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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

konnte sich Johann von Quitzow nicht mehr verhehlen, daß Plaue fallen müsse. – Er beschloß zu fliehen, in der Nacht verließ er das Schloß zu Fuß und ging über das Eis, um sich im Rohrdickicht der Havel zu verbergen; ein treuer Knecht erhielt den Befehl, ihm sein Streitroß nachzuführen. –

Johann erreichte glücklich, von den Belagerern unbemerkt, das Dickicht, hier wartete er; – nach kurzer Zeit erschien auch der Knecht, er führte das Pferd des Quitzow am Zügel, schon glaubte Johann sich gerettet, da bäumte sich plötzlich das Roß hoch auf, riß sich los und jagte im sausenden Galopp davon über das Eis, dem Lager der Feinde zu. –

Johann war verloren, er konnte nicht mehr fliehen, nach kurzer Zeit war er der Gefangene einer Schaar erzbischöflicher Reiter, welche ihn nach dem Städtchen Plaue führten und den verhaßten Ritter dort unter Verwünschungen und Verhöhnungen in den Stock legten; – am folgenden Morgen wurde er nach Calbe in den Kerker gebracht, sein Schloß Plaue ergab sich. –

Der Burggraf hatte einen glänzenden Sieg gefeiert, in wenigen Wochen hatte er diese rebellischen Adligen unterworfen, ihre Macht für immer vernichtet und die Herrschaft der Hohenzollern in der Mark Brandenburg begründet. – Er benutzte seinen Sieg mit ernster Strenge, aber auch mit weiser Mäßigung. Das Vergangene vergaß er, selbst Wichard von Rochow wurde später von ihm begnadigt, aber mit eiserner Energie wachte er darüber, daß der übermüthige Adel nicht ferner der Gesetze spottete. – Er vergaß es nicht, daß er der Treue und Liebe der Bürger die Herrschaft verdankte, welche ihm der Eigennutz des Adels hatte streitig machen wollen. – Wollten doch auch seine Nachkommen dies niemals vergessen! –

Die Macht der Quitzow’s war für immer vernichtet. Dietrich trieb sich als ein Flüchtling unstät umher. – Von glühendem Haß gegen den Burggrafen beseelt, diente er den Feinden desselben, den Herzögen von Pommern und später dem Erzbischof von Magdeburg als Söldner gegen Friedrich. Er machte an der Spitze feindlicher Schaaren noch manchen Fehdezug in die Mark und wüthete hier in fürchterlicher Weise, endlich aber starb er, von allen seinen Freunden verlassen, im August des Jahre 1417 zu Harbke, einem Gute seiner Schwester.

Ueber das Schicksal des Johann von Quitzow fehlen uns zuverlässige Nachrichten. Die meisten Geschichtsschreiber behaupten, er sei im Gefängniß gestorben; andere Quellen aber melden uns, daß ihn der Erzbischof von Magdeburg endlich freigelassen habe, um den tüchtigen Heerführer gegen Friedrich in einer Fehde zu verwenden. Später soll sich Johann von Quitzow dem Kurfürsten unterworfen und dessen Gnade nachgesucht haben, welche ihm auch von dem trefflichen Fürsten gewährt worden sei.

A. St.




Ein Vorkämpfer protestantischer Glaubensfreiheit.

Ueber die Seele kann und will Gott niemand lassen
gebieten denn sie selbst allein.
                                                            Luther.

Seit dem Jahre 1837, wo König Ernst August von Hannover bei seinem Regierungsantritt durch ein Patent das Staatsgrundgesetz des Landes aufhob, ist die Bevölkerung desselben nicht in eine so allgemeine Aufregung versetzt worden, als durch den in jüngsten Tagen dort ausgebrochenen Kampf auf kirchlichem Gebiete um die sogen. „Katechismusfrage“. Und da es sich bei diesem Streite eben um nichts Geringeres als die Sicherung der bisherigen protestantischen Glaubens- und Lehrfreiheit handelt, welche durch mächtige Gegner nicht nur theoretisch in Frage gestellt, sondern factisch geschmälert werden sollte, so ist es wohl erklärlich, daß diese zuerst anscheinend nur speciell hannover’sche Sache bald eine von allgemein deutschem Interesse geworden ist, soweit es nämlich deutsche protestantische Gemeinden giebt, welche an dem Fundamentalsatze der Reformation „freie wissenschaftliche Forschung in der Bibel und den Schriften der Reformatoren selbst, zur Anwendung der dadurch gewonnenen Erkenntniß für die Lehre in Kirche und Schule“ – festhalten und entschlossen sind, diese als das mit dem Blute des dreißigjährigen Krieges, mit dem Opfertode Gustav Adolf’s und unzähligen anderen Opfern theuer erkaufte Palladium der höchsten Freiheit, wenn wieder gefährdet, auf’s Neue jeder Zeit und jeden Ortes mit Wort und That zu vertheidigen.

Kaum dürfte es gegenwärtig eine deutsche Landeskirche geben, in welcher die kirchliche Restaurationspartei thatendurstiger wäre, als im Königreich Hannover. Schlag auf Schlag folgen sich hier die „kirchlichen Thaten“. Candidaten der Theologie werden aus den Listen des Kirchendienstes gestrichen, Glaubensgerichte werden gegen nicht fügsame Pfarrer eingesetzt, in Kirchenblättern wird gegen die freiere Richtung gepoltert, auf Conferenzen gelärmt, Kniebänke werden eingerichtet, der Beichtzwang wird wieder hergestellt, die Schullehrer werden bedroht und gemaßregelt, die theologische Facultät in Göttingen wird geleitet und beeinflußt. Die thatendurstige Partei baut Kirchen (wenn die Stände das Geld dazu bewilligen, was nicht immer der Fall ist) und organisirt Landesconsistorien, sie seufzt nach den verlassenen Fleischtöpfen Aegyptens, den schönen Ceremonien des katholischen Cultus, und wetteifert mit dem Pater Roh in Stylproben, welche lebhaft an die Bildungsstufe der deutschen Geistlichkeit nach dem dreißigjährigen Kriege erinnern. Aber alle diese Bemühungen wären umsonst, wenn es ihr nicht gelänge, das Denken und Glauben der Nation aus dieselbe Bildungsstufe zurückzuführen.

Es bedurfte daher einer letzten That, welche den bisherigen, welche allen vorangegangenen reactionären Bestrebungen der herrschenden kirchlichen Partei in Hannover die Krone aufsetzt. Sie war angekündigt, und sie ließ nicht lange auf sich warten. Am 14. April dieses Jahres wurde der mehr als siebzig Jahre in Gebrauch stehende „Katechismus der christlichen Lehre“ der evangelischen Kirchen und Schulen des Königreichs Hannover vom 10. August 1790 abgeschafft und – auf den Betrieb der thatendurstigen Partei – „Luther’s kleiner Katechismus mit Erklärung für die evangelisch-lutherischen Kirchen des Königreichs Hannover“ eingeführt.

Das „Ausschreiben“ des hannoverischen Consistoriums vom 22. April d. I. fordert nun aber „conservative Fortbildung“, d. h. Rückbildung der Zustände und Einrichtungen des hannoverschen Landeskirche um zweihundert Jahre, bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Der lutherische Katechismus sollte in Hannover im Jahre 1862 noch eben so erklärt werden, wie er im Jahre 1662 erklärt worden ist; das war und ist der Kern dieser neuen kirchlich-conservativen Fortbildungstheorie. – Was hat doch eine zweihundertjährige Entwickelung, welche alle Wissenschaften umgestaltet, das gesammte öffentliche Leben erneuert hat, einem solchen Standpunkte gegenüber zu bedeuten? Diese ist für die hannoversche Landeskirche nicht vorhanden; die „vermeinte Wissenschaftlichkeit der Universitäten“ muß ja abgethan, der lebendige Strom, der von dem Lebensbrunnen des öffentlichen Geistes ausgeht, muß abgegraben werden. Ein weiland Generalsuperintendent zu Celle, Namens Walther, ein heftiger Gegner des freier denkenden Helmstädter Professor G. Calixt, ein lutherischer Streittheologe des siebzehnten Jahrhunderts, ist als derjenige erkannt worden, zu dessen „Erklärung des lutherischen Katechismus“ die hannover’sche Landeskirche „conservativ fortgebildet“ werden muß. Also nicht mit einem neuen, sondern mit einem zweihundert Jahre alten, aus der orthodoxen Streittheologie des 17. Jahrhunderts herausgewachsenen Katechismus hat das Kirchenregiment die evangelischen Gemeinden Hannovers beglückt! –

Auf den Inhalt dieses sogenannten „neuen Katechismus“ einzugehen, all die veralteten, theils über-, theils abergläubischen Lehrsätze desselben zu citiren und zu beleuchten, verbietet uns hier der Raum. Führen wir des Beispiels halber nur an, was darin über den „Teufel“ gesagt wird. Daß nämlich der Teufel stets mit Vorliebe im neuen Katechismus erwähnt wird, daß sogar ein eigener Lehrsatz über ihn vorkommt (S. 80, Fr. 21.), der sich auf die zweifelhafte Stelle Jud. 6 gründet, darf uns natürlich nicht in Erstaunen setzen. Daß die Versuchung zur Sünde vorzugsweise dem Teufel zugeschrieben wurde, und deshalb die citirte Schriftstelle Jac. 1, 13. f. verstümmelt angeführt wird, weil sie mit dem Katechismus sonst nicht stimmte: das könnte vielleicht überraschen. –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_716.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)