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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Waldfee, daß Du erschrickst, oder gar für ein verzaubert Stück Wild, das Du zu erlegen gesonnen? Denn ich wette, Felix,“ setzte sie lustig hinzu, „Deine christliche Gesinnung gegen den Herrn Baron hat keine Früchte getragen, und Du kommst nur mit vielen Fehlschüssen heim.“ – „Die Fehlschüsse thust Du selbst,“ versetzte ich gleichfalls heiter. „Conrad trägt den Braten nach Hause. Nun aber laß mich bei Dir sitzen, denn ich bin müde.“ – „Weshalb ist der Herr selber gelaufen und hat es nicht dem Diener überlassen?“ warf sie neckend hin, indem sie mir zugleich Platz neben sich machte. – „Ein solches Vergnügen kann freilich eine Frau nicht taxiren,“ gab ich zurück. – „Vergnügen?“ wiederholte sie, und die großen Augen sahen mich plötzlich wie nachdenklich an, – „Vergnügen? Hast Du es um dessen willen gethan, Felix? Du sahst mir heut Mittag eher nach allem Anderen aus, und ich habe fast gemeint, Du seiest nur aus Verdruß davongelaufen. Sage mir, Felix, was verstörte Dich so? Es war doch am Ende natürlich, daß Deine Mutter sich nach Dir erkundigte und nach Deinem Ausbleiben fragte. Hinüber wirst Du immerhin einmal müssen, früher oder später, und morgen wäre dazu die beste Gelegenheit. Du thätest dann auch noch ein gutes Werk an mir,“ schloß sie wieder lächelnd, „denn freilich – auch ich bin nicht gern in Büzenow, sondern fühle mich dort stets mit zusammengeschnürtem Herzen.“

Ich saß neben ihr und ließ den Zauber dieser weichen Stimme, dieses milden Auges mich umspinnen; ich hätte ihr gern stundenlang so zugehört, sie stundenlang so angesehen, dort an dem stillen Platz, in der dämmerigen Beleuchtung, in der prachtvollen Lust des Maitages, – ausruhend an ihrer Seite von meinen kleinen Strapazen. Seht, Vetter, solch ein Ausruhen zu solcher Stunde, in solcher Umgebung, ist wie das Genesen nach einer schweren Krankheit, beide Gefühle sind verwandt mit einander und unbeschreiblich wohlthuend. Und so war auch mir heut, wohlig bis in’s Herz hinein. Ich ließ eine ganze Weile vergehen, ohne zu antworten, denn ich wußte auch kaum etwas zu sagen, was mich nicht zu widerwärtigen Explicationen geführt hätte, die ich gerade in diesem Augenblick am allermeisten scheute, und überdies – ich wiederhole es – hätte ich am liebsten ihr nur zugehört, sie nur angesehen. Endlich aber besann ich mich, und indem ich ihre Hand in die meine nahm, sagte ich herzlich: „Du fragst, was mich so verstörte und verdroß? Kind, das war nicht allein die Erinnerung an den Baron, den ich nun einmal nicht leiden kann, bei dem ich jedesmal das Gefühl habe, als dränge er sich zwischen mich und mein Glück – sondern es war zuerst und hauptsächlich der traurige Gedanke, daß es demnächst mit unserem Stillleben hier aus und zu Ende. Ich habe mich durch diese Ruhe, diesen Frieden so beherrschen lassen, daß ich nicht daran dachte, wie bald es aufhören könne und müsse. Kehrt die Mutter zurück, spionirt der Baron wieder täglich hier umher, so ist es eben schon anders. Dann muß ja aber auch Julius bald wiederkommen, Du gehst mit ihm nach Sollnitz, wir sind auseinander und finden uns so schwerlich bald wieder vereint. Für mich ist die Zeit des Ausruhens und der süßen Faulheit dann auch vorbei, es geht in’s strebende und schaffende Leben hinein – freilich wohl etwas Natürliches und Nothwendiges, was mir jedoch jetzt noch gar nicht zu Kopfe will. Weißt Du noch, was Du mir neulich einmal sagtest – ich sei ein Mensch für die Ruhe und die Freuden der Heimath? – Ja, ja, Livia, so ist’s! Ich bin es mehr, als Du vielleicht denkst, als ich selber es bisher gewußt; ich habe es erst jetzt und hier recht gespürt. Und siehst Du – damit ist es für mich für’s Erste wenigstens wieder vorbei.“

Sie hatte mir die Hand gelassen, ihr Auge haftete auf mir mit einem zuerst nachdenklichen, bei einem längeren Sprechen nach und nach aber immer wehmuthsvolleren Blick. War etwas in meinen Worten, das sie besonders ergriff, oder hörte sie’s und nahm sie sich’s zu Herzen, daß ich mich traurig redete – ich sah ihren Blick plötzlich von einer aufsteigenden Thräne verschleiert, ich fühlte einen leichten Druck der feinen Finger, und dann fragte sie gedämpft: „Willst Du denn wieder fort, Felix?“ – „Hier bleibe ich nicht, kann ich nicht bleiben,“ versetzte ich. „Du mußt das einsehen, Cousine.“ – „Aber die Güter?“ sagte sie mit fragendem Tone. – „Die Güter, Livia, laufen mir nicht weg; ich habe aber jetzt gar nicht an sie gedacht. Doch wenn ich sie auch übernehme und dort zu wirthschaften beginne – was ändert sich dadurch für mich? Gewinne ich damit Heimath und Ruhe? Nein, Kind! Ich soll mir Beide ja erst gründen und erringen!“ Und wie man manchmal Einfälle hat und Antrieben folgt, über deren Entstehung, über deren – sage ich: Absicht man sich selber am wenigsten Rechenschaft zu geben vermag, so setzte ich hinzu: „Sieh, Livia, und das ist ein halb traurig und halb langweilig Geschäft, wenn man’s nur für sich allein thut. Was soll ich einsames und nichts weniger als egoistisches Menschenkind viel für meine Zukunft, meine Behaglichkeit sorgen und arbeiten! Das macht sich ja Alles ohne Sorge und Arbeit, von selbst. Ja, hätte ich einen anderen, einen rechten Zweck, bei dem auch mein Herz in’s Spiel käme! Aber so? – Ach, es schafft sich nur fröhlich zu Zweien oder für Zwei!“

Es war jetzt eine gewisse Befangenheit in dem Blick, der auf mir haftete, und in dem Klang ihrer Stimme, mit der sie wieder wie fragend nach einer Pause sagte: „Und Helene Gentzkow?“ – Die Worte waren wie ein kaltes Bad, das mich aus allen Träumen und Phantasien schreckte. Ich zuckte zusammen und auf und versetzte fast heftig: „Ach, bleibe mir mit diesen Dummheiten vom Leibe, Livia! Was habe ich mit Helene Gentzkow oder sonst einem solchen Geschöpf zu thun! Ich bin allein und bleibe allein – das ist einmal nicht anders.“ So sprach ich und stand zugleich auf, mir war unleidlich zu Muth, gerade so, als wenn uns im ernstesten, heiligsten Moment, während der tiefsten, frömmsten, inneren Bewegung etwas recht Dummes oder Frivoles, Unheiliges nahe tritt. Und Livia mochte das wohl empfinden, denn auch sie stand auf und legte mir die Hand wie begütigend auf die Schulter und sprach innig: „Felix, lieber Felix, habe ich Dir weh gethan? Das wollte ich bei Gott nicht!“ - Da entwich Verdruß und Verstimmung, denn vor diesem Zauber der Stimme, des Blicks, des ganzen Wesens hielt nichts dergleichen Stand, und ich konnte freundlich und milde antworten: „Laß gut sein, Kind, es ist schon vorüber. Aber ich bitte Dich, lasse mich in Zukunft mit allen derartigen Plänen zufrieden. Wen man wählt und ob man wählt und ob solcher Wahl und solchem Wunsch auch die Erfüllung folgt, das muß dem Herzen des Menschen selber und seinem günstigen oder ungünstigen Stern überlassen bleiben. Und ich weiß von diesem allen noch wenig oder gar nichts, zum mindesten nichts Günstiges. – Aber nun genug,“ brach ich ab. „Wohin sind wir gerathen, Livia, daß wir uns mit solchen widerwärtigen und albernen Dingen quälen! Heiter, Kind, heiter! Sei wieder fröhlich, Cousinchen!“

Ueber ihr liebliches Gesicht flog ein flüchtiges Lächeln. „Du bist ein lieber, guter Mensch, Vetter,“ sagte sie, „aber auch ein sehr wunderlicher, von dem Niemand ahnen, geschweige denn berechnen oder sagen kann, was es in ihm giebt, was ihm wohl, was ihm weh thut!“ – In dem Fall sind wir Alle,“ gab ich munter zur Antwort. „Geht es, zum Beispiel, mir besser mit Dir? Weiß ich von den Gedanken, Gefühlen, Regungen, die Du so zu sagen privatim hast?“ Und als ich die Worte gesprochen hatte und sie dabei neckend fixirte, erschrak ich fast über ihre Wirkung, denn sie wurde jählings glühend roth und fast eben so schnell tödtlich blaß, und sie bebte am ganzen Körper, so daß ich rasch den Arm um sie legte und bestürzt rief: „Aber, Kind, um Gotteswillen, was ist Dir?“ – Sie strich mit beiden Händen über die Stirn und richtete sich rasch auf. „Nichts, nichts!“ erwiderte sie hastig; „mir wurde nur so schwindlig. Jetzt ist’s schon vorüber!“ – „Leidest Du denn öfters daran?“ fragte ich, und da sie den Kopf schüttelte, fügte ich hinzu: „Ich dachte zuerst, meine Worte hätten Dich so berührt, obgleich ich freilich nicht begriff, wie das möglich sein könnte.“ – Da lachte sie wieder ganz heiter, wenn sie auch noch ein wenig blaß war, und meinte: „Nun, Vetter, so arg ist’s nicht, obschon der Gedanke sogar allerdings wohl zum Erschrecken ist, daß wohl ein Anderer die Fähigkeit besitzen könnte, uns bis in unser Eigenstes und Geheimstes zu durchschauen. Meine Bemerkung vorhin war dumm und Deine Antwort treffend genug. Aber nun laß uns heim. Ich muß nach dem Kleinen sehn.“

Wir waren schon auf dem Wege, gingen langsam und bald wieder ziemlich heiter plaudernd vorwärts und traten in den Garten. Ich weiß nicht mehr, worüber wir gerade redeten, aber es beschäftigte uns, daß wir uns nicht viel umschauten, sondern neckend und lustig weiter gingen oder stehen blieben, uns anlachend, kurz, wie man es bei solcher Gelegenheit eben treibt, wenn man jung und kein Kopfhänger ist. Das Vorhergegangene hatten wir Beide anscheinend vergessen oder abgeschüttelt. – So übersahen wir’s, daß in einem Nebensteige mein Vater mit dem Baron Gerold herankam, und erst der Anruf des Erstern: „Heda!“ ließ uns aufmerken,

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