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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 15.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Im Hause der Bonaparte.

Historische Erzählung von Max Ring.
1.

An einem wunderbar schönen Octobertage des Jahres 1823, wie ihn nur der milde Himmel Italiens kennt, gingen zwei junge Künstler durch die Straßen Roms, um in einer der zahlreichen Osterien vor dem Thor eine frische Foglietta zu leeren und sich zugleich an der Aussicht auf die herrliche Landschaft und an dem lustigen Treiben des Volkes zu ergötzen.

Während der Jüngere, der Victor Schnetz hieß, seine französische Leichtblütigkeit nicht verleugnete, verriethen die mehr interessanten als schönen Züge seines älteren Begleiters, Namens Leopold Robert, einen tiefen, fast melancholischen Ernst, der sich auch in der geführten Unterhaltung kundgab.

„Ich weiß nicht,“ sagte er, „was mich bei dem Anblick Roms so traurig stimmt und mir das Herz zusammenschnürt.“

„Und doch,“ erwiderte sein Freund, „giebt es keine schönere, keine interessantere Stadt der Welt.“

„Schön, wie die Leiche eines geliebten Weibes, wie die trauernde Niobe, die um den Verlust ihrer Kinder klagt, erhaben, wie der zu Stein gewordene Schmerz.“

„Was Du für seltsame Gedanken hast! Ich glaube fast, daß Du, wie die meisten Schweizer, an jener eigenthümlichen Krankheit leidest, die man Heimweh nennt.“

„Wohl sehne ich mich nach meinen blauen Bergen, nach dem Hause meiner Eltern –“

„Und nach einem schönen Kinde, nach der Geliebten, die Du in La-Chaux-de-Fonds zurückgelassen hast.“

„Ich habe keine andere Geliebte, als meine Kunst,“ versetzte Leopold Robert, den Scherz des Freundes fast heftig abweisend.

„Das muß wohl wahr sein, denn Keiner von uns Allen arbeitet so fleißig wie Du und sitzt so unablässig an seiner Staffelei. Wenn ich Dich nicht heute mit Gewalt entführt hätte, so würdest Du noch immer an Deinem Bilde weitergemalt haben bis zur dunklen Nacht. Wenn Du es so forttreibst, mußt Du Dich zu Grunde richten und Deine Gesundheit aufreiben. Ich wundere mich gar nicht, daß Du bei einem solchen Leben melancholisch wirst.“

„Und doch bin ich noch weit entfernt von meinem Ziel!“ seufzte Robert.

„Zum Henker,“ erwiderte der Freund, „Du wirst mich noch ganz ärgerlich machen mit Deinen ewigen Klagen. Bist Du nicht der beste Schüler unseres Meisters David, malst Du nicht so gut und noch weit schöner als wir Alle? Hast Du Dir nicht durch Dein Talent Freunde und Gönner erworben, welche Deine Bilder nicht nur loben, sondern auch kaufen und baar bezahlen? Mensch, ich begreife nicht, was ein Künstler noch mehr verlangen kann.“

„Das Alles genügt mir nicht. Ich fühle meine Ohnmacht, mich verzehrt die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Ideal der Kunst.“

„Ah, Du willst ein neuer Raffael oder Correggio werden, die Welt mit Deinem Ruhm erfüllen. Laß Dir, wenn ich Dir rathen darf, diesen Gedanken vergehen. Wen und was sollen wir denn malen? Unsere Helden sind tapfere Unterofficiere, unsere Staatsmänner blasirte Diplomaten, unsere Handelsfürsten jüdische Krämer und Börsenspekulanten. Was kann diese Misere dem Künstler bieten?“

„Du vergißt das Volk, in dem noch immer die Poesie der Schönheit lebt.“

„Das Volk,“ erwiderte Schnetz verächtlich, „daran habe ich gar nicht gedacht. Das giebt höchstens ein Genrebild oder eine Caricatur.“

„Und doch findest Du allein im Volke die ewigen Typen des Künstlers, wirklichen Charakter, Wahrheit und Natur, welche Du in den höheren Ständen vergebens suchst. Unter den Frauen des Volkes hat Raffael seine unsterblichen Madonnen, unter den Männern die erhabenen Gestalten seiner Apostel erblickt. Derselbe Quell fließt auch für uns in seiner unerschöpflichen Fülle, wenn auch verborgen in der Tiefe, so daß er sich dem gewöhnlichen Auge entzieht. Glücklich, wer ihn findet und aus ihm Erquickung für sich und seine Zeitgenossen schöpfen darf!“

Unter diesen Gesprächen waren die Freunde unbemerkt zu den sogenannten Termini, den Ruinen altrömischer Bäder, gelangt, die jetzt zum Gefängnisse für Diebe und Mörder dienten. Die Prachtbauten eines Diocletian, früher die Bewunderung der Welt, der Mittelpunkt des kaiserlichen Luxus, wurden jetzt von elenden Verbrechern bewohnt, welche unter der Aufsicht bewaffneter Sbirren und Gensd’armen in dem offenen Hofe mit verschiedenen Arbeiten im Freien beschäftigt wurden.

Unwillkürlich blieb Leopold Robert stehen, gefesselt von dem interessanten Schauspiel, das sich den Blicken des Künstlers hier unerwartet darbot. Die meisten dieser Gefangenen zeichneten sich durch ihre classischen Gestalten, durch ihre elastischen Bewegungen und durch ihre männlich schönen Züge aus. In diesen dunklen Augen blitzte das alte Heldenfeuer, in den wilden kühnen Linien des antiken Profils verrieth sich eine angeborene Thatkraft, ein unbezwingbarer Muth, eine zwar rohe, aber gewaltige Energie und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_225.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)