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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

unterbrach er sich ängstlich, als Behrend zu einer Frage ansetzte; „aber seien Sie ganz ruhig, ich bin auf der Lauer, Tag und Nacht – die Deckarbeiter sind alle weggeschickt, daß er hier reine Bahn haben will, aber der Bob ist noch da, es soll nichts passiren, ohne daß Sie zu rechter Zeit Nachricht haben, Sir – und nun, bitte, gehen Sie, Sir, er hat seine Augen überall!“

Behrend fühlte selbst, daß ein längerer Aufenthalt in der schmutzigen Kammer des Schwarzen auffallen könne, und nahm diesem nur noch das Versprechen ab, ihn mit Dunkelwerden in seiner Cabin aufzusuchen – sich dann mit einem Gefühle entfernend, als solle jetzt erst eine bestimmte Unruhe über etwas Bevorstehendes, von welchem ihm doch jede Vorstellung fehlte, in ihm erwachen. Selbst als er, wieder auf die Gallerie gelangt, das Auge über die sonnenbeglänzte, oft von grünen Inseln unterbrochene Stromfläche und die beiden mit üppigem Gebüsch in den prächtigsten Schattirungen besetzten Ufer gleiten ließ, wollte das Bild ihm keinen freundlicheren Gedanken geben; es lag etwas in der großartigen Einsamkeit rings umher, zusammen mit der eigenthümlichen Menschenleere in dem Boote, das einmal aufgestiegene beängstigende Gedanken nur nähren konnte.

Das war am Spätmorgen gewesen. Behrend hatte, nachdem er sich Bilder der verschiedensten Gefahren vor Augen geführt, ohne daß er doch eins derselben mit den Verhältnissen um ihn in eine vernünftige Verbindung hätte bringen können, sich mit dem Bewußtsein seiner eigenen Kraft beruhigt; er war ein Schwimmer, der sich getraute, mit Leichtigkett das nächste Ufer zu erreichen – und mehr, als in’s Wasser geworfen zu werden, konnte ihm doch kaum geschehen und hatte dann seine Gedanken wieder dem Räthsel, das Ellen Peters ohne eine sichere Begleitung noch weiter dem Süden entgegenführte, zugewandt. Er dachte jetzt nicht daran es zu lösen, aber er sah ungeduldig dem Mittag entgegen, wo sie bei Tische sichtbar werden und er Gewißheit über ihre Anwesenheit erlangen mußte. Und das Mädchen war an der Seite einer ältlichen Frau erschienen, hatte mit einem halb scheuen, grüßenden Blicke auf den jungen Mann unter einem leichten, flüchtigen Erröthen eins der wenigen Couverts in Besitz genommen, dann aber das ernste Auge nicht von ihrem Teller aufgeschlagen und nach beendeter Mahlzeit wortlos den Tisch wieder verlassen.

Und jetzt, bei niedergehender Sonne, saß Behrend in dem offenen Eingange zur Gallerie, bald den Blick in den über dem Flusse aufsteigenden Nebel richtend, der nach Kurzem jeden Schritt Fernsicht nach außen verwehrte, bald das Auge nach dem Damensalon wendend, wo Ellen erst vor Kurzem wieder mit ihrer Begleiterin sichtbar geworden war. Es hätte ihm jetzt fast lächerlich erscheinen mögen, daß bei der eingetretenen Vereinsamung auf dem Boote sie Beide sich noch in dieser steifen Entfernung von einander hielten, wenn nur nicht ein Gefühl von Schmerz, daß eben die Verhältnisse zwischen ihnen nichts Anderes fordern ließen, die Oberhand in ihm gehabt hätte. Er war der arme Mensch, der, um sein Brod zu suchen, gezwungen war, nach New-Orleans zu gehen, und dessen „Trotz“: vom Mitleide keine Unterstützung anzunehmen, nicht einmal begriffen worden war; sie war die Bankiers-Tochter, die Verlobte des Dampfboot-Eigenthümers, die sich kaum mehr ihrer Kindheit in Deutschland entsann – was hatten sie beide mit einander zu schaffen? Er hatte mit seiner Jugenderinnerung eine unsinnige Leidenschaft in sich entstehen lassen; was wußte sie aber davon, oder wie hätte sie auch nur dadurch berührt werden können?

Draußen war mit der hereinbrechenden Dämmerung der Nebel immer undurchdringlicher geworden; es war ganz ein Wetter, um auch bei der besten Vorsicht ein Unglück zu erleben, und dieselbe Unruhe, welcher sich Behrend nach seinem Gespräche mit Bob nicht hatte erwehren können, überkam ihn bei seinem nächsten Blicke in’s Freie von Neuem – jetzt indessen weniger seinethalber, als um des Mädchens willen, das hier ohne jeden natürlichen Schutz stand. Trotz der Entfernung, in welcher sie sich von ihm gehalten, erschien es ihm plötzlich als unabweisliche Gewissenspflicht, ihr nochmals für alle möglichen Fälle seinen Beistand anzubieten, mochte sie nun dieses neue Herantreten aufnehmen, wie sie wollte – und als die angezündeten Lampen den bereits dunkelnden Salon erhellten, erhob er sich rasch, als wolle er damit jedes Schwanken in seinem Entschlusse abschneiden. Schon nach seinen ersten Schritten schien sie seine Näherung bemerkt zu haben, und ihr langsam aufgerichtetes Gesicht verfärbte sich leicht.

„Ich wage es nochmals, Miß Peters, mich Ihnen in jeder Beziehung zur Disposition zu stellen,“ begann er herantretend, ohne eine leise Bewegung in seiner Stimme verbergen zu können; „wir bekommen eine Nebelnacht, wie sie auf diesen Fahrten oft nicht ohne Unannehmlichkeiten abgeht, und mir ist es, als stände ich Ihnen, wenigstens unter der jetzigen zusammengeschmolzenen Reisegesellschaft, noch am nächsten.“

Sie hatte ihn, während die Frau an ihrer Seite den Divan verlassen, mit großem, ernstem Ange angesehen. „Das heißt also,“ erwiderte sie langsam, „Sie bieten mir Ihre Unterstützung an, nachdem Sie jeden Dienst unsererseits von sich gewiesen? Wollen Sie mir wohl sagen, wodurch Sie mir näher als Andere ständen, nachdem Sie uns so völlig als Fremde behandelt haben?“ Es klang ein eigenthümlicher Ton, wie aus verletzter Seele kommend, in ihren Worten, welcher alle niedergehaltenen Empfindungen des jungen Mannes erregte.

„Aber, Miß, Sie thun mir Unrecht mit einem solchen Vergleiche,“ rief er eifrig, „was habe ich denn weiter gethan, als mich eines Anspruchs enthalten, zu dem ich nirgends berechtigt war? Oder hätten Sie, wenn ich jemals Ihre Beachtung gefunden, wirklich lieber einen Menschen in mir gesehen, der ruhig sich durch das Wohlwollen Anderer erhalten läßt, bis er in aller Bequemlichkeit ein anderes Unterkommen erlangen kann? Und überdies: trat mir denn Mr. Peters nicht wirklich als Fremder entgegen?“

Sie schüttelte leise den Kopf. „Sie beurtheilen Menschen und Dinge zu scharf,“ erwiderte sie, „und danach könnte ich jetzt ebenfalls sagen: ich muß mich eines Anspruchs an Ihren Beistand, zu dem ich nicht berechtigt bin, enthalten, Sie sind nur ein Fremder gegen mich gewesen – aber,“ fuhr sie, sich leicht erhebend fort, während ein schwaches Roth ihre Wangen zu färben begann, „ich bin nicht ganz so empfindlich stolz als Sie; ich fühle mich aus diesem menschenleeren Boote unangenehm allein und will gern mich nöthigenfalls auf Ihren Beistand stützen, wenn Sie mir nur versprechen, daß Sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit auch meine helfende Hand nicht zurückweisen wollen!“ Ihr Gesicht hatte sich wundersam aufgehellt, um ihren Mund stand ein halbes Lächeln, und ihre Augen hielten mit einem so eigenthümlichen Forschen seinen Blick gefangen, daß er sich wie vor einem neuen verwirrenden Räthsel zu fühlen begann.

„Ich weiß nicht, welcher Sinn in Ihren Worten liegen mag,“ erwiderte er, kaum noch an ein Verbergen seiner innern Bewegung denkend, „aber ich möchte Ihnen Alles versprechen, Miß, nur um Ihnen zu beweisen, daß ich nicht ein Urtheil verdiene, wie Sie es wohl über mich gefällt haben –“

Ihr Auge hatte unverwandt in dem seinen geruht und schien jetzt wie unter einer ansteigenden Empfindung tiefer und dunkler zu werden. „Ich habe also Ihr Wort für unsern Contract,“ sagte sie, ihm die Hand langsam entgegenstreckend, „und werde nun sehen, ob Ihr Stolz auch vielleicht gegen Ihre Neigung Farbe hält!“ Sie hatte sich bei den letzten Worten mit einem Lächeln, das wie Sonnenschein über ihre Züge ging, zum Gehen gewandt und schritt jetzt dem Platze, welchen ihre Gesellschafterin eingenommen hatte, zu. Behrend stand noch einen Moment ohne Regung und wandte sich dann wie mechanisch dem vordern Salon zu. Als er aber seinen frühern Sitz wieder erreicht, drückte er die Hand vor die Augen. „Was will sie von mir?“ sagte er halblaut, „sie wäre im Stande, mich das, was jetzt die größte aller Thorheiten wäre, begehen zu lassen!“ – –

Das Abendessen war in einem Schweigen vorübergegangen, welches eine allgemeine Verstimmung und Unbehaglichkeit unter der kleinen Zahl der Reisenden anzudeuten geschienen; die Damen hatten sich schon, nachdem sie den Tisch verlassen, in ihre Cabin zurückgezogen, die Männer waren bald ihrem Beispiele gefolgt, und auch Behrend lag nach Kurzem, nur halb ausgekleidet, auf seinem Bette, die offenen Augen durch die Glasthüre, welche jede Cabin mit der Gallerie verbindet, in den vom Mondlichte silbern gefärbten Nebel hinaus gerichtet, bald in seinen Empfindungen für das Mädchen, dessen Thun und Wesen er nicht zu erklären vermochte, sich verlierend, bald den einzelnen Tritten, welche noch in dem Fahrzeug laut wurden, horchend und vergebens den Eintritt des Schwarzen, der ihm Aufklärung über seine heutigen Andeutungen geben sollte, erwartend. Unter dem gleichmäßigen Geräusch der Maschine begann indessen der Schlaf über ihn zu kommen, ohne daß er sich dessen nur bewußt geworden wäre, und als er nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_803.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)