziehen.

„Sie verbieten mir zu predigen?“ rief dall’ Ongaro. „Gut, dann verzichte ich freiwillig auf das Uebrige. Wenn das, was in meinem Herzen lebt, wenn das, was ich der Welt zu sagen habe, gut und wahr ist, so wird Gott mir auch die Kraft geben, es gegen Ihren Willen, Ihnen zum Trotz, auszusprechen. Die Spalten einer Zeitung, die Blätter eines Buches, ja selbst die Bretter des Theaters werden mir dazu genügen. Von diesem Augenblicke an höre ich auf, Ihrem Orden anzugehören!“

Und mit diesen Worten verließ er den Patriarchen. Er entsagte nun wirklich dem Priesterstand, um seinen Ideen freier und ungehinderter in Zeitschriften, im Lehrfache und auf der Bühne Geltung zu verschaffen.

Er wandte sich nach Triest, wo er mit Valussi und einigen Anderen die „Favilla“, das erste italienische Journal dort, gründete, welches zehn Jahre lang bestand und italienische Vaterlandsliebe und italienische Cultur in Triest zu befördern suchte. Obgleich er die österreichische Unterdrückung beständig vor Augen hatte, die ihn mit Empörung erfüllte, so blieb er doch jedem ungerechten und fanatischen Nationalhaß fremd und wirkte auf dem Gebiete der Literatur und Poesie für eine innige Verbrüderung zwischen Italien und Deutschland. Er beschäftigte sich mit Vorliebe mit Goethe und Schiller und übersetzte mehrere Gedichte derselben in’s Italienische, während dagegen ein Wiener Blatt, das von Bolza und seiner Gattin geleitet wurde, Uebersichten über italienische Literatur brachte, und Mad. Bolza selbst einige Gedichte dall’ Ongaro’s in’s Deutsche übertrug. Seine 1840 in Triest in zwei Bänden erschienenen „Poesien“, Balladen, Volkssagen, Phantasien, Liebesgedichte enthaltend, sind voll Anmuth und frischem Reiz, Laute des Herzens voll Innigkeit und Kraft. Sie fanden nicht nur Beifall und Sympathie, sondern seine Ballade „Usca“ wirkte auch thatsächlich im Sinne wahrer Humanität, wie selten einem Gedicht beschieden. Der Stoff gründet sich auf eine wahre Geschichte. Eine junge Dalmatin war von ihrem Verlobten um einer anderen Frau willen verlassen worden; sie bot Alles auf, um den Ungetreuen zu sich zurückzurufen; vergeblich mahnte sie ihn an den ihr geschworenen Eid. Als nichts half, zündete sie am Vorabend seiner Hochzeit mit ihrer Nebenbuhlerin seine Hütte an und stürzte sich dann selbst in die Flammen, um mit dem noch immer Geliebten zu sterben. Man riß sie aber noch lebend aus der brennenden Hütte, und nun wurde die Unglückliche wegen Mord und vorbedachter Brandstiftung zu zwanzigjährigem Kerker verurtheilt und lebte noch in dem Gefängniß von Gradisca, als der Dichter sie durch seine ergreifende Ballade dem Mitleid der Zeitgenossen empfahl. Man bezeigte ihr nun lebhaften Antheil, und sie empfing vielfachen Trost dadurch. „Usca“ ist in Italien volksthümlich geworden, wurde und wird noch häufig auf dem Theater declamirt, Emile Deschamps übersetzte sie in’s Französische, Seidl, Tschabuschnigg und Andere in’s Deutsche.

Aber noch einen weiteren Einfluß sollte die Ballade ausüben. Als später ein anderes unglückliches Mädchen vor dem Criminalgericht zu Triest aus einer ähnlichen Ursache, wie die junge Dalmatin, des Mordes angeklagt worden war, führte einer der Räthe, derselbe Ritter von Tschabuschnigg, welcher „Usca“ übersetzt hatte, in seiner Vertheidigung diese als Beispiel zu Gunsten der Angeklagten an und brachte damit einen so mächtigen Eindruck auf die Richter hervor, daß sie die Strafe bedeutend mäßigten, auf zwei Jahre Gefängniß herabsetzten, worauf das Mädchen dann bald nachher ganz begnadigt wurde. So tröstete die Ballade eine Unglückliche und milderte das Loos der Anderen. An Tschabuschnigg übrigens sehen wir, daß es zuweilen sein Gutes haben kann, wenn ein Jurist zugleich auch Dichter ist!

Einen nicht weniger heilsamen Erfolg anderer Art hatte dall’ Ongaro’s Ballade: „La perla delle macerie!“ In dieser schilderte er eine jener Unglücklichen, die schon früh dem Laster verkauft werden, die trotzdem durch eine wahre Liebe sich veredelt, aber einmal, wie eine Sclavin ihrem Sclavenhalter, diesem und nicht mehr sich selbst angehörend, keinen Ausweg mehr zu ihrer Rettung finden können. Diese Ballade machte ein außerordentliches Aufsehen, sie war eine That, wie die Predigt zu Ehren der heiligen Margaretha von Cortona, sie war ein Aufruf zur Menschlichkeit und zum Mitleid; sie wies auf die Vergebung des Erlösers für Sünden hin, welche die Gesellschaft, die diese Sünden veranlaßt und verschuldet, mit kalter Strenge verurtheilt. Sie hatte zugleich einen wahrhaft sittlichen Kern, und nichts beweist dies schlagender, als daß eine Tänzerin in Padua, die eben die Bretter betreten hatte, als ein junger Dalmate ihr jenes Gedicht vorlas, so davon erschüttert wurde, daß sie, deren gefahrvolle Laufbahn wohl einen Vergleich mit derjenigen der „La perla delle macerie!“ zuließ, sich plötzlich und für immer vom Theater zurückzog. Und die edle Giulia Modena, die tugendhafte Gattin des berühmten italienischen Tragöden Gustavo Modena, die tapfere Patriotin, schrieb dem Dichter begeistert und gerührt, sie möchte ihm vor Dankbarkeit die Hände küssen, daß er sich mit so heilbringendem und segensvollem Mitleid ihrer armen gefallenen Schwestern annehme.

Aber auch Angriffe und Verfolgungen aller Art hatte dall’ Ongaro für das Gedicht auszustehen, und die Behörden nahmen solchen Anstoß daran, daß sie den Dichter mit Ausweisung bedrohten. Hierauf wandte er sich an den damaligen Gouverneur von Triest, Graf Stadion, und verlangte eine Unterredung mit ihm. Diese fand statt. Dall’ Ongaro fragte den Grafen, ob er die Ballade selbst gelesen habe?

„Nein, ich verstehe nicht Italienisch,“ erwiderte Stadion kurz.

„Gut, so werde ich Ihnen französisch den Inhalt erzählen,“ sagte dall’ Ongaro.

Der Graf hörte aufmerksam zu, fragte aber dann mit halb mitleidigem und halb höhnischem Lächeln: „Glauben Sie denn wirklich mit einem Gedicht aus jene verworfenen Weiber versittlichend wirken zu können?“

„Für die habe ich es gar nicht verfaßt,“ antwortete dall’ Ongaro mit Nachdruck.

„Für wen dann?“ rief Stadion verwundert.

„Für Sie, Herr Graf!“ erwiderte der Dichter, ihm kühn in’s Auge blickend.

„Für mich?“ fragte Stadion betroffen.

„Ja, für Sie,“ rief der Dichter mit Wärme. „Ihnen will ich vor das Gewissen führen, daß die Regierung, die jenen unglücklichen Wesen hundert Thüren offen läßt, um sich in’s Verderben zu stürzen, ihnen wenigstens eine Thür, einen Ausweg darbieten sollte, um sich zu retten, wenn sie selbst den Wunsch und Willen dazu haben!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_298.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)