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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und Concilienschlüsse berief, nahm jener abermals sein Neues Testament hervor, mit einem Griff hatte er die Stelle zur Hand, daß Gott, der Vater, alle Menschen als seine Kinder mit gleicher Liebe umfasse, Matth. 11, 28.: „Kommt zu mir,“ (nicht zum Papste oder einem andern Menschen, schaltete er ein, sondern zu Christus) „die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch Ruhe schaffen;“ Röm. 8, 24–28, und andere Sprüche, indem er immer stark betonte: „das sagt das Evangelium, das ist der Wille des Herrn selbst, so sprechen die heiligen Apostel, so redet der heilige Geist.“ Und so ging es von einem Glaubenssatz zum anderen; es war immer Bild und Gegenbild, Satzung des Papstthums und Lehre der Schrift einander gegenüber gestellt, und was auch immer der Vertheidiger für Einwendungen machen mochte, der evangelische Prediger in Handwerkerkleidung war immer schlagfertig mit seiner Widerlegung bereit; man sah, jegliche Controvers war ihm schon im voraus bekannt, die treffendsten und schlagendsten Bibelstellen hatte er gegenwärtig, und wenn ihm ja einmal eine nicht sogleich beifiel, so supplirte sie sein bedächtiger jüngerer Gefährte. Der Grundbesitzer vertheidigte seinen Standpunkt in ruhigem, nie versagendem Rede- und Gedankenfluß, den ich bewundern mußte, denn auch die Gabe der Wohlredenheit scheint eine Mitgift des schönen Italiens an seine Bewohner zu sein; aber entgegen der Begeisterung, die unter den grauen Locken des kleinen Mannes hervor aus dessen Antlitz und den leuchtenden Augen strahlte, gegen den Strom feuriger, in einzelnen Momenten wahrhaft hinreißender Beredsamkeit, die, aus einem glühenden Herzen kommend, sich aus seinem Munde ergoß, konnte der Vertheidiger nicht aufkommen.

Ich werde nie das Bild dieses italienischen Colporteurs vergessen, wie ihm Lächeln und Wohlwollen um die Lippen spielte, die Siegesgewißheit im Angesicht leuchtete und seine ganze Gestalt gehoben ward, wenn er sein Neues Testament hoch empor dem Widerpart entgegenhielt und immer auf dem Grunde des geoffenbarten Wortes seine Keulenschläge gegen die Ausartungen und Mißbräuche des Papstthums führte. Es waren Scenen der apostolischen Zeit, die ich mit zu durchleben glaubte. Auch im Aeußerlichen konnte der piemontesische Sendbote des Evangeliums mit Paulus, dem Teppichweber, wohl verglichen werden, dem noch dazu sein Timotheus nicht fehlte. Die Macht aber, welche die zugänglich gewordene, in die Landessprache übertragene Bibelübersetzung auf die Gemüther übte, versetzte nicht minder in Luther’s Zeit. – Die übrige Reisegesellschaft nahm für und wider, jeder nach seinem Vermögen, Theil; etliche Stunden blieben Alle in der Diligenza über denselben Gegenstand in geistiger Erregung, bis an der letzten Station vor Lodi der Grundbesitzer den Wagen verließ, zwar ohne sich eines der neuen Bücher anzueignen und ohne für die reformatorischen Ideen gewonnen worden zu sein, aber sichtbar mit der Erkenntniß von der Ueberlegenheit des Gegners und daß er ihn nicht zu widerlegen vermochte. Täusche ich mich nicht, so sind bei den Uebrigen Eindrücke von dieser Unterhaltung zurückgeblieben, die sich nicht, wenigstens nicht bei Allen, gänzlich wieder verwischen werden.

Auf der noch übrigen kurzen Strecke, die wir beisammen waren, erzählte mir der Zeuge des Evangeliums mancherlei Einzelnheiten über die Verbreitung des gereinigten Glaubens, für den schon 15 bis 20 Kirchen im Piemontesischen erbaut oder im Bau begriffen seien; auch der Anfeindungen und Intriguen der Geistlichen gedachte er, ohne daß er sich aber in seiner rührigen Geschäftigkeit dadurch beirren lasse. Voll gutes Muths und Gottvertrauens, kein Miethling, sondern als ein vom Geiste getriebenes Rüstzeug betrieb er sein nicht gefahrloses Geschäft. – Ich konnte mir nicht versagen, in Lodi, wo unsere Wege sich trennten, den wackern Mann und seinen Gefährten durch ein gemeinschaftliches Mahl zu stärken; ein warmer, inniger Händedruck – ich hätte ihm um den Hals fallen mögen – und wir schieden von einander, ob auch Deutscher und Italiener, doch verbunden als Bruder in gleicher Liebe und Hoffnung des ewigen Heils.




Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.

Carl Vogt in Genf.
Nr. 6.
(Schluß.)
Das Ende des Käferprocesses und desses Nutzanwendung – Der Korn- und Holzbohrer – Der Maikäfer und sein Leben – Die Gefährlichkeit der Engerlinge – Maikäfer als Dünger – Mittel gegen Maikäfer – Einige andere Käfer – Die Larve des Todtenkäfers und die Krankheitsgeschichte einer Frau und eines Hypochonders.

Dieser Beschluß wurde am 29. Juni gefaßt, am 24. Juli machte der Advocat der Einwohner eine Eingabe, die dahin ging, „es möge dem Richter gefallen, im Falle daß die Vertheidiger die ihnen gemachten Anerbietungen nicht annehmen wollten, seine Schlußanträge zu genehmigen,“ in denen er verlangte, „daß besagte Vertheidiger gehalten sein sollten, augenblicklich aus den Weinbergen der Gemeinde sich zurückzuziehen, und daß ihnen unter strengen Strafen verboten sein solle, sich künftighin in dieselben einzuschleichen.“ Der Advocat der Käfer verlangte eine Frist zur Stellung seiner Gegenanträge und am 3. September, wo die Verhandlungen wieder aufgenommen wurden, erklärte er, die Bedingungen durchaus nicht annehmen zu können, da die angebotene Localität gänzlich unfruchtbar sei und durchaus nichts producire, wovon seine Clienten sich nähren könnten. Damit hatte einstweilen die Geschichte ein Ende; denn nach Ernennung von Sachverständigen, welche die Localität untersuchen sollten, waren die Käfer böswilliger Weise verschwunden, ohne je wieder in solch zerstörender Weise aufzutreten.

Sie könnten vielleicht glauben, meine Herren, daß der Proceß, dessen Gang ich Ihnen eben skizzirt habe, eine Ausnahme darstelle, welche für die Intelligenz unserer savoyischen Nachbarn kein allzu rühmliches Zeugniß ablegen dürfte. Sie würden sich indessen in dieser Annahme sehr irren. In jenem merkwürdigen Zeitalter, in dessen Bornirtheit man uns so gerne wieder zurückführen möchte, wo man den gewöhnlichen Menschen zum Thier herabwürdigte und andererseits das Thier dem Menschen gleichstellte, waren Processe gegen Thiere etwas ganz Alltägliches, und die geistlichen Behörden wetterten mit Bannflüchen und Verdammungsurtheilen gegen die Thiere nicht minder, als gegen die Menschen, und nur mit dem Unterschiede, daß erstere schon eine Stufe weiter gekommen schienen in der Erkenntniß, indem all’ diese Excommunicationen auch nicht den mindesten Einfluß auf ihr ferneres Gebahren übten.

Ein naher Verwandter des Rebenstichers ist der Kornbohrer, der schwarze Kornwurm, der Kornkäfer oder Getreiderüßler (Calandra granaria), ein kleines, langgestrecktes Käferchen, kaum von der Größe eines Flohs, mit langem Bruststücke, verkümmerten Unterflügeln und so harten Flügeldecken, daß sie beim Zertreten knirschen. Ein merkwürdiges Thierchen, das durch seine Zerstörungen auf dem Kornboden schon manchem Kornwucherer, aber auch manchem ehrlichen Manne einen bedeutenden Strich durch die Rechnung gezogen hat und wieder einmal so recht auffällig den Beweis liefert, wie schädlich jene kleinen Feinde werden können, sobald sie in Menge erscheinen. Das Leben des Kornkäfers beschränkt sich auf ein einziges Getreidekorn. In dieses schiebt der Käfer, der den Winter in halber Erstarrung in Ritzen und doppelten Böden der Speicher, in Stroh oder in Spreu zugebracht hat, am Beginne des Frühjahrs sein Ei, indem er das Korn an dem Keime oder an der haarigen Spitze anschneidet. Nach zehn bis zwölf Tagen kriecht die dicke, weiße, braunköpfige, fußlose Larve aus dem Ei und höhlt nun nach und nach das Korn aus, indem sie alles Mehl verzehrt und nur die Kleie und ihren Unrath darin läßt. Dann verpuppt sie sich, und nach etwa vierzig Tagen, also im Juli, erscheinen die jungen Käfer, die sich alsbald begatten und so bis zum Spätherbste eine zweite Generation hervorbringen. Der erwachsene Käfer selbst nährt sich nur vom Mehl des Korns, das er mit seinem Rüssel anschneidet und aushöhlt.

Ein einziger Kornkäfer kann also nicht viel schaden. Aber Millionen erscheinen und erzeugen Milliarden, und am Ende wird

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_605.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)