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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und Erfrischung der Canäle zu besorgen. Die schönste Überraschung bereitet diese Fluth stets auf der Piazzetta und dem Marcusplatze, wo sie eine allgemeine Flucht verursacht, bis die Gondeln zu Hülfe kommen und das interessante Vergnügen einer Gondelfahrt zwischen der Marcuskirche und den Procuratien gewähren, die den Männern vom Ruder gute Beute abwirft, bis die ebenso unangemeldet fallende Fluth die ganze Flottille auf’s Trockene setzt. Eilen wir, vielleicht erhaschen wir noch etwas von dieser Lustbarkeit.“ Und wacker griffen die beiden Gondeln aus, die unsere Gesellschaft besetzt hatte.

Hier begannen schon die Anzeichen des Festes. Gondeln, an deren Häuschen bunte Lampen befestigt waren, und Barken, zum Theil mit Teppichen geschmückt und mit kleinen Mastenpaaren, zwischen welchen Reihen von bunten Lampen an Tauen schwebten, kamen, erst ziemlich einzeln, aus den Seitencanälen in den Canale grande herein, der bekanntlich ganz Venedig in Form eines umgekehrten S durchschneidet.

Wie oft ich auch hochentzückt am Tage und unter den Strahlen der Morgen- und Abendsonne diese Prachtpalast-Wasserstraße dahingefahren war, so überragt doch der Eindruck dieser Nachtfahrt jede andere Erinnerung. Die zahlreichen Gasflammen an den beiden Seiten des Canals legten auf den Wasserspiegel und auf die Façaden der Paläste, Häuser, Kirchen ihre sanft ineinander übergehenden Licht- und Schattenwechsel; bald standen die Vorsprünge der architektonischen Verzierungen in grellem Licht, bald legte geheimnißvolles Halbdunkel sich über die ganze Fläche und ließ nur die Spitzbogen der Altanfenster aus dem Dunkel hinter ihnen hervortreten, bald gossen die hohen Spiegelscheiben selbst festlichen Lichtstrahl aus, bald öffnete sich der Blick in eine Seitengasse, – und das Alles ist Stadt und ist lebenvolle Straße, auf der man so geräuschlos dahinfährt, so sanft über die nur vom Ruderschlag gekräuselten Wellen. Man muß sich wach erhalten, um von den ewig wechselnden Bildern nicht in das Reich der Träume verlockt zu werden. Wie gern möchte man vor jedem Meisterwerke und Kunststück der Architektur anhalten, wie gern es hier begeistert schildern, aber – dazu war damals und ist jetzt keine Zeit. Wir eilen vorwärts, das bunte, laute Festleben mehrt sich um uns, da schwingt der kühne Bogen der Rialtobrücke sich über den Canal, auf seiner Höhe von glänzenden Läden strahlend, unten von den dahinziehenden Gondeln und Barken in wechselndem Lichte spielend. Erst einen Gruß zur Linken hinaus: Fondaco dei Tedeschi, die Kaufhalle der Deutschen, hieß und war einst dieser Palast, dessen Außenwände Tizian’s Farbenpracht geschmückt und wo deutscher Gewerbfleiß eine Schutzstätte hatte, als noch Augsburg und Nürnberg freie Reichsstädte waren und die freie Venezia ihre eigene Krone trug. Das ist Alles vorbei – und wir sind vorbei. Ein paar kräftige Ruderschläge und hinter uns lag Rialto und vor uns dehnte die längste, fast gerade Strecke des Canals sich aus, die reichste an hochragender Baupracht, lichtstrahlend und auf der breiten schimmernden Fläche übersäet mit tanzender und pfeilgeschwind dahinfliegender Lampenlust der Barken und Gondeln.

Aber warum plötzlich heraus aus all’ dieser Herrlichkeit? Beim Palast Grimani, – damals Sitz des k. k. Postamts, – wo die andere Hälfte des verkehrten S des großen Canals beginnt, bogen unsere Gondler links in den dort mündenden Seitencanal ein. Ihre Absicht war die vortreffliche, uns aus dem kürzesten Wege in die Nähe des Marcusplatzes zu bringen; sie schlug jedoch so sehr fehl, daß wir selbst zum Gegenstand des Springfluth-Volksvergnügens werden sollten. Die klugen Männer hatten den höheren Wasserstand entweder nicht, oder für sich nur allzugut berechnet. Anfangs verstimmte mich ein wenig der Contrast zwischen der hellen Festfreude des breiten Canals und der plötzlich uns umgebenden tiefen Stille im Halbduster spärlicherer Beleuchtung. Als wir aber unter der ersten der vielen die Seitencanäle überspringenden Brücken nur mit genauer Noth und heftigem Reiben des Häuschendachs am Gewölbe durchgekommen waren und nun wieder eilig weiter fuhren, flogen schon allerlei Witzworte über unsere Köpfe weg von Fenster zu Fenster, – und richtig, bei der zweiten Brücke hielten beide Gondeln, sie konnten nicht durch. Da saßen wir. Umkehren und den weiten Bogen des großen Canals fahren würde zu viel Zeit gekostet haben. Graf M. entschied für Aussteigen. Da aber zu beiden Seiten die Gebäude bis an den Canal reichten, so mußten wir die Brücke selbst ersteigen. So kletterten wir denn am Geländer empor, gehoben und geschoben von den Gondlern, die, bezahlt waren sie ja, dann eiligst und mit jedem Ruderschlag niederträchtiger lachend davon fuhren.

Uns eröffnete sich nach beiden Seiten die Aussicht in eine lange schmale Gasse, beide hell erleuchtet, an allen Fenstern schwatzende und lachende Köpfe, und von beiden Seiten wurden wir von dem neckischen Volke zum Springfluthfest eingeladen, denn beide Gassen waren überschwemmt. Es half uns nichts, dasselbe Vergnügen, das uns die Venetianer auf dem Marcusplatze machen sollten, mußten wir hier ihnen bereiten, wollten wir nicht zwischen den zwei Feuern des Hohns ausharren, bis die Fluth sich verlief. Hinein denn in die Gasse zur Linken und entschlossen vorwärts gepatscht. Es war etwas wie ein gelindes Spießrutenlaufen, das wir hier auszuhalten hatten. Mir dem nichtswürdigsten Schelmenton der Bedauerniß, mit ewigem „poveretti!“ – „ach, die Armen!“ – verfolgte ein Lachsturm unsern nassen Gänsemarsch, – und uns blieb nichts übrig, als um die Wette mit zu lachen. Erst am Ende dieser Gasse kamen wir auf’s Trockene. Graf M. eilte nun mit uns in das Hotel Vittoria. Während unsere Stiefel trocken gerieben und frische Strümpfe beigeschafft wurden, nahmen wir barfuß im eleganten Speisesaal unsere Abendmahlzeit ein. Dann ging’s mit raschen Schritten zum Festort. Abermals durch lange schmale Gassen, über die Eisenbrücke des Canale grande, am Palast der Akademie der schönen Künste vorüber und von hier an vom Menschenstrom durch eine neue Gassenreihe mit fortgeschoben, gelangten wir endlich an den Canal der Giudecca – und stimmten unwillkürlichen das bewundernde Ah! ein, das hier jedem Mund entfuhr. Jenseits des hier über tausend Fuß breiten Canals dehnte in einer Länge von wohl fünftausend Fuß eine Strahlenlinie von zahllosen Lichtern sich aus. Jeder Palast, jedes Haus, jede Hütte der Uferstraße der Giudecca hatte das Möglichste von reicher und geschmackvoller Illumination gethan; vor Allem herrlich erhob sich die Strahlenpyramide der Redentorekirche vom Portal bis zur Thurmspitze, und Alles dies wiedergespiegelt in den zitternden Lagunen, die außerdem noch von den Gondel- und Barkenlampen nicht Buntes genug wiederzuspiegeln hatten – es war ein Anblick, der Stillstehen und Schweigen gebot!

Eine Schiffbrücke verband heute die Stadt mit ihrer Vorstadtinsel. Sie lief vor dem Portal der Redentorekirche aus und war so breit, daß sie bedeutende Menschemnassen zugleich zu tragen vermochte. Die mannigfaltigsten Gruppen drängten hier dicht aneinander, daß das Auge nichts Einzelnes und Besonderes fassen konnte. Man schwamm recht eigentlich im allgemeinen Wonnemeer mit fort und verlor die Absicht der Beobachtung.

Leider sollte das ganze Fest zu Wasser und uns nach dem überstandenen Fußbad auch noch ein Bad von oben bereitet werden. Wir hatten bereits den guten Willen des Himmels dazu an seinen „einberufenen“ Wolkenhaufen gesehen. Nachdem wir vergeblich in die Kirche einzudringen versucht und uns, als Männer von deutscher Geduld, einen Standort im Freien gewählt hatten, von dem aus wir den Blick nach Venedig hinüber und auf die bei der Dogana ankernden und meistens ebenfalls mit bunten Lampen geschmückten Kauffahrteischiffe frei hatten, und als eben eine Flottille von Barken zur Aufnahme der Procession um die Giudecca sich ordnete und ein Gegenstrom von Menschen sich aus der Kirche heraus und zur Schiffbrücke hinwälzte, – da öffneten sich plötzlich, nach Anmeldung durch einige Blitze und Donnerschläge, die Schleußen des Himmels – und machten dem größten Theil der Illuminationspracht und der Procession mit einem Male ein Ende.

Die Venetianer scheuen das Wasser von oben leidenschaftlich. Welch’ ein Rennen begann über die Schiffbrücke hinüber! Nie habe ich einen volkbedeckten Raum in kürzerer Zeit reinfegen sehen. Von der rückfluthenden Menge war die Kirche von Neuem überfüllt, und ohne das Treiben im Freien konnte auch das Volksfest, das sich an den kirchlichen Act anschließt, sich nicht entfalten. Wir für unsere Personen feierten es in Vittoria, und jetzt nicht wieder barfuß, bei einer Flasche Lacrimä Christi und frohen Erinnerungen an die Volksfeste der Heimath. –

Holder, als in dieser Nacht des Wonnemonds, war mir der Himmel bei einer andern Nachtkirchweihe ich Herbst. Ich hatte mich einem Kreise deutscher Künstler angeschlossen. Mit ihnen saß ich eines schönen Abends im Café Florian am Marcusplatz, und zwar in der Loge „Nerly“. Die Künstler unter unseren

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