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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Indianer ihr Land an die Regierung noch nicht vertragsmäßig abgetreten hatten.

Dies geschah nach und nach seit 1837, wo die Vereinigten Staaten zunächst ein durch reiche Fichtenwaldungen ausgezeichnetes Gebiet erhandelten, auf welchem bald zahlreiche Sägemühlen angelegt wurden. Endlich wurden 1847 mit allen drei Stämmen Verträge abgeschlossen, wornach sie alles Land am obern Mississippi und das herrliche Minnesota-Thal, zusammen gegen 3,000,000 Acker trefflichen Landes, gegen eine Jahresrente auf einige Jahrzehnte verschleuderten. Als lachende Erben nahmen bald zahlreiche weiße Ansiedler den fetten Boden zu 1¼ Dollar den Acker in Besitz, und bald machte sich Cultur und Unternehmungsgeist in immer neuen Einrichtungen geltend. Kirchen und Schulen wurden, wenn auch einstweilen nur als Blockhäuser, angelegt, wissenschaftliche Vereine gegründet, 1849 entstand selbst eine Zeitung.

So sahen wir denn den jungen Staat immer mehr und mehr sich heben, und die Bewohner der immer größern und blühendern Ansiedelungen – glücklich bei wachsendem Wohlstande, hatten die größte Ursache, sorgenfrei der Zukunft entgegen zu sehen, als – ein Schlag sie traf, unvorbereitet, wie ein Blitz aus unumwölktem Himmel! Es war dies der Aufstand der Indianer! Die Sioux nämlich, die nächsten Nachbarn von New-Ulm, meines damaligen Wohnortes, durch jahrelangen Handel mit uns befreundet und verbunden, vergaßen plötzlich die Bande, welche sie an unsere Regierung fesselten, und verübten Gräuelthaten, welche ihre sichere und gänzliche Vertilgung nach sich ziehen müssen und werden.

Die Ursachen dieser Empörung nun sind so mannigfach und dunkel, daß nur eine der natürlichsten und deshalb glaubwürdigsten hier genannt werden kann. Die Agenten der Regierung hatten, anstatt ihrer Pflicht nachzukommen und den Indianern ihr Jahrgeld pünktlich auszuzahlen, schon seit Jahren sich nicht allein die größte Nachlässigkeit in diesen ihren Pflichten, sondern auch Betrug zu Schulden kommen lassen und dadurch einen Zündstoff des Unwillens unter denselben angehäuft, der nur des Funkens bedurfte, zu explodiren und die Grenz-Counties von Minnesota mit Blut zu tränken. Dazu kommt, daß man bereits seit längerer Zeit südliche Emissäre unter den Indianern gesehen haben will, deren Zweck es gewesen, die Stämme aufzuregen und mit Waffen zu versehen. Brown-County mit der Stadt New-Ulm hat am meisten darunter gelitten, und das Schicksal dieser eben noch so blühenden deutschen jungen Stadt hat sich bereits erfüllt. Trotz der langen heldenmüthigen Vertheidigung mußte es nach einem letzten blutigen Kampfe den Wilden überlassen werden, die bis zu der Zeit, wo ich dieses schreibe, lange das, was von der Stadt übrig geblieben war, zerstört haben, sodaß nur Asche und Trümmer die Stätte bezeichnen, die eben noch der Wohnplatz von Hunderten glücklicher Familien, die Scene der Betriebsamkeit und erfolgreichen humanen Strebens war. So furchtbar ist dieser Schlag, so entsetzlich die Zerstörung von Habe und Gut und Menschenleben, die er verursacht, daß man auf die Frage: „Wann wird New-Ulm wieder erstehen aus der Asche?“ keine Antwort hat.

Kommt die Zeit, wo wir unsere Thränen über die, welche unter der Mordwaffe der Indianer geblutet, trocknen, dann wird Noth und Hunger neue auspressen. Dort nun sind die gesegneten Fluren verödet, getränkt zum Theil mit dem Blute der Besitzer, die Ernte verfault auf den Feldern, und die Tausende, die den Ertrag ihrer Arbeit aus wohlgefüllten Scheunen hatten zu Markte bringen können, werden für ihren Unterhalt auf Andrer Hülfe angewiesen sein. New-Ulms Fall ist aber ein Unglück, das auch den ganzen Staat betrifft, und da die Grenzlande von Minnesota mit ihren blühenden Ansiedelungen, von denen New-Ulm der äußerste Posten war, das Asyl für Heimathsuchende in allen Staaten bildeten, ein Unglück, das über das ganze Gebiet der Union sich fühlbar machen muß. Jetzt ist der schönste Theil, der Garten von Minnesota, verödet, Millionenwerth von Eigenthum der Vernichtung verfallen, Hunderte hingemetzelt, im Norden des Staats die gleiche Gefahr im Anzuge und noch kein Ende abzusehen. Die ersten Nachrichten über die Empörung der Indianer lasen wir am 12. August, wo ein Inserat der Minnesota-Zeitung also lautet:

„Am Anfang der Woche wurde die Hauptstadt St. Paul vom Norden her alarmirt. George W. Sweet, ein Abgesandter des Häuptlings Hole-in-the-Day, kam am Sonnabend direct von Crow-Wing hier an und brachte die Nachricht, genannter Häuptling habe eine Proclamation erlassen, worin er erklärt, daß er nach Dienstag den 19. August nicht mehr für seine Leute einstehen könne, daß mithin die Ansiedler am besten thäten, ihre Haut vor dem genannten Tage in Sicherheit zu bringen, das Gleiche sei von Haufen von Chippeways und Sioux den Ansiedlern bei Sunrife angedroht. Es wird ferner versichert, daß beide genannte Stämme ein Bündniß geschlossen und ihre Streitkräfte bei St. Cloud zusammenstoßen sollen. Die Sioux arbeiten sich nach dem Chippeway-Territorium durch, und sobald sie sich vereint haben, mag der Tanz losgehen. Beide Stämme verlangen Revidirung der Verträge und aller Verhandlungen mit ihnen seit mehreren Jahren und werden überhaupt der Regierung solche unverschämte Forderungen stellen, daß an eine Bewilligung nicht zu denken und der Krieg unvermeidlich ist.“

Noch beunruhigender wirkte auf uns eine zweite Nachricht, die sich unter demselben Datum in dem genannten Blatte fand:

„Depeschen von Fort Abercrombie melden, daß schon das Land am Redriver von Indianern heimgesucht worden. Die kleine Ortschaft Breckenridge wurde von ihren Bewohnern verlassen, die nach Fort Abercrombie ihre Zuflucht genommen haben. Man fand in Breckenridge die Leichen von drei Ermordeten. Capitän von der Hork, Platzcommandant von Fort Abercrombie, hat die Besatzung von Georgetown – eine Compagnie – nach dem Fort gezogen.“

Es war nur den Ungläubigsten vorbehalten – Leuten, die sogar bei drohendsten Gefahren an nichts zu glauben pflegen – erst durch das Hereinbrechen einer wirklichen That aus ihrem Unglauben aufgerüttelt zu werden; sie wurden dies durch die Schreckensnachricht, die am Nachmittage des 16. August sich plötzlich in New-Ulm verbreitete. – Antoine Frenier, einer von dem kühnen Geschlechte der Coureurs de bois, ein Canada-Franzose, der seit vielen Jahren, im Dienste der Indianerhändler stehend, sich eine genaue Bekanntschaft mit den Indianern und ihrem Charakter angeeignet, ja fast selbst zum Indianer geworden, erschien plötzlich in der Stadt und überbrachte dem Sheriff die Kunde, daß die Indianer im Aufstande begriffen und in Brown-County – zu dem auch unsere Stadt gehört, bereits die gräßlichsten Gräuelthaten verübten. Er selbst habe es unternommen – gemalt und herausgeputzt, wie ein Dacota-Krieger, nach den Massacres in Fort Bidgley und Redwood, durch die Schaaren der entmenschten Feinde hindurch zu dringen, den Schauplatz ihrer Gräuelthaten zu besuchen und sich wo möglich mit der Garnison in Fort Bidgley in Communication zu setzen. Auf seiner Tour sei er am Tage bis auf fünf Meilen von der obern Agentur gelangt und habe diese in finstrer Nacht erreicht. Er erzählt, daß er buchstäblich eine „Wohnung der Todten“ gefunden habe, denn selbst die blutgierigen Mörder hätten die grausige Stätte verlassen. Sämmtliche Bewohner seien auf das Schrecklichste verstümmelt und hätten todt in den Häusern, auch theilweise auf den Thürschwellen, theilweise auf den Höfen gelegen.

Unsere unglücklichen Einwohner sollten indeß tropfenweise den bittern Kelch leeren, ehe auch über uns das entsetzliche Geschick hereinbrach, denn kaum war die Schreckenskunde des tapfern Frenier von Haus zu Haus geeilt, als ein Trupp Flüchtlinge auf schaumbedeckten Pferden andere, noch schrecklichere Nachrichten überbrachten. Sie waren die Ueberbleibsel einer Gesellschaft von zwanzig Personen von einer in der Nähe von St. Cloud liegenden norwegischen Ansiedlung Norway Lake. Diese Gesellschaft hatte Tags vorher einer religiösen Versammlung beigewohnt und war auf dem Heimwege zu ihren Wohnungen von mehreren Haufen Indianern angegriffen worden, von denen einige zu Pferde, einige zu Fuß waren. In kurzer Frist waren vierzehn der unglücklichen wehrlosen Menschen niedergemetzelt. Sie nannten die Opfer als drei Brüder Lomberg, der jüngste 20, der älteste 25 Jahre alt, drei Brüder Broback, deren zwei verheirathet, und die Frauen und Kinder der Letztern. Man fand die Leichen der Gemordeten auf das Allerfürchterlichste zerstümmelt. Etlichen waren die Nasen, Andern die Ohren, Anderen Backen und Finger abgeschnitten. Ein junges Mädchen, Mary Croll, das man auf einen Pony gesetzt hatte, um es zu entführen, ward dadurch gerettet, daß durch sein entsetzliches Hülfegeschrei das Pferd scheu wurde und die Reiterin im dichten Gebüsch abwarf, der es dann gelang, sich vor den rothen Bestien zu verstecken und später, mit den Uebrigen vereinigt, bis zu unserer Stadt zu entkommen. Die Indianer raubten aus der wohlhabenden Ansiedlung 44 Ochsen, zwei mit Beute aller Art beladene Wagen und gegen 2000 Dollars in Gold.

So stieg die Aufregung der Bewohner New-Ulms von Stunde zu Stunde, und als am Montag Nachmittag ein Eilbote die Nachricht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_744.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)