Seite:Die Gartenlaube (1862) 589.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Fähigkeiten, welche ein echtes Räuberleben möglich machen; sie zeigen einen Muth, einen Blutdurst, eine Grausamkeit, welche mit ihrer geringen Größe gar nicht im Verhältniß stehen. Ihr Gebiß hat Karl Vogt den Lesern der Gartenlaube auf Seite 124 des vorigen Jahrgangs vortrefflich beschrieben; ihrer Lebensweise aber hat er nur so flüchtig gedacht, daß ich seiner Schilderung wohl noch Einiges hinzufügen darf.

Die Spitzmäuse sind, mit Ausnahme Australiens, über die ganze Erde verbreitet und finden sich überall, in der Ebene, wie im Gebirge, in Wäldern, wie auf Wiesen, Auen und in Gärten, in Häusern, in der Steppe, in der Wüste, auf Bäumen, wie im Wasser. Die meisten führen ein unterirdisches Leben, denn sie geben der Dunkelheit, wie alle Räuber, den Vorzug; doch kennt man auch einige, welche Angesichts der Sonne munter umherspringen. In ihren Bewegungen sind sie äußerst rasch und behend; sie huschen pfeilschnell dahin, klettern vortrefflich und stehen im Schwimmen keinem Binnensäugethiere nach. Einige springen sogar, gleich dem Känguru, auf zwei Beinen flott dahin. Der Geruch ist ihr ausgebildetster Sinn; auf ihn folgt das Gehör und dann das Gefühl; Gesicht und Geschmack sind verkümmert. Ihre geistigen Fähigkeiten erscheinen uns ziemlich gering; doch mag dies wohl in unsrer Unkenntniß seinen Grund haben.

In sämmtlichen Arten müssen wir höchst nützliche Geschöpfe erkennen, eifrige Arbeiter, welche uns durch Vertilgung schädlicher Kerfe große Dienste leisten. Die größeren Arten wagen sich auch an Wirbelthiere, so die Wasserspitzmäuse an die Fische und deren Laich; alle übrigen fressen hauptsächlich Insecten und zwar täglich mindestens so viele, daß die Nahrung ihrem eigenen Gewichte gleichkommt. Keine einzige Art kann den Hunger lange Zeit vertragen und keine hält Winterschlaf; sie sind das ganze Jahr hindurch in Bewegung und Thätigkeit.

Spitzmaus und Fangheuschrecke im Kampfe.
In natürlicher Größe.

Ein ziemlich starker Moschus- oder Zibetgeruch scheint ihre gemeinsame Schutzwaffe gegen größere Raubthiere zu sein; leider aber ist diese Waffe keine unfehlbare: sie schützt blos vor dem Gefressenwerden, nicht auch vor dem Tode. Hunde und Katzen verwechseln die Spitzmäuse mit den ihnen wenigstens in der Größe ähnlichen Mäusen und machen im Jagdfeuer ihrem Leben durch einen raschen Biß ein Ende, obgleich ihnen der kleine Leichnam, eben jenes Geruches wegen, so widerwärtig erscheint, daß sie ihn ruhig liegen lassen. Nur die Eulen, deren Geschmack und Geruch nicht die Feinheit der bezüglichen Katzensinne haben, kennen derartige Bedenken nicht, sondern fressen die von ihnen erbeutete Spitzmaus ohne Umstände auf. Glücklicher Weise gleicht die Fruchtbarkeit unsrer Thiere solche Verluste bald wieder aus. Die kleine Spitzmaus wirft zwischen vier und zehn Junge, welche schon nach Monatsfrist im Stande sind, ihr eigenes Gewerbe zu betreiben, und im nächsten Jahr bereits wieder Junge erzeugen. So kommt es, daß die schmucken Geschöpfe noch immer häufig genannt werden müssen.

In früheren Zeiten machte sich der Aberglaube viel mit ihnen zu schaffen. „Die Spitzmaus“, sagt der alte Topsel in seiner 1658 zu London erschienenen Thiergeschichte, „ist ein raubgieriges Vieh, heuchelt aber Liebenswürdigkeit und Zahmheit. Tief beißt und tödtlich vergiftet sie, sobald sie berührt wird. Grausamen Wesens sucht sie jedem Dinge zu schaden, und kein Geschöpf giebt es, welches von ihr geliebt wird, keines, welches sie lieben sollte; denn alle andern Thiere fürchten sie. Die Katzen jagen und tödten sie, fressen sie aber nicht; es würde ihnen auch schlecht bekommen, sie würden vergehen und sterben! Zum Glück müssen viele dieser bösen Thiere ihr Leben lassen; denn wenn sie in ein Fahrgleis fallen, können sie nicht wieder weggehen, sondern erschöpfen sich bald ganz, als wären sie in Banden geschlagen. Deshalb haben auch die Alten Erde aus Fahrgleisen als Gegenmittel für den Mäusebiß verschrieben. Man hat aber noch mehr Mittel bei andern Krankheiten, um die Wirkung ihres Giftes zu heilen, und diese Mittel dienen zugleich auch noch, um allerlei andere Uebel zu heben. Eine Spitzmaus, welche man verbrennt und stampft und dann mit Staub und Gänsefett vermischt, giebt eine Salbe, welche alle Entzündungen unfehlbar heilt. Eine Spitzmaus, welche getödtet und so aufgehängt worden ist, daß sie weder jetzt noch später den Grund berührt, hilft, wenn der Leib mit Geschwüren und Beulen bedeckt ist, wenn man die wunde Stelle drei Mal mit dem Leichnam des Thieres berührt. Der zu Pulver verbrannte und zu Salbe benutzte Schwanz ist ein untrügliches Mittel gegen den Biß wüthender und toller Hunde.“ In diesem Tone fährt der alte spaßhafte Naturbeschreiber fort; er kennt noch eine ganze Menge solcher homöopathischer Mittel. Gegenwärtig sind die Spitzmäuse auch vor dem Menschen ziemlich sicher; man läßt sie gehen und beachtet sie nicht weiter.

Ich weiß nicht, ob auch unsere etrurische Spitzmaus (Crocidura etrusca) in früheren Zeiten als Heilmittel benutzt wurde. Plinius, welcher die alten Geschichten aufgebracht hat, hätte sie verwenden können; denn die Spitzmaus ist nach ihrer Heimath benannt worden. Doch scheint es, als ob die Alten sie übersehen hätten. Erst im Jahre 1822 wird sie von einem Italiener beschrieben. Der große Pallas kannte sie bereits elf Jahre früher; seine Beschreibung ist aber nur sehr unvollständig. Ihr bräunlichgrauer Pelz dunkelt auf der Oberseite und geht nach unten allmählich in lichtere Farben über. Lippen und Füße sind weißlich behaart. Von den 21/2 Zoll ihrer Leibeslänge nimmt der Schwanz einen ganzen Zoll weg, sodaß für den Leib nur 11/2 Zoll übrig bleiben.

Gegenwärtig weiß man, daß das kleinste aller Säugethiere in allen Ländern rings um das mittelländische und schwarze Meer vorkommt: man hat sie in Nord-Afrika, in Frankreich, in Italien, in Dalmatien und in der Krim gefunden. Der nördlichste Punkt ihres Vorkommens scheint Triest zu sein. Sie fürchtet die Kälte und sucht sich für den Winter, auch in Süd-Europa, ganz besonders warme Aufenthaltsorte aus. In ihrer Lebensweise ähnelt sie ganz ihren Gattungsverwandten. Sie zieht Gärten oder Gebäude den Feldern und Waldgegenden vor und betreibt also in unmittelbarster Nähe des Menschen ihr Gewerbe.

Unser Maler hat sie allerliebst aufgefaßt. Eine jener in Südeuropa vorkommenden Fangheuschrecken (Mantis) ist von ihr überfallen worden. Das Kerbthier ist ebenso groß als sie und der Kampf voraussichtlich ein sehr heftiger. Doch wird sie siegen. Schon hat sie ihren Gegner an der schlimmsten Stelle gepackt: sie ist im Begriff ihm die Waffe abzubeißen. Dann wird wahrscheinlich der dünnere schwache Hals daran kommen, die übrigen Beine werden nach und nach amputirt werden, und schließlich bleibt der volle, saftige Leib als erwünschte Beute übrig. An ihm hat das Pärchen genug für – ein paar Stunden! Es wird erst schmausen, sich putzen, hierauf spielen und rasch wieder hungrig werden. Die feine Nase schnüffelt dann nach allen Seiten umher. Jede Ritze, jede Höhle, jedes Blatt wird untersucht. Wehe dem Kerbthier, welches sich blicken läßt: – es ist verloren! auch wenn

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_589.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2020)