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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Niemand schien seinen Eintritt zu beachten, und als er sich an den nächsten der jungen Leute mit der Frage nach Mr. Peters, den er persönlich zu sprechen habe, wandte, wurde er mit einem kurzen: „In seinem Zimmer, Sir!“ nach einer Thür am Ende des Raums gewiesen. Unwillkürlich überkam den Eingetretenen gegenüber dieser achtunggebietenden Stille und unverrückbaren Emsigkeit um ihn her das Gefühl einer leichten, respectvollen Scheu vor dem Manne, dem er soeben entgegentreten wollte; indessen hatte er ihn ja in nichts zu beanspruchen, kam im Gegentheil, um ihn der Verpflichtung gegen einen hülfreich gewesenen Freund zu entheben und als Behrend die bezeichnete Thür öffnete, hatte er völlig seine frühere Stimmung gegen den Bankier wiedergefunden. Noch geschärft ward diese aber, als ihm beim Eintritt in das einfach, aber behaglich eingerichtete Arbeitszimmer die Stimme Webster’s entgegenklang und Peters, bequem in den Lehnsessel vor seinem Schreibtische zurückgelehnt, nach dem ersten aufschauenden Blicke den Ankömmling kaum weiter zu beachten schien.

„Well, Sir, ich kann Ihnen nur sagen, daß Sie mehr Glück haben als andere Leute, die bei der jetzt beginnenden Jahreszeit oft nicht halbe Fracht für den Süden auftreiben,“ ließ sich der Hausherr hören, während Webster sich von der Seitenlehne des Sophas, auf welcher er nachlässig gesessen, erhob, als wolle er in Gegenwart des fremden Zeugen das Gespräch abbrechen.

„Well, Sir, die eigene Speculation muß eben nachhelfen, worauf sich nicht Jeder einlassen mag,“ sagte der Letztere sich zum Gehen anschickend, und vor Behrend stand bei dem eigenthümlichen Tonfall in der Stimme des Redenden plötzlich wieder das belauschte Gespräch vom Abend zuvor; der Deutsche hätte jetzt darauf geschworen, in dem gestrigen Hauptsprecher Webster vor sich gehabt zu haben, der ganze Inhalt der geheimen Unterredung schien auch völlig mit dem Geschäftsbetriebe des Dampfboot-Eigenthümers in Verbindung zu stehen; umsonst aber versuchte Behrend noch jetzt unwillkürlich ein Verständniß des Gehörten in sich zu erwecken und entschlug sich endlich jeden Gedankens um eine Angelegenheit, die ihn zuletzt doch in keiner Weise berühren konnte.

„Und wann geht das Boot?“ fragte der Bankier, als Webster eine Bewegung zum Abschied machte, „ich habe vielleicht selbst noch eine Art Frachtstück mitzugeben, möchte aber dafür die letzte Zeit zur Einlieferung wissen.“

„Ich denke bis vier oder fünf Uhr Alles an Bord zu haben, Sir, und sehe dann keinen Grund, die Abfahrt zu verzögern!“ war die Erwiderung; Peters nickte ruhig, und der Andere verabschiedete sich leicht, ohne von dem noch unweit des Einganges harrenden jungen Manne Notiz zu nehmen. Erst als die Thür hinter dem Abgehenden sich geschlossen, wandte sich der Bankier, seinem Stuhle eine Schwenkung gebend, nach dem Dastehenden.

„Well, Sir, Sie haben auf sich warten lassen,“ begann er, und derselbe eigenthümliche, halb spöttische Zug, den Behrend schon bemerkt, als ihn Peters nach seiner ersten Vorstellung hatte zurückrufen lassen, machte sich wieder um des Sprechers Mund bemerkbar; „Sie haben mir nicht geglaubt und auf eigene Faust Ihr Heil versucht, wie ich gehört? Sind in einem Punkte genau wie Ihr Vater, der auch stets absprang wie Stahl, wo er meinte, daß seine gerechten Erwartungen nicht sogleich erfüllt würden; das thut’s aber in einer Zeit, wie wir sie jetzt hier haben, nicht. Was denn nun, da Sie mir eigentlich schon den Weg verfahren haben, wenn ich auch vielleicht etwas für Sie hätte thun können?“

Behrend hatte mit völlig ruhigem Gesichte den Bankier aussprechen lassen, aber er meinte mit doppelter Stärke die Genugthuung zu fühlen, welche ihm sein gefaßter Entschluß jetzt bot. „Ich glaube, Mr. Peters, daß Sie mir gestern schon die Nutzlosigkeit einer Bemühung in meinem Interesse andeuteten,“ sagte er kalt, „und so komme ich jetzt auch nur, um Ihnen ein schuldiges Adieu zu sagen, da ich am Nachmittag wieder abreisen werde!“

Der Alte hob langsam den Kopf, während sein Gesicht plötzlich ernst wurde. „Sie reisen wieder ab; so, so!“ sagte er nach einer kurzen Pause, „meinten jedenfalls, die offenen Stellen hier nur auf Ihre Fähigkeiten warten zu finden – gerade das, was ich gestern fürchtete. Nun möchte ich Ihnen aber sagen, daß Sie mit Ihrer kurzen Weise kaum etwas erreichen werden, als Ihr Geld zu verreisen und doch zu keinem Zwecke zu kommen!“

„Ich muß es eben riskiren, Mr. Peters; ich habe hier gestern einen New-Yorker Collegen als Karrenfuhrmann sein Brod verdienen sehen, und ein solcher Lebensunterhalt bleibt mir wohl überall, während ich für anderwärts immer noch Hoffnungen hegen darf, die ich hier nicht habe!“

„Die Sie hier nicht haben?“ unterbrach ihn Peters, die Hände auf die Armlehnen seines Sessels stützend, als wolle er sich in einer plötzlichen Erregung des Unmuths erheben. „Wenn ich Ihnen gleich bei Ihrer Ankunft die hochfliegenden Illusionen nehmen wollte, mit denen zu seinem Schaden Jeder, der einen Empfehlungsbrief in der Tasche gehabt, hierher gekommen ist: müssen Sie dann auch voraussetzen, ich werde mich überhaupt nicht um Sie kümmern? Habe ich Ihnen nicht angedeutet, wie viel ich auf Ihren Vater halte, und Sie zu einem ausführlichen Gespräche eingeladen?“

Behrend schüttelte mit einer leichten, höflichen Neigung den Kopf. „Sie haben mir selbst die gänzliche Hoffnungslosigkeit für ein baldiges Engagement angedeutet, Mr. Peters, meine gestrigen Erfahrungen haben diese nur bestätigt, und so würde jede Güte Ihrerseits, die mein Hierbleiben ermöglichte, für die ich aber in keiner Weise auszukommen vermöchte, mich doch nur vor mir selbst demüthigen müssen. Ich danke Ihnen herzlich, Mr. Peters, aber da nun einmal hier ein geschäftliches Unterkommen vor der Hand nicht möglich ist, so muß ich es eben wo anders suchen. Ich habe bei der kommenden Jahreszeit sichere Aussicht in New-Orleans beschäftigt zu werden, die Hitze genirt mich wenig, das gelbe Fieber ist noch nicht da und auch nicht jedes Jahr gleich bösartig, also denke ich dort einmal mein Heil zu versuchen.“

Peters schüttelte unmuthig den Kopf und drehte sich dann halb seinem Schreibtische wieder zu. „Ich kann Ihnen nur sagen, daß Sie eine Tollheit begehen, Sir!“ sagte er nach kurzem Sinnen; „haben Sie denn aber wenigstens Geld genug zur Rückreise, falls eine bessere Ueberlegung noch zur rechten Zeit käme – oder ist eine solche Frage auch gegen Ihre Ehre?“

„Ich bin noch genügend versehen, sonst würde ich mich freimüthig um eine Aushülfe für kurze Zeit an Sie gewandt haben,“ erwiderte der junge Mann ruhig. „Sie beurtheilen wohl meine Gefühlsweise, die mich zu dem jetzigen Schritte drängt, nicht ganz richtig, Mr. Peters; Sie haben selbst Ihren Weg nur durch die eigene Thatkraft gemacht, und wenn ich mich nicht auf außergewöhnliche Rücksichten oder gar Wohlthaten, die nicht einmal ihren Grund in mir selbst finden, stützen mag, so glaubte ich, daß Sie mich verstehen könnten!“

„Ich verstehe Sie recht gut, besser als Sie sich vielleicht selbst, Sir; aber ich weiß auch, daß das Sprechen hier zu nichts mehr führt,“ nickte der Alte und hielt eine kurze Weile den Blick vor sich auf den Boden geheftet. „Alles, was ich Ihnen noch rathen will, fuhr er dann langsam fort, „ist, daß Sie sich wenigstens nicht so ohne Weiteres in Ihr voraussichtliches Verderben stürzen, sondern sich unterwegs nach einer Chance, die sich Ihnen bieten könnte, umsehen. Ich will Ihnen zwei Briefe für Memphis zurecht machen; die „Lilly Dale“, mit welcher Sie jedenfalls gehen, hat starke Ladung dahin und wird für einige Stunden anlegen müssen. Sollte es dort aber auch mit einer Stellung nichts sein, so erkundigen Sie sich vielleicht des Genaueren über das Sommerleben in New-Orleans und die Sterblichkeit unter den neuen Ankömmlingen. Ich sage Ihnen das Letztere um Ihres Vaters willen, sonst würde ich bei Ihrem so bestimmten Entschlusse kein weiteres Wort darüber verloren haben. Die Briefe werden in zwei Stunden für Sie bereit liegen.“

„Ich nehme mit dankbarstem Herzen Ihre Freundlichkeit an, Mr. Peters!“ beeilte sich jetzt Behrend zu erwidern, aber mit einem kurzen, unmuthigen: „Schon recht, Sir!“ drehte sich der Bankier seinem Schreibtische zu und gab damit das Zeichen der Entlassung.

Als der junge Mann die Straße wieder erreicht, wußte er kaum, ob er mit sich zufrieden oder unzufrieden sein solle. Wenn er an Ellen dachte, fühlte er, daß es ihm unmöglich gewesen wäre, eine Existenz anzunehmen, wie sie der Alte vorläufig wohl für ihn beabsichtigt, eine Existenz, die sich nur auf dessen Wohlthaten irgend einer Art stützen konnte, bis eine glückliche Gelegenheit ihm ein wirkliches Unterkommen verschaffte; – fühlte überdies, daß er auf den ihm gewordenen Empfang bei seiner Ankunft kaum anders als durch eine volle, stolze Selbstständigkeit habe antworten dürfen, wenn diese Empfangsweise auch, wie Peters jetzt meinte, auf sein Bestes abgezielt habe – und dennoch war es ihm daneben, als sei er zu kurz und schroff in seinem Verfahren gewesen und habe sich selbst damit geschadet.

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