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Er nahm meinen Koffer vom Wagen, in der stillen Voraussetzung, daß ich im Schlosse zur Nacht bleiben würde. Der Regen hatte fast aufgehört. Mein Kutscher sagte, daß er sofort zurückfahren würde, um mit den Pferden vor Anbruch der Nacht zu Hause zu sein, und ich stieg die hohe Steintreppe hinan. In dem gewölbten Vorhause empfing mich eine ältliche, kleine Dame, welche sich mir als die Haushälterin vorstellte und mich einlud, im Wohnzimmer die Rückkehr der Herrschaft abzuwarten, welche jede Minute eintreffen müsse. Dann öffnete sie die hohe, mit Schnitzwerk geschmückte Eichenthür, welche in das Zimmer führte, dessen erleuchtete Fenster ich schon draußen gesehen hatte. Es war ein großes, alterthümliches Gemach mit vier hohen Fenstern in weit vorspringenden Nischen. Die Wände waren mit weißer Oelfarbe gestrichen und in mehrere Felder abgetheilt, welche mit vielen arabeskenartigen Verzierungen geschmückt und in der Höhe der ebenfalls mit Stuccaturarbeit reich gezierten Decke mit vergoldeten Leisten umgeben waren. Drei Spiegel mit reich geziertem Rahmen, der Decoration des Zimmers angemessen, reichten von der Höhe der Decke bis zum Boden, den ein starker, weicher Teppich durch den ganzen Raum hin bedeckte. Die Lehnen des Sopha’s und der Sessel waren von weißgestrichenem Holz, künstlich mit Arabesken und vergoldetem Zierath ausgelegt. In dem marmornen Kamin flackerten einige Scheite Holz, da der Abend kalt und regnerisch war; auf dem Tische brannten zwei große Astrallampen mit weißen Kuppelgläsern. Der ganze Raum machte einen reichen und zugleich sehr wohnlichen Gesammteindruck. Ich schob einen der Sessel zum Kamin, sagte der Haushälterin, welche mich fragte, ob ich ein Glas Wein oder ein Glas Grog zu trinken wünsche, daß ich nichts bedürfe, und setzte mich nieder, die flammenden Holzscheite mit der Eisenstange, welche an dem Kaminpfeiler lehnte, von Neuem zurechtlegend.

Die Zeit, wo in Schleswig der Adel einen harten und oft grausamen Druck auf die Landbevölkerung ausübte, ist lange vorüber, und die Erinnerung daran hat sich nur in der Sage im Lande erhalten. Hie und da wurden mir noch Geschichten von Edelleuten erzählt, welche auf der Jagd die Grundstücke ihrer Unterthanen verwüsteten, die Saaten niederritten und die Peitsche und den Stock gegen ungehorsame und faule Leibeigene gebrauchten. Alles gehörte damals dem Gutsherrn, das Haus, das Land, das Vieh, die Ackergeräthschaften, die Arbeit des Leibeigenen; auch seine Arbeitskraft gehörte ihm; täglich mußte er Frohndienste thun, und kaum ward ihm Zeit gelassen, seinen eigenen Acker zu bestellen. Reich und wohlhabend war nur der Edelmann, der Bauer war arm und war an manchen Orten zufrieden, wenn er mit Saubohnen sein Leben fristen konnte. Aber, wie gesagt, diese Zeit hat lange aufgehört. Schon vor anderthalb Jahrhunderten begann in Schleswig-Holstein die Ablösung der Leibeigenschaft und der Frohnden. Große adlige Güter zerfielen, und die einzelnen Parcellen gingen in die Hände freigewordener bäuerlicher Besitzer über. Viel wirkte auch zur Aufhebung der Frohndienste mit, daß im vorigen Jahrhundert ein großer Theil der im Lande befindlichen Domänen parcellirt und die einzelnen Parcellen an Bauern in Erbpacht gegeben oder verkauft wurden. So ist nach und nach ein großer Theil der adligen Güter in die Hände von Bürgerlichen und Bauern übergegangen, und nichts erinnert an den ehemaligen Zustand der Dinge, als die bevorrechtenden Privilegien, welche noch an dem frühern adligen Grundbesitz haften, aber auch von dem jetzigen Besitzer der Parcellen, mag derselbe ein Edelmann oder ein Bauer sein, ausgeübt werden. Von einer feindlichen Gesinnung zwischen den Adligen und Bauern, welche sich auf den Standesunterschied gründet, ist jetzt nirgends mehr die Rede; der zehnjährige Druck, den die dänische Herrschaft auf dem Lande ausübt, hat den Bauer und den Edelmann noch näher aneinander gerückt. Sie haben während der schweren Kriegsjahre und auch jetzt unter dem Druck der dänischen Beamten treu mit einander ausgehalten; als [[Jacob Venedey]] in einer Volksversammlung in Angeln, welche in der Nähe von Cappeln abgehalten wurde, der im Lande herrschenden Zustände unkundig, gegen die Edelleute und die Pastoren zu Felde ziehen wollte, wurde er von allen Seiten mit dem Ausrufe „Wat segt de Kehrl?“[1] unterbrochen, und als er noch weiter fortfuhr, wurden die ernstesten Bemühungen einiger angesehener Hofbesitzer nöthig, um ihn vor thätlichen Insulten zu schützen. Auch in der Form unterscheiden sich heute im Lande die Wohnungen der adligen Herren wenig oder gar nicht von den Höfen der Bauern. Die Ritter und die Burgen sind aus dem Lande verschwunden. Ein Hausgraben mit den Resten einer alten Zugbrücke, von Rüstern und Erlen beschattet, ist meist Alles, was einen schleswigschen Edelhof charakterisirt. Wirklich schloßartige Gebäude giebt es nur sehr wenige im Lande.

Ein Mann im vorgerückten Mannesalter, von mittlerer Größe, mit intelligentem Gesicht, trat, mir einen guten Abend wünschend, in das Zimmer. Ich stand auf und stellte mich ihm vor, in der Meinung, den Gutsherrn vor mir zu sehen. „Nein,“ erwiderte er lachend, „der Gutsherr bin ich nicht, der ist in tiefem feuchten Regenwetter einmal wieder auf die Entenjagd gegangen, obschon ich es ihm täglich verbiete; ich bin der Arzt im Districte und wohne hier im Dorfe. Aber seien Sie uns willkommen, wir erwarten Sie schon seit acht Tagen. Setzen wir uns wieder zum Kamin, es ist draußen windig und regnerisch, ein verteufelt schlechtes Wetter für diese Jahreszeit. Ich höre, daß Sie schon über drei Wochen im Lande sind? Wird den Dänen sehr unangenehm sein. Nun, wie finden Sie’s hier? Uebertreiben wir, wenn wir von dem „Unglück im Lande“ sprechen?“ –

„Nein, wahrhaftig nicht; während der drei Wochen, daß ich hier umherreise, bin ich einmal auf einige Tage wieder nach Hamburg zurückgekehrt, um für einige vierundzwanzig Stunden nichts mehr von dieser dänischen Wirthschaft zu hören und zu sehen, in solch eine erbitterte Stimmung war ich hinein gerathen. So arg habe ich es mir wahrhaftig nicht gedacht.“

„Ja,“ fuhr er auf, „es ist arg, und täglich wird’s ärger. Die Beamten saugen das Land aus, wo sie können. Willkür, Erpressung und Gesetzlosigkeit, wohin man blickt. Die Beamten unterlassen nichts, um ihre Säckel zu füllen. Noch heute war ein Landmann bei mir, der seine Hufe seinem Sohne überlassen hat, und von seinem Hardesvogt bei Ausfertigung des Kaufbriefes übervortheilt war. Er war zu dem Hardesvogt gegangen und hatte ihm in ganz ruhiger Weise vorgestellt, daß sich der Herr Hardesvogt doch wohl bei Notirung der Gebühr für Ausfertigung des Contracts geirrt und er darnach zu viel bezahlt habe. Was war die Antwort? Er wurde tüchtig angefahren und ihm gesagt, die Gebührenrechnung sei richtig, wenn er ihm etwas wolle, so möge er ihn verklagen. Was die Klage hilft? Nichts. Und wenn wirklich schließlich das Appellationsgericht in Flensburg erkennt, daß der Bauer Recht hat, die Kosten muß er doch bezahlen, und die Kosten sind schließlich noch zwei oder drei Mal höher, als die zurück bezahlten Gebühren. Das wissen die Beamten ebensogut, wie die Armen, denen sie das Geld abnehmen, und deshalb schweigen diese lieber still und fügen sich in das Unvermeidliche. Das Land wird vollständig ausgesogen. Aber diesmal soll der Mann nicht so davon kommen, dieser dänische Kammerjunker. Der Landmann ließ den Kaufbrief in meinen Händen, und ich werde die Sache verfolgen. Das ist ein einzelner Fall von Hunderten, wie sie täglich vorkommen.“

„Und wenn es sich um einige Bankschillinge handelte,“ fuhr der Doctor erregter fort, indem er aufstand und einige Holzscheite in den Kamin warf, „dann ließe man es noch gehen, aber sie sind unersättlich, wie die Vampyre; am Mittwoch war ein Landmann aus der Gegend von Missunde bei mir und sagte mir, er würde mir nächstens auch seinen Kaufbrief mitbringen. Er hatte nicht weniger als 600 Bankthaler Kosten gehabt. Was sagen Sie dazu? – Nach den Mittheilungen, welche er mir machte, muß sich ein Minus von mehreren Hundert Thalern herausstellen. Ist das nicht enorm? – Ich theile Ihnen keine losen Gerüchte mit; ich berichte Ihnen Thatsachen, welche vollkommen wahr sind, und wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen die Documente. Erzählen Sie’s in Deutschland.“

Ich erstaunte. Daß die Uebervortheilungen sich bis zu dieser Höhe verstiegen, hatte ich doch nicht geglaubt. Der Arzt sah, wie sich mein Erstaunen auf meinen Gesichtszügen ausprägte, und sagte:

„O, ich will Ihnen noch einige andere, noch schlagendere Beispiele zu den Gebührenrechnungen mittheilen. Neulich betrug die Gebührenrechnung eines dänischen Beamten in einem kleinen Dorfe in Angeln 574 dänische Thaler. Sie wurde auf 263 dänische Thaler 64 Schillinge und 17 Thaler 22 Schillinge Gebühren modificirt. Ein dänischer Communalbeamter in Hadersleben hatte eine Gebührenrechnung auf nicht weniger, als 1350 Bankthaler zu hoch formirt. Was sagen Sie zu solchen Summen? Er hatte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_826.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)
  1. „Was sagt der Mann?“