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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 10.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Wort.
(Fortsetzung.)


Der Rechtsanwalt oder, wie die Bauern ihn nannten, der Doctor Rostmeyer wohnte in einem Städtchen, welches nicht eine Stunde Weges von dem Herbothofe entfernt lag. Die Stunde Entfernung hatte Mariannens Vater nicht abgeschreckt, weil es doch nun einmal Sonntag war, noch am Abend zu dem Doctor zu gehen, um mit demselben über die Verlobung seiner Tochter zu reden, d. h. über die Seite der Sache, welche der Bauer bei jedem in die Sphäre des Gemüthslebens fallenden Ereignisse zunächst bedenkt und in’s Auge faßt – die praktische.

Der Bauer wurde, als er in der Dämmerung in das Haus des Rechtsmannes trat, in dessen Geschäfts- und Arbeitszimmer geführt und fand den Doctor beschäftigt, Cigarren aus einer Kiste zu nehmen und in ein großes Etui zu stecken, da er im Begriff war, sich in das Casino der kleinen Stadt zu begeben. Er war bereits im Ueberzieher und hatte die dunkle Tuchmütze auf dem Kopfe.

„Hat’s Eile, Herbotbauer?“ sagte der Advocat, sich nach dem Eintretenden umschauend und dann in seiner Beschäftigung fortfahrend … „Ihr kommt spät, und ich stehe im Begriff, auszugehen.“

„Dann will ich Sie nicht hindern, Herr Doctor; so große Eile hat’s just nicht! Ich wollte nur ein wenig überlegen mit Ihnen und hören, was zu thun sei …“

„Ueberlegen? Was giebt’s denn auf dem Herbothofe Neues, was zu thun machte?“

„Nun, viel Neues just nicht; Sie wissen, oder vielleicht wissen Sie auch nicht, ich habe schon eine Weile nach der Anna Kamp vom Kamphofe gefreit und möchte nun mit der Zeit an’s Heirathen denken …“

„In der That, seid Ihr so weit mit der Anna? Ich hab’ geglaubt, sie wollte nicht mit einer Stieftocher von gleichem Alter wie sie zusammen hausen?“

„Das ist in der That so, Herr Doctor; allein da die Marianne sich nun auch verlobt hat …“

„Die Marianne hat sich verlobt? Ei, sieh doch!“ versetzte der Advocat. „Und wen bekommt sie denn?“

Der Herbotbauer strich sich über den Schädel und sein aschfarbenes Blondhaar gar glatt und säuberlich in die breite Stirn hinein.

„Es soll noch ein wenig Geheimniß sein,“ versetzte er dabei zögernd; „sie hat mir’s selber erst heut’ Abend anvertraut, und ich habe ihr in die Hand geloben müssen, noch nichts davon zu verlautbaren.“

„Dummes Zeug, Herbotbauer! Es muß ja doch bald bekannt werden,“ fiel der Advocat ein, der, nachdem er sein Etui in die Tasche gesteckt, eine der Cigarren abschnitt, und anzündete, und dann ging, aus der Ecke seinen Stock zu holen. „Seinem Doctor und seinem Advocaten muß man reinen Wein einschenken; also heraus mit der Sprache!“

„Nun ja, ich weiß, daß man Ihnen auch reinen Wein einschenken darf, und der Marianne kann’s auch ganz eins sein, ob ich’s Ihnen sage. Es ist der Friedrich Schwelle, der als Unterofficier bei der Artillerie steht. Sie haben ihn vielleicht gekannt, als er noch bei unserem Schulmeister …“

„Der Friedrich Schwelle?“ rief der Advocat aus, der bei diesem Namen sich plötzlich rasch umdrehte, seinen Stock in der Ecke vergaß und den Herbotbauer aus seinen blauen, großen, weit vorstehenden Augen ansah, als hätte ihm dieser etwas ganz Besonderes und Verwunderliches gesagt.

„Der Friedrich!“ wiederholte der Bauer.

Doctor Rostmeyer stand noch immer und glotzte ihn an, als ob ihm die Nachricht ganz unglaublich viel zu denken gäbe. Er stand unbeweglich und sagte kein Wort. Herbot starrte ihn wieder an. Er konnte sich nicht erklären, was den Doctor Rostmeyer so betroffen machte. Was hatte der Mann?

„Verwundern Sie sich so?“ fragte er endlich, „daß ich meine Tochter einem Unterofficier und einem …“

„O nein, nein, nicht deshalb!“ antwortete Doctor Rostmeyer.

„Ich weiß,“ fuhr der Herbotbauer fort, „die Leute werden ein wenig den Kopf dazu schütteln, aber ich mache mir nichts daraus. Der Friedrich ist, so lang er hier beim Schulmeister war, immer ein Ausbund von Bravheit gewesen, und immer der Erste in der Schule; und jetzt hat er den Krieg mitgemacht und ich hab’ mir sagen lassen, er hätte zwei Medaillen wie die Andern, aber eine noch ganz extra bekommen wegen seiner besonderen guten Führung; die Marianne sagt, er bekomme nächstens eine Beförderung; so ein sieben oder acht Jahr hat er gedient, und da er im Felde war, zählen zwei doppelt, und über ein paar Jahre also bekommt er eine schöne Anstellung im Civil mit einem tüchtigen Gehalt … für den Friedrich ist mir nicht bange; weshalb soll ich ihm meine Tochter nicht geben? Ich bin ein zu vernünftiger Mann, Herr Doctor, als daß ich mich an den Namen Schwelle kehre.“

„Ihr seid ein sehr vernünftiger Mann, Herbot,“ sagte jetzt lächelnd der Advocat, „wohl mehr als Ihr’s selber wißt!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_145.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)