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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Künstliche Fischzucht.

Von der Menge der Touristen, welche alljährlich Basel besuchen, wissen wohl die wenigsten, daß ganz in der Nähe dieser Stadt, in dem elsässischen Dorfe Hüningen, sich ein Etablissement befindet, in welchem ein ebenso eigenthümlicher, wie in commercieller Beziehung wichtiger Industriezweig gepflegt wird – künstliche Fischzucht. Die Anstalt ist in hohem Grade sehenswerth, obgleich sie in keinem der populären Reisehandbücher genannt ist, welche sich in der Regel mehr mit der Beschreibung der Naturschönheiten und Aufzählung der architektonischen Merkwürdigkeiten, als mit dem industriellen Charakter der Stadt und Gegend beschäftigen.

Die künstliche Fischzucht, welche jetzt über einen großen Theil des Continents verbreitet ist, ging ursprünglich von dem französischen Dorfe La Bresse und zwar von einem einfachen Fischer Namens Joseph Remy aus, welcher, durch die alljährlich bemerkliche Abnahme von Flußfischen aufmerksam gemacht, der Ursache dieser Erscheinung nachzugehen beschloß. Durch unermüdliche, jahrelange Beobachtungen gelang es ihm, festzustellen, daß die auffallende Verminderung der Fische ihren nächsten Grund in der massenhaften Vernichtung fand, der die Fischeier sowohl durch ihre schutzlose Lage im offenen Strome, wie durch ihre natürlichen Feinde, die Raubfische, ausgesetzt waren.

Remy’s erster Gedanke war, den Laich zu sammeln und ihn in Kästen, welche im Flusse aufgestellt werden sollten, gegen diese Zerstörung zu schützen, und diese Idee, welche der jetzt in Frankreich im großartigsten Maßstabe betriebenen Fischzucht zur Grundlage dient, wurde schnell vervollkommnet und verbessert, als Erfahrung, Wissenschaft und bedeutende Geldmittel dem armen Fischer zu Hülfe kamen.

Die Idee, Fische auf künstliche Weise zu züchten, ist übrigens durchaus keine neue. In China sammelt man schon lange den Fischlaich, bringt ihn in Brutkästen zur Entwickelung und transportirt ihn weite Strecken von einem Teiche und Flusse zum andern – und die alten Römer, welche in Künsten, die die Genüsse der Tafel erhöhen konnten, eine unbestrittene Meisterschaft erreicht hatten, waren auch die geschicktesten und raffinirtesten Fischzüchter. Es gelang ihnen, wie uns berichtet wird, einige Süßwasserfische in Seewasser zu übersiedeln, und umgekehrt Seefische in Flüssen und Teichen zu züchten; einige Arten gewöhnten sie sogar daran, in Wein zu leben, eine Grausamkeit, die auf das Wachsthum und den Geschmack der Thiere von großem Einfluß gewesen sein soll.

Auch in Deutschland wurde die künstliche Fischzucht bereits vor länger als einem Jahrhundert mit Erfolg versucht. Ein gewisser Jacobi publizirte damals über diesen Gegenstand in deutscher Sprache eine Schrift, die in’s Lateinische übersetzt und von Duhamel du Monecau in einer Abhandlung über Fische im Allgemeinen aufgenommen wurde. Wenn Frankreich also die Ehre der Erfindung für sich in Anspruch nimmt, so ist das falsch. Auch in Schottland wurden früher als in Frankreich bereits Beobachtungen über die Entwickelung und die Lebensbedingungen der Fische angestellt. Mr. Shaw machte schon im Jahre 1833 Versuche mit Lachseiern und veröffentlichte im Jahre 1840 die Resultate seiner fünfjährigen Beobachtungen. Joseph Remy trat erst im Jahre 1842 mit seiner Entdeckung hervor, und so wenig wir dem armen Fischer die Früchte seiner schlaflosen Nächte streitig machen möchten, so können wir den Franzosen nur das allerdings große Verdienst zugestehen, die künstliche Fischzucht praktisch und im weitesten Umfange nutzbar gemacht zu haben. Der Preis der ersten wissenschaftlichen Untersuchungen gehört unstreitig den hartköpfigen Söhnen Alt-Schottlands.

Vor der Einführung der künstlichen Fischzucht war die Flußfischerei in Frankreich vollständig ruinirt. Der Ertrag derselben war nach officiellen Berichten in jener Periode „nicht größer, als der des Lachsfanges in einem schottischen Flusse.“ Der Fisch ist für ein römisch-katholisches Land von großer Wichtigkeit; man stellt ihm dort mehr nach, als irgend wo anders, und dieser Umstand in Verbindung mit den unglaublichen Verlusten an Eiern und jungen Fischen verursachte in Frankreich nur um so schnellere Entvölkerung der Flüsse.

Der Fischer von La Bresse hatte den Hauptgrund des Uebels entdeckt. Sein Gewerbe ging zu Grunde, wenn es nicht gelang, dem Verkommen des Laichs und der jungen Fischbrut Einhalt zu thun. Damit war indessen nur der erste Schritt geschehen. Das Einsammeln des Rogens erwies sich als ungemein mühselig - war es nicht besser, die Fische in der Laichzeit einzufangen und die Eier dann in sicherem Schutze zu behalten, bis die junge Brut groß und stark genug war, sich selbst zu nähren und zu erhalten? Unterstützt durch den Coadjutor Gehin brachte Remy diesen Plan im Kleinen zur Ausführung, und der Gewinn an Fischen, welchen man erzielte, übertraf alle Erwartungen.

Dabei hatte die Sache indessen nicht ihr Bewenden. Man begriff in Frankreich, daß man eine so werthvolle Entdeckung nicht fallen lassen durfte. Das Gouvernement nahm die Sache in die Hand, gründete zu Versailles und Malmaison Brütanstalten und beauftragte Gehin und Remy mit der praktischen Leitung derselben. Ein Strom, ein Fluß nach dem andern wurde systematisch mit Millionen von jungen Fischen bevölkert. Um diese Unternehmungen, die sich nach und nach über alle Theile des Landes verbreiteten, zu erleichtern, gründete man zu Hüningen eine Central-Brütanstalt im großartigsten Maßstabe, und von hier aus werden jetzt Millionen von Fischeiern jeder bekannten Art nicht nur nach allen französischen Gewässern, sondern auch nach Deutschland und England verschickt. In Hüningen selbst werden nur wenige Eier bis zur vollständigen Reife ausgebrütet. Man versendet sie meist kurz vor der Zeit des Auskriechens. In hölzernen Büchsen, zwischen feuchtem Moos verpackt, kann man sie weithin ohne Schaden verschicken. Selbst Eier, welche auf diese Weise zwölf Tagereisen zurücklegten, kamen glücklich an Ort und Stelle an.

Die Anstalt zu Hüningen bezieht übrigens, obgleich stets einige Tausend Fische in den Reservoirs gehalten werden, dennoch den größten Theil ihres Bedarfs an Eiern von außen. Man bezahlt Leute, welche den Laich in den Gewässern der Schweiz sammeln, und auch der Rhein und die Donau werden in Contribution gesetzt. Dieser Handel beschäftigt eine Menge Menschen, denen die Anstalt zwei Francs für das Taufend Eier bezahlt. Leider sind die Eier vieler Süßwasserfische zu klein, um Gegenstand der Pflege in einer Brütanstalt werden zu können, und man muß sie ihrem Schicksale überlassen; dahingegen eignen sich die Eier von Hechten, Karpfen, Schleien etc., welche in der Freiheit ebenfalls zu Millionen zu Grunde gehen, ganz vorzüglich zur Zucht, und der dadurch erzielte Nutzen ist nicht hoch genug anzuschlagen.

Außer dem industriellen Interesse aber, welches das Central-Depot zu Hüningen bietet, gewährt es dem Naturfreund und Gelehrten die seltene Gelegenheit, die Entwicklung der Fischeier bis zum Grade der Reife in den überdachten Brutkästen zu beobachten. Man vermag hier das tägliche, fast unmerkliche Fortschreiten der Brut in allen Stadien genau zu verfolgen. Freilich gehört dazu eine unendliche Geduld. Die Form des Embryo läßt sich z. B. erst am zehnten Tage unterscheiden, und die Circulation des Blutes wird kaum vor dem dreißigsten Tage bemerklich. Unter günstigen Umständen verläßt der junge Fisch das ihn umhüllende Ei am sechzigsten Tage. Die kürzere oder längere Brütezeit hängt indessen, wie überhaupt das Leben des Fisches, hauptsächlich von der Temperatur des Wassers ab. Die Lachseier in der Brütanstalt zu Stormontfield brauchen volle hundert Tage, ja zuweilen vier Monate zu ihrer Entwickelung, doch sind hier die Bassins der freien Luft ausgesetzt; in einer wärmeren Atmosphäre würden sie ungleich weniger Zeit bedürfen. Versuchsweise hat man schon Eier in fünfzig Tagen ausgebrütet, doch gingen die jungen Fische sämmtlich zu Grunde.

In Deutschland hat man bis jetzt die umfänglichsten Versuche mit dem Donaulachse angestellt, einem Fische, der nicht selten in zweihundertpfündigen Exemplaren angetroffen wird. Professor Wimmer, unter dessen Leitung man die verschiedensten Experimente vornahm, erklärt gerade diesen Fisch für den zur künstlichen Zucht geeignetsten. Der Rogen eines achtzehnpfündigen Donaulachses enthält nicht weniger als 40.000 Stück Eier. Das Ausbrüten derselben geschah in einem Zeitraume von 65 Tagen, und die jungen Fische hatten schon nach Verlauf eines Jahres das Gewicht von einem Pfunde erreicht. Das französische Central-Depot zu Hüningen hat sich nach diesen Resultaten beeilt, dem Donaulachse eine besondere Beachtung zu schenken. In München hat man vielfach junge Lachse aus Eiern gezogen, die man aus Hüningen hatte kommen lassen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_517.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)