Seite:Die Gartenlaube (1862) 611.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

um die Wirkung ihrer Worte besser zu genießen – denn sie wußte, daß sie mit diesen Worten das Todesurtheil des Grafen sprach. „Ja,“ sagte sie, „denn er ist mein Geliebter gewesen, Georg.“



9. Intermezzo.

Die Mittagssonne glänzt freundlich in das Arbeitszimmer des Kurfürsten und macht mit ihren glühenden Strahlen die vergoldeten Zierrathen der Fauteuils erröthen. Die Schatten der Blätter hüpfen über die Wände, und selbst das Gefieder der Vögel hat einen goldigen Wiederschein, und die bunten Schmetterlinge wiegen sich wie lebendig gewordene Blumen in der Luft. Aber den beiden Männern glänzt die Sonne und singen die Vögel nicht. Der Prinz lehnt an einem Guéridon und horcht auf die Rede des Kurfürsten, welcher gebückter, gelber und dürrer als gewöhnlich vor ihm steht und mit seinem hagern Zeigefinger jedes seiner Worte auf dem Rocke des Prinzen zu unterstreichen scheint.

„Das ist das Mittel. Eine Scheidung auf diese Art ist das einzige Mittel, um den Willen der Königin Anna zu erfüllen, ohne daß Du compromittirt wirst. Dörthe war albern genug, uns selbst den Weg zu zeigen, den wir zu gehen haben. Siehst Du endlich ein, daß Deine bisherige Nachsicht mehr als ein Fehler, daß sie eine maladress war? Und mußte Dich erst die bedrohte Ehre Deines Hauses zwingen, Gewaltmittel zu ergreifen? Der Freund, dem Du die Hand gereicht hast, hat Dich verrathen und würde Dich entehrt haben, wenn er gekonnt hätte. Die Frau, welche Du schonen wolltest, wollte mit einem Gecken, mit einem Wüstlinge entfliehen. Soll sie uns immer und immer im Wege stehen? – Eine freundschaftliche Trennung war eine Unmöglichkeit. Ganz Deutschland hätte die Partie der unterdrückten, verfolgten Frau genommen und mit gierigen Händen im Grabe Deiner Vergangenheit gewühlt, um auf einen schlammigen Grund zu stoßen. Jetzt bist Du frei geworden durch ihre Untreue. Sie ist eine Schuldige, und man kann sie bestrafen.“

Georg blickte seinen Vater finster an. „Sie ist noch keine Schuldige, so lange wir keine flagranten Beweise haben,“ sagte er. „Und ein Fluchtversuch ist in den Augen der Welt kein Beweis von Untreue, da man sie nicht in Gesellschaft ihres Liebhabers angehalten hat.“

Der Kurfürst machte eine Bewegung der Ungeduld.

„Sie ist keine Schuldige,“ sagte er hastig und flüsternd, „soit. Aber sie muß es werden. Man muß sie mit ihrem Liebhaber überraschen – dann ist eine ewige Gefangenschaft gerechtfertigt. Das Wie ist bald gesagt. Sie ist in ihre Gemächer eingeschlossen, und ich habe ihr untersagt, dieselben zu verlassen. Sie ist seit ihrem vereitelten Fluchtversuche in einer Art dumpfer Verzweiflung. Du begiebst Dich zu ihr und zwingst sie – wenn es sein muß, mit Gewalt – dem Grafen für heute Abend ein Stelldichein zu geben.“

Georg preßte die Hände mit einem seltsamen Blicke aneinander. „Wenn es sein muß, mit Gewalt –!“ wiederholte er.

„Der Graf hat keine Ahnung von dem Vorgefallenen?“

„Unmöglich. Meinen Cavalieren habe ich das strengste Stillschweigen geboten, und der Kutscher ist in Gewahrsam gebracht. Er kann also bis jetzt den Grund des Ausbleibens der Prinzessin nicht ahnen. Er ist heute morgen in’s Schloß gekommen und hat sich allsogleich wieder entfernt, als er vernahm, die Prinzessin befinde sich seit gestern Abends unwohl. O, wie ich ihn hasse, den Verräther! Wie ich ihn hasse! Er muß sterben, Vater.“

„Natürlich!“ sagte Ernst August mit seinem gewöhnlichen bittersüßen Lächeln. „Sein Tod wird der Riegel sein, den wir dem Kerker Deiner Frau vorschieben. Aber ihn hassen? Das begreife ich nicht. Du bist doch nicht eifersüchtig auf ihn?“

„Eifersüchtig?“ lachte Georg. „Eifersüchtig?“ Und er preßte seine Hände auf sein wüthendes und jammerndes Herz, dessen Schläge unaufhörlich die Worte der Gräfin von Platen wiederholten: „Er ist mein Geliebter gewesen, Georg.“



10. Zwei gute Cameraden.

Das Summen auf der Straße wurde undeutlicher und dumpfer – die Sonne umgab mit ihrem letzten rosigen Schimmer die Zinnen der Kirchen und die Wipfel der Bäume wie mit einem Heiligenscheine – und in den Ecken des Zimmers erstanden bläuliche Schatten, die ersten Vorboten der hereinbrechenden Nacht.

Nacht? Für den Glücklichen giebt’s keine Nacht. Und wie der Graf von Königsmark ruhelos in seinem Schlafzimmer auf und ab schreitet – seine Lippen auf ein kleines Blättchen Papier gepreßt, als wäre es eine Reliquie, bemerkt er weder das Hereinbrechen der Dunkelheit, noch das Scheiden der Sonne.

„Sie liebt mich! Sie ruft mich! Aber ist es denn möglich, was hier steht?“

„Ich bin in einer großen Gefahr. Nur ein ergebener Freund kann mich retten. Wenn Sie mein Freund sind, so kommen Sie heute Abend um die elfte Stunde in meine Gemächer. Es handelt sich um Leben und Tod.“

Er zitterte und fürchtete für sie, und war doch so glücklich. Er fragte sich erschreckt, was die Geliebte seines Herzens bedrohen könne, und war doch selig darüber, sein Blut, sein Leben für ihr Heil einsetzen zu können. Und sie selbst rief ihn! Er war ihr einziger Freund auf der weiten, weiten Welt, an den sie sich wandte und dem sie ihre Ehre und ihr Geschick vertraute. „Mir droht eine große Gefahr.“ Das war es also, warum sie gestern das Stelldichein im Parke nicht einhalten konnte?

Es war erst neun Uhr. Er hatte seine Diener verabschiedet und die Thüre verschlossen, damit er von Niemandem gestört werden könne. Dunkler und länger wurden die Schatten in den Winkeln des Zimmers, und die Dämmerung zog einen Trauerschleier über die Wände. Er hatte das Fieber und hielt es nicht länger aus in dieser Dunkelheit. Es war Etwas in ihm oder es war Etwas um ihn, was ihn bedrückte und wie die Ahnung von etwas Furchtbarem auf seiner Seele lastete.

Er stellte die Lampe auf den Tisch und zündete sie an. Was war das? Was war das jetzt für ein Geräusch im Zimmer? Die Teppiche waren so weich, daß man keinen Schritt hörte, aber eine Seidenrobe hatte geknistert. Die Thüre war verschlossen, und Niemand war durch dieselbe eingetreten. Aber wie er sich umwandte, erblickte er dort an der kleinen Thüre, welche in den Park führte, eine weibliche Gestalt. Jetzt warf sie ihren faltenreichen Mantel ab, und bekannte Züge lachten dem Grafen entgegen.

„Sie, Gräfin?“ rief er, „Sie hier?“

„Nun ja,“ antwortete Frau von Platen mit einem unbefangenen Lächeln, indem sie sich näherte. „Nun ja, was ist da Seltsames daran? Habe ich Ihnen nicht versprochen, Sie einmal zu besuchen, Philipp? Nicht als Frau Gräfin, sondern als ein guter Camerad – Sie wissen ja! Um ein wenig mit Ihnen zu plaudern …“

Der Graf hatte sich rasch gefaßt. Sein Blick schien in die Seele der Gräfin dringen zu wollen, um zu erforschen, ob sie vielleicht eine Ahnung von dem Stelldichein habe und gekommen sei, um es zu verhindern. Aber nein. Ihr dunkles Auge blickte so unbefangen auf ihn, und ihre weiße, weiche Hand strich so ruhig die Falten ihrer Robe glatt, daß er wieder aufathmete. Es galt jetzt, durch keine Miene seine Aufregung zu verrathen. In einem Nu war wieder der alte, leichtfertige, frivole Cavalier da. Er warf sich auf die nächste Causeuse und lachte.

„Wie edel, Gräfin, daß Sie einen Einsiedler besuchen! Nehmen Sie Platz, wir wollen plaudern. Welch gutes Glück hat meine Wenigkeit in Ihr Gedächtniß zurückgerufen?“

Sie schob einen niedrigen Schemel an das Sopha und ließ sich darauf nieder, so daß sie ihre verschränkten Arme auf seine Kniee stützen konnte und ihr Antlitz beinahe das seinige berührte, als er sich herabbeugte.

„Ich habe Sie schon eine Ewigkeit nicht gesehen, Philipp. Und Sie sind mir beinahe fremd geworden. Auch hielt ich es für nöthig, wieder einmal das feindliche Terrain zu sondiren, um nicht etwa unvorhergesehener Weise überfallen zu werden.“ Und ihre weißen Zähne blitzten zwischen ihren Lippen hervor, wie sie sprach.

„Das feindliche Terrain?“ lächelte Königsmark mit seinem fadesten Lächeln und seiner affectirtesten Stimme. „Bah! bin ich denn Ihr Feind, Gräfin?“

Sie lachte. „Sie haben wohl die Kriegserklärung vergessen, die Sie mir gemacht haben?“

„Eine Kriegserklärung?“

Ma! Und jene Rose, die Sie mir sandten –?“

Die gelangweilten Augen des Grafen schienen mühsam in dem Buche seines Gedächtnisses zu lesen, wie sie über das lächelnde Antlitz der Gräfin schweiften. „Ah! Jetzt entsinne ich mich. Du lieber Gott, Sie denken an jenen Scherz, Gräfin? Ich bewundere

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_611.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)