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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sorglos zur Ruhe, als wenn sie von den Wigwams ihres Dorfes oder von den dicken Wänden dieses Gemachs umgeben gewesen wären. Die ersten Stunden der Nacht verstrichen in ungestörter Stille; plötzlich aber wurden sie durch heftiges Poltern geweckt, mit welchem die in der Nähe der Zelte gepflöckten Pferde an den Leinen zerrten. Als sie die Augen aufschlugen, erkannten sie sogleich an dem hellen Schimmer, der durch die Zeltwände fiel, welcher Art die Gefahr sei, die ihnen drohte; kaum aber traten sie in’s Freie, so wurden sie auch inne, daß an ein Entrinnen nur mit Hinterlassung aller Habseligkeiten zu denken sei. Der ganze westliche Horizont war in Flammen gehüllt, und zwar hatte sich der Feuerstreifen ihrem Lager schon bis auf hundert Ellen genähert. Unglücklicher Weise waren sie von hohem, saftreichem Grase umgeben, welches das schnelle Erzeugen eines Gegenfeuers unmöglich machte, während auf der andern Seite ein starker Nordwestwind heftig in die Flammen blies, die grünen Halme weit vorweg durch die mitgeführte Hitze dörrte und zum leichten Raub für den Brand herrichtete. Zeit war nicht mehr zu verlieren; die Weiber schwangen sich auf die nächsten Pferde, die Kinder wurden ihnen von den Männern zugereicht, und im nächsten Augenblick waren diese beritten und sprengten den Ihrigen nach. Nur Nis-ka blieb zurück; die Sorge um seine jüngern Geschwister hatte ihn zu lange beschäftigt, denn als er zu seinem Pferde hineilen wollte, stürmte ein halbes Dutzend flüchtiger Büffel vorüber, und ihnen nach folgte sein Pferd, sein einziges und letztes Mittel zur Rettung. Es hätte eiserner Ketten bedurft, um das entsetzte Thier zu halten; die Lederleine war zu schwach gewesen.

Das unvermeidliche Verderben vor Augen ergriff Nis-ka in der Todesangst eine Büffelhaut, hüllte sich in dieselbe ein und stürzte den Flammen entgegen. Er gelangte lebendig durch den Feuerstreifen hindurch; aber das Gras war zu hoch, des brennbaren Stoffes zu viel, als daß er unverletzt hätte bleiben können. Auf dem ganzen Körper mit Brandwunden bedeckt, erreichte er eine sichere Stelle, wo er sich, den Tod erwartend, niederwarf.

Seinen Gefährten war es unterdessen nach scharfem Rennen geglückt, in dem breiten sandigen Bette eines fast ausgetrockneten Flüßchens ein Unterkommen zu finden; doch nur mit vereinigten Kräften und unter den größten Anstrengungen vermochten sie ihre Pferde zu halten, die wild kämpfend sich den fliehenden Hirschen, Büffeln, Antilopen und Wölfen anzuschließen trachteten. Aus der verhältnißmäßig geringen Zahl dieser Thiere ließ sich übrigens leicht errathen, daß der Brand noch keinen großen Weg zurückgelegt hatte und von einigen Sioux, die sich zu schwach fühlten, die Gesellschaft der Omaha’s offen anzugreifen, mit schlauer Berechnung geschürt und gelenkt worden war.

Bei Anbruch des Tages begaben sie sich zurück nach der alten Lagerstelle. Sie fanden ihre Habe von den Flammen verzehrt oder von der Hitze zusammengeschrumpft, den armen Nis-ka dagegen weit abwärts in der Nähe einer Quelle, mit dem Tode ringend. Die Omaha’s sind weise, sie kennen manche brandstillende Mittel; auch Nis-ka wurde durch die Bemühungen seiner Verwandten wieder hergestellt und nach dem heimathlichen Wigwam geschafft. Seine Wunden sind gut geheilt und vernarbt; wenn er aber die Augen zum Schlafe schließt, dann befindet er sich mitten im Feuer – es spricht der wilde Prairiebrand aus ihm – es ist seine Medicin, durch welche er vor dem eilenden Feuer warnt – es wäre unrecht – ihn zu wecken –“

„Wecken“ – wiederholte Henry Fontanelle noch einmal kaum verständlich, und dann war er fest eingeschlafen.

Der Sturm rüttelte heftiger an dem alten Blockhause, heulend fuhr er in den hölzernen Schornstein und grimmig schnob er in die Gluth des Kamins; der scharfe Schnee knisterte gegen die kleinen Fensterscheiben, und glimmende Holzstückchen explodirten unter der heißen Asche. Die Indianer träumten; aus der Brust des jungen Omaha’s aber sprach fort und fort der wilde Prairiebrand. Erst gegen Morgen hatte ich mich hinlänglich an die traurigen Töne gewöhnt, um ebenfalls noch einige Stunden schlafen zu können.




Das erste deutsche Bundesschießen in Frankfurt a. M.

Von Dr. Karl Wagner.
4. Der Schluß des Festes.
Der Schweizer Curti, seine Rede und der deutsche Mädchen-Dank – Das Schreiben aus Amerika – Ein umflortes Banner – Die Wacht am Rhein – Schluß und Abschied.

Die Reden, der ernste Gehalt des heiteren Festes, in denen sich die Hoffnungen, die Wünsche, aber auch die Forderungen des deutschen Volksgeistes manifestirten, gaben hier und da Veranlassungen zu Scenen, die das Gemüth tief ergreifen und den phantasiereichen Beschauer hinreißen mußten. Wir wollen nur eine erwähnen. Auf dem letzten officiellen Banket hatte Curti aus St. Gallen, Mitglied des Schweizer Nationalraths, uns die Grüße seiner in die Heimath zurückgekehrten Landsleute überbracht. Er hatte glänzend gesprochen, mit attischer Beredsamkeit. Doppelt wirksam waren seine Worte, weil er ein ehrwürdiger Greis mit jugendlichem Feuer ist, weil er gleichsam in officieller Eigenschaft den Ausdruck der Stimmung des schweizerischen Nationalrathes wiedergab. „Seid Ihr nicht Eine Nation?“ hatte er begeistert ausgerufen. „Und habt Ihr nicht Ein Land, Eine Sprache, Eine Wissenschaft und Kunst, Eine Gesittung, Eine Geschichte, Eine Zukunft? Habt Ihr nicht miteinander gekämpft in ernsten, großen Tagen, und habt Ihr nicht miteinander Euch frei gemacht? und die Interessen selbst, verlangen Eure Interessen nicht die Größe Deutschlands? Und darf ich nicht in Euere Herzen greifen, um herauszufragen: Ist es nicht bei Euch eine gemeinsame Ueberzeugung, daß Deutschland eine große Mission geworden ist, Schwerpunkt zu sein in Europa für alle großen Interessen der Humanität und des Fortschrittes? des reinen makellosen Fortschreitens eines geläuterten Humanismus? Was gilt es aber nun? Ausdauer, Beharrlichkeit für die höchsten Güter des Lebens, für die Ehre einer Nation und für ihr Voranstehen auf dem Punkte, auf dem Platze, den ihr die Vorsehung angewiesen hat. Da darf man wohl etwas aushalten und bestehen! Und sind nicht die alten Wahlsprüche die Eueren? Hier stehe ich, ich kann nicht anders! und eine Idee, zehntausendmal vereitelt, darf nicht aufgegeben werden; ein richtiger Gedanke, richtig einmal ausgesprochen, ist des Erfolges sicher; der Wahrheit der Natur der Dinge kann nichts widerstehen. Darum hinaufgeschaut und auf Gott vertraut und auf den Genius in Euch, auf den Genius Europa’s, auf den Genius der Menschheit. Sie sind in Italien auch nicht verzagt und sie haben Großes errungen, und wenn sie noch in schwierigeren Verhältnissen stehen, sie werden Mehreres erringen; Deutschland kann nicht hintan sein! Also auf den glücklichsten Schluß und den ganzen, nachhaltigen, segensvollen Erfolg Eures Festes – wie ihn die Besten Eurer Nation unter Euch, und die Besten Eurer Nation unter den Freunden, Förderern und Theilnehmern desselben gedacht und, ich bin es sicher, ganz gewiß festhalten werden, daneben aber noch einmal auf die bleibende Verbrüderung des nachbarlichen, kleinen Ländchens mein doppeltes, dreifach donnerndes Hoch!“

Kaum hatte der edle Greis, der mit der feurigen Zunge der Wahrheit und Begeisterung geredet und wie ein gottgesandter Prophet dagestanden hatte, geendet, als sich eine Anzahl deutscher Mädchen, hingerissen von der zündenden Gewalt seiner Worte, um ihn schaarten und ihm ihre dankbaren Gefühle für seine herzlichen Worte durch Ueberreichung ihrer Sträuße ausdrückten. Der alte Mann wußte sich gut zu revanchiren. Er drückte jeder der blühenden und glühenden Jungfrauen einen väterlichen Weihekuß auf die Stirne und ermahnte sie, in ihrer Gesinnung zu beharren und, wenn sie einstens Gatten und Söhne bekommen, sie in diesem Geiste zu stählen. Es war ein erschütternder Moment, wie die athemlos lauschenden Mädchen hochklopfenden Herzens an den Lippen der ehrwürdigen Attinghausen-Erscheinung hingen, wie sich nach und nach eine andächtige Gemeinde um die kleine Gruppe sammelte. Diesen Kuß werden die deutschen Mädchen ihr Lebtag nicht vergessen, und ihre Kinder und Kindeskinder werden davon erzählt bekommen.

Aber nicht allein in der Festhalle wurden patriotische Reden gehalten, es fiel auch außerhalb derselben manches begeisterte Wort vor Tausenden von Zuhörern. Besonders waren es die Uebergaben verschiedener Fahnen am Gabentempel, welche Veranlassung zu schönen, weihevollen Feierlichkeiten und zu warmen Versicherungen der Freunde und Brüder im Auslande Veranlassung gaben. An den Deutschen im Auslande waren die bedeutungsvollen Tage nicht spurlos vorübergegangen. Beglückwünschende Schreiben und Telegramme an das Centralcomité liefen massenweise aus allen Ländern ein, wo Deutsche in größerer oder kleinerer Anzahl in freiwilligem oder gezwungenem Exil zusammen wohnen. Es ist hier am Orte zu erwähnen, daß überhaupt die eingelaufenen theilnehmenden Grüße aus der Ferne in Poesie und Prosa, von Einzelnen und Gesellschaften, eine ganze Literatur bilden und gesammelt der sprechendste Beweis für die große und allseitige Theilnahme sein werden, welche das Fest überall, auch in weiter Ferne, bei Denen gefunden, die verhindert waren persönlich in Frankfurt zu erscheinen.

Eine warme Sympathie hatte das Fest vor Allem bei den Deutschen in Amerika gefunden, welche auch in der neuen Heimath treu am Vaterlande hängen. Eine Deputation derselben war sogar über das Weltmeer gekommen, um das Fest verherrlichen zu helfen. Am zweiten Festtag überreichten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_542.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2020)