Seite:Die Gartenlaube (1862) 553.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Am Abend des 14. März 1804 überschritt ein Corps französischer Soldaten und Gensd’armen, vom Oberst Ordener commandirt, unter der Leitung des Generals Canlaincourt, des späteren Herzogs von Vicenza, Frankreichs Grenze und betrat das neutrale, nach dem Völkerrechte unverletzbare Gebiet Badens. Die Soldaten besetzten Kehl, die Gensd’armen schritten weiter nach dem Schloß Ettenheim. Die Nacht war vollständig hereingebrochen, als sie dasselbe erreichten. Unbemerkt besetzten sie alle Ausgänge. Im Schlosse war es still. Alle hatten sich bereits dem Schlaf übergeben, denn der Herzog führte ein einfaches Leben und hatte den Tag auf der Jagd verbracht.

Da drangen die Gensd’armen unter Charlot in das Schloß vor. Sobald der Herzog von dem unerwarteten und unerhörten Ueberfall Kunde erhielt, sprang er nur im Hemde vom Lager auf und griff nach seinen Waffen. Er riß das Fenster auf und rief: „Wer da?“ – Charlot antwortete ihm. Er war entschlossen, als Enkel Condé’s seine Freiheit und sein Leben theuer zu verkaufen. Sein geringes Gefolge und einige Emigranten, welche sich zufällig im Schlosse befanden, sammelten sich um ihn. Einer seiner Officiere – vielleicht hatte französisches Gold ihn bestochen – stellte dem entschlossenen Fürsten vor, wie vergeblich ein Widerstand sein werde gegen die vielfach überlegenen Gensd’armen. Die Meisten von dem Gefolge waren nicht ohne Waffen, dennoch gab der Herzog dieser Vorstellung nach, weil er überhaupt noch nicht mit den Absichten der das Schloß Besetzenden bekannt war. In Eile warf der Herzog einen kurzen Jagdrock über und zog Beinkleider an.

In diesem Augenblicke stürzten die Gensd’armen in das Zimmer und hielten dem Herzog und seinen Begleitern gespannte Pistolen entgegen. Unerschrocken trat der Prinz vor und verlangte zu wissen, weshalb sie in das Schloß gedrungen wären.

Die Gensd’armen kannten ihn nicht, und Charlot verlangte zu wissen, wer der Herzog von Enghien sei.

„Wenn Ihr ihn verhaften wollt,“ rief der Herzog, ohne seine Fassung zu verlieren, „so müßt Ihr seinen Steckbrief bei Euch haben.“

„So müssen wir Alle hier verhaften,“ erwiderte der Oberst Ordener, und Alle, welche sich in dem Zimmer befanden, wurden von den Gensd’armen festgenommen.

Der Herzog, noch immer unerkannt, fügte sich mit ruhiger Würde der Uebermacht der rohen Gewalt. Von allen Seiten von Gensd’armen umringt, wurden die Gefangenen nach einer nahegelegenen Mühle geschleppt, nachdem des Herzogs sämmtliche Papiere mit Beschlag belegt waren. Hier erst wurde der Prinz erkannt, und es wurde ihm gestattet, sich vom Schlosse einige Kleidungsstücke und nöthige Bedürfnisse nachkommen zu lassen. Ohne Aufenthalt wurden die Gefangenen nun nach Kehl und von dort auf die Citadelle von Straßburg gebracht. Hier wurde der Herzog von seinen Dienern getrennt, und nur seinem Adjutanten, dem Baron de St. Jacques, wurde gestattet bei ihm zu bleiben.

Noch immer wußte der Prinz nicht, weshalb er verhaftet war. Er hatte zwar gegen Frankreich die Waffen geführt, indeß als offener Feind, er wußte, daß der erste Consul seine ganze Familie haßte, allein in der letzten Zeit hatte er sich nichts gegen Frankreich zu Schulden kommen lassen. Und dennoch mußte schon die außerordentliche Strenge, mit welcher er bewacht wurde, in ihm Besorgnis; erwecken. Niemand erhielt Zutritt zu ihm, Niemand wurde es gestattet, mit ihm zu reden. Drei Tage lang blieb er auf der Citadelle.

Kurz nach Mitternacht zwischen ein und zwei Uhr am 18. März trat wieder ein Gensd’arm in des Herzogs Gefängniß, nöthigte ihn aufzustehen, sich anzukleiden und kündigte ihm an, daß er sich zu einer Reise bereit halten möge, ohne hinzuzufügen, wohin er gebracht werden solle.

Der Prinz wünschte von seinem Kammerdiener begleitet zu sein; er erhielt zur Antwort, daß er keinen Kammerdiener mehr bedürfe. Nur zwei Hemden durfte er mit sich nehmen.

So geheim als möglich und mit größter Eile wurde er, fortwährend auf das Schärfste bewacht, in festverschlossener Kutsche nach Paris transportirt, wo er am 20. März 41/2 Uhr Nachmittags ankam. Er wurde zuerst in dem Tempel eingesperrt, allein schon nach wenigen Stunden wurde er auf’s Neue, von Gensd’armen umringt, fortgeführt und zwar nach dem ungefähr eine halbe Meile von der Stadt entfernt gelegenen alten gothischen Schlosse Vincennes, welches als Staatsgefängniß diente. Absichtlich schien man ihm keine Ruhe gönnen zu wollen, die er während der Reise nach Paris seit drei Nächten gänzlich entbehrt hatte. Um 8 Uhr war der Prinz bereits in seinem Gefängnisse. Erschöpft nahm er ein einfaches Abendessen und warf sich auf ein schlechtes Bett in einem Entresol.

Der Tod des Herzogs war von dem ersten Consul Bonaparte längst beschlossen und bestimmt; er hatte den gehaßten Mann jetzt sicher in seiner Gewalt, er hätte ihn in einem der Kerker von Vincennes ermorden lassen können, allein er wollte diesen Mord mit einem Scheine des Rechtes umgeben, und wie er sich nicht gescheut hatte, bei der Verhaftung des Herzogs das Völkerrecht, das geheiligte Recht eines neutralen Landes, mit dem Frankreich in freundlicher Beziehung stand, mit Füßen zu treten, so trug er jetzt auch kein Bedenken, die Gesetze des Landes, welche er selbst zum Theil gegeben hatte, als eine Farce zu gebrauchen, sie nach seinem Willen zu drehen und ihnen höhnend in’s Gesicht zu schlagen.

Nach des Consuls Befehl sollte der Herzog die Sonne des folgenden Morgens nicht wieder erblicken, die Zeit drängte deshalb, um die Posse eines Gerichtes noch in Scene zu setzen. Nachdem der gänzlich erschöpfte Prinz kaum in den ersten Schlaf gesunken war, wurde er kurz vor Mitternacht von Gensd’armen wieder wach gerüttelt und zu einem Verhöre geführt, von welchem sein Leben abhing. Die Militärcommission, vor welche er gestellt wurde, bestand aus acht Officieren unter dem Vorsitze des Generals Hullin, des Bastillenerstürmers. Sie war von Mürat, dem Gouverneur von Paris und Schwager Bonaparte’s, ernannt, also ließ sich erwarten, daß sie dem Willen des Consuls ganz ergeben war, und doch schlug dem Präsidenten dieses Gerichtes, Hullin, als er alt und erblindet war, das Gewissen, und er suchte sich zu rechtfertigen und einen Theil der Schuld von diesem Gaukelspiele und Morde von sich abzuwälzen. Außer dieser Commission war noch der Chef der Polizei, der verachtungswürdige Savary, bei dem Verhöre zugegen und Gensd’armen, welche zur Sicherheit den Saal füllten.

Obgleich erschöpft und aus dem ersten Schlafe gerissen, bewahrte der Prinz bei dem Verhör seine volle Würde und beantwortete alle an ihn gerichteten Fragen mit ruhiger Festigkeit. Das Verhör war bald beendet. Nach den französischen Gesetzen hätten ihm seine Antworten nochmals vorgelesen werden müssen, um die Richtigkeit des Protokolls zu bestätigen. Dies geschah nicht. Das Gesetz bestimmte ferner, daß nach Abschluß des Verhörs sich jeder Angeklagte einen Freund zur Vertheidigung zu wählen habe – auch dies unterblieb, der Herzog hätte sonst unter den Gensd’armen sich einen Vertheidiger wählen müssen. Nicht einmal der vom Gesetz bestimmte gesetzliche Beistand wurde ihm gestattet.

Noch in derselben Stunde, also kurz nach Mitternacht, wurde der Herzog schon vor den Gerichtshof, welcher aus der bereits erwähnten Militärcommission bestand, geführt. Auch dies war ungesetzlich, denn nach dem Gesetze sollte das Gericht am Tage und öffentlich stattfinden. Dieses Gaukelspiel hatte freilich das Licht des Tages zu scheuen, seine ganze Aufgabe bestand auch nur darin, irgend einen Grund zum Todesurtheil aufzufinden. Schon wurde im Schloßgraben ein Grab für den unglücklichen Herzog gegraben, lange bevor das Urtheil über ihn gesprochen war. Savary hat dies zu leugnen versucht, indeß nicht zu widerlegen vermocht. Die gerichtliche Untersuchung bestand im Wesentlichen nur aus einer Wiederholung des oberflächlichen Verhöres. Kein Zeuge für oder gegen den Herzog war vorhanden. Die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen konnten ohne Zeugen keine beweisende Kraft haben, sobald der Prinz sie leugnete – bei dieser Gerichtsposse war Alles möglich, weil der Tod des Prinzen schon bestimmt war. Der Herzog benahm sich vor diesem Gerichtshofe mit derselben Ruhe und Würde wie beim Verhöre. Seine Antworten waren ruhig, offen und gefaßt.

Die Anklagen gegen den Prinzen bestanden in Folgendem: 1) gegen Frankreich gefochten zu haben, 2) im Solde Englands zu stehen, 3) mit England Complote gegen die innere und äußere Sicherheit der Republik geschmiedet zu haben. Keines von den damals in Frankreich bestehenden Gesetzen konnte über die beiden ersten Punkte entscheiden, denn der Herzog gehörte nicht zu den Emigranten und war nicht mit den Waffen auf französischem Boden angetroffen, sondern aus einem neutralen Lande nächtlich geraubt worden. Für die dritte Anklage war die Militärcommission nicht competent. Dies angeschuldigte Verbrechen gehörte durchaus vor

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_553.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)