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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

hat nun einmal seine beschränkten Begriffe wie der Landbewohner. – In einer Ecke saßen Musikanten um einen Tisch herum und rüsteten sich eben zur Arbeit. Im Nebenzimmer standen Spieltische nebst einem wohl versorgten Schenktisch. Der Platz füllte sich bald mit Gästen. Der Primiziant führte die Kranzeljungfern herein, die Eltern folgten, und bald ging der Tanz los.

Arderian eröffnete ihn mit seiner älteren Schwester. Andere folgten. Die jüngeren Mönche bemächtigten sich der Frauen und Mädchen, die da waren und tanzen mochten, und bald war mehr als die Hälfte der Gesellschaft in kreisender Bewegung, Nikodem mitten darunter. Der alte Mann! – Aber auch das alte Elternpaar fehlte nicht.

Die Musikanten spielten einen reizenden Oberländler. Gern hätte ich mitgetanzt, aber keine Tänzerin war übrig geblieben. O wie gerne hätte ich das hübsche, derbe Zimmermädel gefaßt, das sich im Spielzimmer allerhand zu schaffen machte; aber das ging nicht an. Ich tröstete mich demnach und sah zu. Mein Schicksal theilten indeß mehrere der jungen Beamten. Es lag überhaupt nichts Auffallendes darin, daß ich müßig dastand, indem es genug Zuschauer gab; aber meine studentische Eitelkeit war verletzt.

Der Primiziant wechselte beständig seine Tänzerin. Er führte nach und nach alle anwesenden Frauen und Mädchen, selbst seine in Wonne strahlende Mutter zum Tanze. Der gute Arderian! Seine Arbeit mochte jetzt ebenso anstrengend sein, als die des Segengebens am Vor- und Nachmittage; aber vielleicht war sie ihm doch etwas angenehmer. Mindestens sah er nicht matt und blaß aus.

Die Zuschauer verzogen sich später in das Spielzimmer und in die Nähe des Schenktisches. Auch mehrere Tänzer ließen von ihrem Eifer ab, und so kam ich denn auch glücklich daran zu tanzen. Der Pater Gastmeister, der zwar nicht tanzte, dein man es aber ansehen konnte, daß ihn die allgemeine Fröhlichkeit ergötzte, hatte mich schon einige Male scherzend aufgemuntert; jetzt faßte er mich an der Hand und führte mich zu einer der fein geputzten Frauen. Mich vorstellend sprach er:

„Da, Frau Verwalterin! bring’ ich Ihnen ’n Tänzer aus ’ner Hauptstadt; der kann’s recht.“

Ohne alle Ziererei und mit großer Freundlichkeit stand die junge Frau von ihrem Sitze auf und stellte sich an meine Seite. Bald wirbelte ich mit ihr im Galopp durch den Saal. – Daß ich mich dann auch an die andern Tänzerinnen wagte, versteht sich von selbst.

Zuletzt schien auch der schwache Nest von Etiquette, die bisher beobachtet worden war, zu schwinden, denn ich sah die beiden hübschen Zimmermädchen mit Geistlichen und Beamten tanzen, und es dauerte gar nicht lange, so hing auch ich an der schmucken Dienerin, die Freund Professor so reizend gefunden hatte.

Als ich wieder stille stand und Athem schöpfte, Himmel! da fuhr ein Blitzgedanke mir durch den Kopf: der Novizenmeister, der grobe strenge Herr meines sich entspinnen sollenden Klosterdaseins. Indessen scheuchte ich bald alle Bedenklichkeiten fort und sagte mir, was man sich, wenn man jung ist, in ähnlichen Fällen zu sagen pflegt: Wer weiß, ob er etwas davon erfährt. – Ich verharrte also im Genusse des frohen Augenblicks.

Gegen 9 Uhr wurden Lichter gebracht und die Gesellschaft verringerte sich ganz bedeutend. Arderian und seine Angehörigen, die älteren Geistlichen und die Beamtenfrauen nebst ihren Töchtern gingen zur Abendtafel und kamen nicht wieder. Die jüngeren Mönche und Beamten und einige Gäste von außerhalb blieben zurück, spielten, tranken und schwatzten. Ich blieb auch. – Bald sammelte sich in den geöffneten Thüren ein Zuschauerpublicum von Köchinnen, Lehrmädchen, Mägden und dergleichen. Der hübsche Theil derselben wurde zum Tanze geholt, und so dauerte die Lustbarkeit bis gegen Mitternacht. Müde und befriedigt suchte und fand ich bald mein Zimmer und entschlief auf dem bequemen Lager mit dem ernsten Gedanken, daß ich den Pater Gideon beim Klosterballe nicht gesehen habe. –

Zwei Tage blieben noch die Angehörigen Arderian’s im Stifte, ich bekam sie aber wenig zu sehen. Nach zwei Tagen endlich fuhr die Hochzeitsgesellschaft wieder ab und Arderian mit ihr. Er hatte auf acht Tage Urlaub erhalten, um das Fest der ersten Messe in seinem Geburtsorte, im Vaterhause, in seiner Dorfkirche noch einmal zu begehen. Bei solchen Dorfprimizen soll es noch viel feierlicher und fröhlicher hergehen als im Kloster. Da Arderian’s Eltern wohlhabende Leute sind – sagte man mir – so können sie es sich etwas kosten lassen. Solche Leute pflegen sich zu sagen, solches Glück und solche Ehre werde nicht Jedem zu Theil. Auch soll die Idee, daß den Eltern eines geistlichen Herrn Sohnes als des Vermittlers zwischen Jenseits und Diesseits der bessere Theil gesichert sei, nicht wenig zum Glücke der Angehörigen beitragen. Meine Eltern scheinen dieser Idee auch nicht fremd zu sein. Ihr guten Eltern! –





Ein Stündchen in Dresdens zoologischem Garten.

Das alte Bibelwort: „Der Mensch soll herrschen über die Vögel unter dem Himmel und über alles Vieh, das auf Erden kriechet,“ hat unstreitig seine thatsächlichste Erfüllung in den zoologischen Gärten gefunden. Denn Alle sind eingesperrt und müssen gehorchen, und nur der Sohn aus Adam’s Geschlecht wandelt frei und als Herr zwischen den Gittern und Käfigen.

Auch Elbflorenz, die schöne Königsstadt, besitzt seit zwei Jahren ihren zoologischen Garten, und, wie Sachkundige versichern, einen der am schönsten gelegenen. Auf wohlgepflegten Pfaden, größtentheils im Schatten anmuthiger Parkanlagen, wandelt der Beschauer vorüber an den Bewohnern der Eismeere bis zu dem heißblütigen Könige der Wüste. Sämmtliche Thiere sind ihrer Natur entsprechend ebenso zweckmäßig wie geschmackvoll gruppirt in künstlichen Grotten und Bauen, in Zwingern, Blockhäusern, Volièren, Bassins, auf Wiesen und Weihern.

Ein prachtvoller Herbstnachmittag ruht über dem Elbthale und wirft seine goldnen Lichter durch das Laubgrün, in der Ferne duftige Berge. Die Glocken der Residenz tönen durch die stillblaue Luft. Treten wir näher.

Die ersten zwei Insassen des Gartens, die unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, sobald wir durch das Nordthor kommen, sind zwei Bewohner des Wasserreichs. Zur Linken guckt aus gefülltem Bassin der Kopf des Seehundes, oder das arme Thier liegt sich sonnend am Strande. Melancholisch schaut sein schönes treues Auge zu den Beschauern, die das Bassin umstehen und sein tiefes Heimweh nach seiner meergrünen und meertiefen Nordsee nicht verstehen. Dieses Aufbewahren des nur an salzige Meerfluth gewöhnten Thieres im beengenden Süßwasserbassin grenzt, allerdings im Interesse der Wissenschaft, an Thierquälerei. Auch hält es so ein armer Bursch für die Länge nicht aus und muß durch einen Nachfolger, den bald dasselbe Loos ereilt, ersetzt werden. Die Dauer eines Seehundes im Süßwasser währet in der Regel nicht länger, als die Regierung eines südamerikanischen Präsidenten, und es ist noch recht gut, daß der arme Nordseebewohner während seines Dresdner Daseins die unterschiedlichen Kritiken der Beschauer nicht versteht. Der Seehund ist wegen seiner dem Schönheitsgefühl wenig entsprechenden plumpen und unvollkommenen Körperform keineswegs Liebling der Damen. Wenn er so da liegt, ohne Hand und Fuß, halb Säugethier, halb Fisch, begreift man überhaupt nicht, wie er sich fortbewegen kann. Wie manch schönes Kind habe ich da ausrufen hören: „Pfui, welch ungestalt häßliches Thier!“

Gradüber dem Seehundbassin residirt ebenfalls im Bassin, aber sorgfältig hochumgittert, ein andrer Bewohner des Wasserreichs, der allerdings nicht so weit her ist, wie der Seehund, sondern ein Landsmann, die königlich sächsische Fischotter. Dieser Wassergymnast ist das gerade Gegentheil des heimwehsiechen phlegmatischen Seehunds. Ein fortwährendes lustiges Sichkopfüberinswasserstürzen, Wiederhervorkommen, den Rand des Gitters umlaufend, wieder kopfüber ins Wasser, wieder hervor und so fort, mit einer nie rastenden Lebendigkeit. Die Fischotter erfreut sich darum, sobald sie einigermaßen bei Laune, stets eines weit dankbarern Publicums als ihr träger Gevatter aus der Nordsee. Außer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_699.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)