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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Welcher?“

„Euere Metze Kartoffeln macht Euch doch nicht fett; ob nun drei Stück daran fehlen, oder nicht!’“

„Das war zwar nicht hübsch, aber immer noch kein Grund zu sofortiger Entlassung, die gesetzlich nur dann erfolgen darf, wenn ernste und wiederholte Ermahnungen fruchtlos blieben.“

„Ueberdies hatte ich ihm ein für alle Mal befohlen, meine Frau mit gnädige Frau’ anzureden; dies hat er stets unterlassen, aller Ermahnungen meiner Frau ungeachtet.“

„Haben Sie noch etwas zur Sache anzuführen?“

„Nein!“

Ich ertheilte jetzt dem Kläger das Wort; derselbe begann:

„In die Lage, in welcher Sie mich sehen, Herr Stadtgerichtsrath“ – mit diesem Titel beehrte er mich beständig –, „hat mich nur die größte Noth gebracht, welcher ich durch die Annahme jener mich tief entwürdigenden Stellung zu entgehen glaubte. Aber weit gefehlt! Schon am ersten Tage erhielt ich kein Mittagbrod, weil v. D. selber keins hatte; er behauptete jedoch, mit seiner Familie sehr gut gefrühstückt zu haben, und so ging es weiter. Und dabei sollte ich noch ‚gnädige Frau’ sagen, der ich als Baron von höherem und noch dazu von weit älterem Adel bin, als der Verklagte …“

Hierbei geriethen beide Edelleute in einen erbitterten Rangstreit, dem ich mit der Erklärung ein Ende machte, daß der Verklagte dem Antrage des Klägers gemäß verurtheilt sei.

Was aus Herrn v. D. geworden ist, weiß ich nicht. Baron R. hat einer reichen Dame aus bürgerlichem Stande die Hand gereicht und sie zu seiner Sphäre emporgehoben: er ist jetzt als feiner Rheinweinkenner in dem berühmten I.’schen Locale hoch geehrt.

Ein anderer Streitfall zwischen Herrschaft und Bedienung nahm vor einigen Jahren mein größtes Interesse in Anspruch.

Ein armes Dienstmädchen verklagte ihre Herrin, die Frau Geheimräthin L., welche es sich nicht nehmen ließ, im Klagebeantwortungstermine persönlich zu erscheinen. Die Klägerin, der ich als Rechtsbeistand beigeordnet war, hatte soeben die Charité verlassen, wohin sie eine böse Augenkrankheit gebracht hatte, und machte einen sehr vortheilhaften Eindruck. Sie war erst achtzehn Jahre alt und verwaist. Der Vater, ein armer Landschullehrer, hatte ihr nichts als eine ziemlich gute Erziehung geben können, und nach seinem Tode war sie nach Berlin gekommen, wo sie ein böser Zufall in das Haus der Frau Geheimräthin gebracht hatte. Aufgefordert, ihre Klaggründe nochmals zu erörtern, erzählte sie:

„Vor etwa einem halben Jahre las ich in den Zeitungsanzeigen, daß Frau Geheimräthin ein Stubenmädchen brauche; ich bewarb mich um die Stelle und erhielt sie unter der Zusicherung, daß ich einen sehr guten Dienst haben würde. Der Lohn war auf vierteljährlich neun Thaler festgesetzt. Allein schon der nächste Morgen brachte mir bittere Täuschung. Meine Verköstigung erwies sich als so spärlich, daß an Sattwerden nicht zu denken war. Die Zeit, welche nach allen wirthschaftlichen Verrichtungen übrig blieb, wurde ich mit dem Nähen weißer Wäsche beschäftigt, was ich gut verstehe, und zwar an jedem Tage, selbst den Sonntag nicht ausgenommen, bis nach zwölf Uhr Nachts. Ausgehen durfte ich gar nicht. Da sich meine Augen durch das anstrengende Arbeiten zu entzünden anfingen, machte ich meiner Herrin davon Mittheilung und bat sie, mich von dieser Beschäftigung zu befreien. Als Antwort erhielt ich eine Ohrfeige und die Zusicherung, daß ich, falls ich mir noch einmal dergleichen erlaubte, zum Hause hinausgeworfen würde. So nähte ich denn weiter, bis ich es nicht mehr aushalten konnte und in das Krankenhaus mußte. Meine Herrin hatte, wie ich später erfahren habe, das von mir mit Nähen verdiente Geld eingesteckt; denn die Wäsche war nicht, wie sie mir sagte, für sie und die Ihrigen, sondern für ein hiesiges Geschäft genäht worden.“

Jetzt erbat ich mir’ als Rechtsbeistand der Klägerin das Wort und verlangte nicht nur die Auszahlung des vollen Lohnes für ein Vierteljahr, sondern auch noch Rückerstattung des von ihr verdienten Näherlohns an sie, sowie Zahlung der ziemlich bedeutenden Curkosten, welche die Verwandten meiner Clientin für sie berichtigt hatten.

„Das ist eine impertinente Forderung,“ brauste die Verklagte auf, „ich kann meine Domestiken beschäftigen, wie ich will, wenn ich nur …“

Weiter ließ sie der Richter nicht kommen. „Verklagte,“ begann er auf das Ernsteste, „Sie haben sich soeben einer Beleidigung eines Beamten im Dienste schuldig gemacht; ich rathe Ihnen sehr, dem Herrn Referendar schleunigst Abbitte zu leisten, um möglicher Weise eine Gefängnißstrafe von sich abzuwenden. Geben Sie zu, der Klägerin unzureichende Nahrung gewährt zu haben? Geben Sie ferner zu, dieselbe mit Nähen für fremde Rechnung beschäftigt zu haben, und zwar in dem Maße, daß sie dadurch ein Augenleiden bekam? Haben Sie endlich das so verdiente Geld erhoben und für sich behalten?“

„Nein!“ rief sie schnippisch.

„Dann muß die Klägerin die Beweismittel für ihre Behauptungen angeben.“

Dies geschah. Nun folgte Beweistermin auf Beweistermin; es wurden mehrere Mädchen vernommen, die früher gleichfalls in Diensten bei der Verklagten standen; ein ärztliches Gutachten wurde eingefordert, der Weißwaarenhändler mußte erscheinen, und alle Aussagen fielen zu Ungunsten der Geheimräthin aus. Da aber derartige Termine nicht billig sind, so beliefen sich die Gerichtskosten fast eben so hoch, wie die Summe, zu deren Zahlung sie verurtheilt wurde.

Es ist merkwürdig, daß die komischen Scenen auf den Bagatellcommissionen fast immer vom schönen Geschlechte ausgehen. Eines Vormittags wurden die Lachmuskeln der Anwesenden nicht wenig in Thätigkeit gesetzt. Eine ehrsame Bürgersfrau hat ihrem hübschen Töchterchen ein Paar neue Schuhe bestellt, die nicht nach Wunsch ausgefallen sind, und verweigert deshalb die Bezahlung. Der Schuster klagte, und nun erschienen die Verklagte im Beistande ihres Ehemannes, Fräulein Tochter mit den ungerathenen Stiefelchen und der höchst erboste Schuster. Natürlich suchte ich einen Vergleich zu Stande zu bringen, wozu auch der männliche Beistand rieth. Kaum begann er aber zu sprechen, so wurde ihm von seiner theuren Ehehälfte sehr energisch der Mund verboten, worauf er schwieg. Dies wiederholte sich zur großen Freude des Publicums so oft, bis ich der Frau ein angemesseneres Betragen anrathen mußte. Es blieb nun nichts weiter übrig, als Beweis aufzunehmen; die Schuhe wurden unter Oberaufsicht des gleichfalls geladenen Sachverständigen anprobirt. Hoch erröthend ließ das schöne Kind dieses Verfahren an sich vorübergehen, dessen verhängnisvolles Ergebniß Seitens des Sachverständigen dahin zusammengefaßt wurde: die Schuhe sind zu eng! Hatten nun vorher die Parteien gezankt, so zankten jetzt die beiden Fachgenossen mit Hintansetzung aller collegialischen Rücksichten, zu nicht geringem Ergötzen sämmtlicher Anwesenden. Schuster wird abgewiesen, zahlt Kosten und erhält sein Machwerk zurück. Von Rechts wegen! Der Sachverständige bekommt einen Thaler Gebühren, wovon Madame mit großer Befriedigung Notiz nimmt, und die Sache ist abgemacht.

Ein ganzes Lexikon unschöner Redensarten kann man aber sammeln, wenn die Damen unserer Halle, hier zu Lande „Hökerweiber“ genannt, um Gerechtigkeit schreien. Ein Fall ist mir noch frisch im Gedächtniß. Es handelte sich um den Tod einer Katze. Madame N., denn dieser Titel ist einmal nicht zu missen, und Madame M. waren Jahre lang treue Freundinnen; sie saßen auf dem Dönhofsplatze neben einander, tranken aus einer Kanne ihren Kaffee und waren in puncto der Durchhecheleien stets einer Meinung gewesen. Das Unglück wollte, daß Madame N. mit Würsten handelte, nach denen das Mietzchen der getreuen Nachbarin mehr Appetit zeigte, als es sich mit den gesetzlichen Vorschriften über Mein und Dein vereinbaren läßt. Kurz und gut, Mietzchen bekam eines Tages einen Genickschlag, der ihren Lebensfaden durchschnitt. Mit Hülfe eines Winkeladvocaten klagte Madame M. Sie beschreibt im Termine die herrlichen Tugenden, welche die Entschlafene zierten, als sie das Licht noch sah. Die Verklagte dagegen, des schönen Sprüchwortes: De mortuis nil nisi bene (über die Todten soll man nur Gutes reden), ganz uneingedenk, behauptete höhnisch, es sei eine Katze gewesen, wie jede andere, nur etwas alt, daher ohne eigentlichen Geldwerth, und von fünf Thalern Entschädigung könne vollends keine Rede sein.

Beide Damen geriethen nach und nach in eine unbeschreibliche Wuth. Sie überhäuften sich, ihre gegenseitigen Vorfahren und Nachkommen derartig mit Schmähungen, daß an ein Verhandeln gar nicht mehr zu denken war. Sie mußten gewaltsam nicht nur aus dem Zimmer, sondern auch noch aus dem Gerichtsgebäude gebracht werden; auf Grund eines thierärztlichen Gutachtens erhielt Klägerin später

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_266.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)