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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

dies doch nur vorübergehend, denn Dänemark kann auf die Länge der Zeit trotz seiner herrlichen Literatur und Geschichte, und hierzu rechne ich auch die isländische und norwegische, nicht dem Schicksale entgehen, daß die deutsche Sprache sich über das ganze Land ausbreitet. Nicht nur die ältere Literatur Dänemarks ist so schön und reich, sondern auch in der neueren Zeit hat es große Dichter gehabt, die, da sie zum Theil in deutscher Sprache gedichtet haben, auch insofern schon Dänemark mit Deutschland verknüpfen. Baggesen ist tief und lieblich, Heiberg witzig und geistreich, Oehlenschläger hat nicht die Tiefe des Gefühls, wie Baggesen, ist aber doch sehr anziehend. Merkwürdiger Weise haben diese Dichter in Deutschland nicht einen solchen Anklang gefunden, wie Andersen, obgleich sie letzteren weit überragen. Andersen hat mich hier vor einigen Jahren besucht. Er kam mir vor, wie ein Schneider; er sieht auch wirklich ganz so aus. Er ist ein hagerer Mann mit einem hohlen, eingefallenen Gesichte und verräth in seinem äußeren Anstande ein ängstliches, devotes Benehmen, so wie die Fürsten es gern lieben. Daher hat Andersen auch bei allen Fürsten eine so glänzende Aufnahme gefunden. Er repräsentirt vollkommen die Dichter, wie die Fürsten sie gern haben wollen. Als er mich besuchte, hatte er seine Brust mit einer großen Tuchnadel geschmückt; als ich ihn fragte, was er da denn eigentlich vor seiner Brust sitzen habe, antwortete er mit einer ungemein salbungsreichen Miene: das ist ein Geschenk, welches die Kurfürstin von Hessen mir zu verleihen die Gnade hatte. Uebrigens ist Andersen’s Charakter sehr ehrenwerth.“

Die schönen Gegenden Schleswig-Holsteins kannte Heine nur theilweise. Er sprach sein Bedauern darüber aus, daß er nicht die Ostküste desselben, sowie die dänischen Inseln, deren schöne Buchenwälder ihn stets so angezogen hätten, besucht habe. Sehr interessirte er sich auch für die Dithmarsen und Friesen, und ich mußte Manches von der geographischen Beschaffenheit, von der Eigenthümlichkeit der Sitten und Gebräuche ihres Landes erzählen. In ihre Geschichte war er auf’s Genaueste eingeweiht, er entwickelte hier in’s Einzelne gehende Kenntnisse. Als ich ihm sagte, daß Dithmarsen und Eiderstadt in vielen Beziehungen mit dem Jeverlande und Ostfriesland Ähnlichkeit haben, kam er auf seine Jugendzeit zu sprechen. In einer Sprache, wie sie sich nicht lieblicher in seinen Reisebildern findet, erzählte er mir jetzt von seinen einsamen, romantischen Wanderungen auf den Inseln Langerog, Spikerog und Wangerog. „Einmal,“ schloß er seine Erzählung, „wären mir diese Streifereien beinahe schlecht bekommen. Ich hatte nämlich zur Zeit der Ebbe eine der Inseln verlassen, um an’s Festland zu gehen, ohne mich vorher nach der Eintrittszeit der Fluth erkundigt zu haben. Plötzlich, als ich noch weit vom Lande entfernt war, brach die Fluth herein, und die Wasser schwollen mit solcher Geschwindigkeit an, daß ich nur mit genauer Noth noch die Küste erreichen konnte.“ Als er von diesen Wanderungen seiner Jugend redete, gab der Zauber der Erinnerung der Sprache des Dichters etwas so Anmuthiges, daß man die durch Windeshauch den Saiten einer Aeolsharfe entlockten Töne zu hören glaubte.

Welche Sehnsucht Heine hatte, in sein Vaterland zurückzukehren, das geht schon daraus hervor, daß er sich ernstlich mit dem Gedanken beschäftigte, nach Hamburg überzusiedeln. Eines Tages fragte er mich, was ich davon hielte, ob er die Reise besser zu Lande oder zur See bestehen würde? Wenn des Dichters Vermögensverhältnisse in besserem Zustande sich befunden hätten, so würde er seinen Plan auch wahrscheinlich ausgeführt haben. Die Seeluft hatte, wie er mir versicherte, stets wohlthätig auf seinen Körper eingewirkt, und auch das rauhere, neblige Klima der norddeutschen Tieflande war ihm stets gut bekommen. Was dem Dichter überdies den Aufenthalt in Paris verleidete, war, daß es mit so großer Mühe verbunden ist, die meisten Erzeugnisse des literarischen Marktes in Deutschland sich zu verschaffen. Es wohnen zwar in Paris eine Menge Deutsche, dieselben sind aber theilweise französisirt. Wirft doch auch keine Nation so leicht ihre Nationalität als unnützen Ballast über Bord, wie die deutsche! Die meisten im Auslande ansässigen Deutschen erinnern unwillkürlich nur zu sehr an Petrus und den Hahn. Wenn aber die Deutschen in Paris sich doch noch mit Deutschland beschäftigen, so zeigen sie wenigstens nur selten Interesse für die Leistungen der neuen Literatur. Natürlich führen die dortigen deutschen Buchhändler daher nur solche Bücher, auf deren Absatz sie sicher rechnen können, und Heine erzählte mir, daß er noch nicht einmal Gelegenheit gehabt habe, den ja in Deutschland so sehr gefeierten Emanuel Geibel zu lesen. Nun, an der Lectüre dieses specifischen Damendichters würde Heine wohl schwerlich viel Vergnügen gefunden haben. Mir kommen die Gedichte der norddeutschen Hansa-Biene stets vor wie Honig aus den Blüthen Byron’s und Heine’s, versetzt mit etwas Lübecker Marcipan, Mondschein- und Theegefühlen.

Ueber Wienbarg machte Heine nicht mittheilbare Bemerkungen; den früheren Reichsminister Heckscher beurtheilte er sehr streng, aber gerecht. – Ich hatte ihm Stahr’s „zwei Monate in Paris“ gebracht; als ich ihn später fragte, wie ihm das Buch gefallen habe, antwortete er mir: „Das Buch ist im Ganzen recht schön geschrieben, nur begreife ich nicht, wie ein Mann wie Adolf Stahr in den über mich handelnden Artikeln mich sehr häufig das Gegentheil von dem sagen lassen kann, was ich wirklich gesagt habe. Uebrigens macht es nichts, denn seine Absicht war gut.“ Als ich ihm von der allgemeinen Theilnahme erzählte, die seine Krankheit in Deutschland hervorgerufen, rief er aus: „Die Deutschen sind ein eigenthümliches Volk; wenn es einem gut geht, so ärgern sie einen zu Tode; wenn man am Rande des Grabes steht, dann zeigen sie Theilnahme und Mitleid.“

In der That, es ist eine Nationaleigenthümlichkeit der Deutschen, ihre Todten mehr als ihre Lebenden zu ehren, und der Mann des Geldes trägt die Schuld, daß der Dichter nicht in sein geliebtes Vaterland zurückkehren konnte. Nachdem er gestorben, wurden in kurzer Zeit Tausende gezeichnet, um ihm in Düsseldorf ein Monument zu errichten. Die Aschenliebe der Deutschen ist so stark, daß sie sich nichts daraus machen, ihre großen Geister Hungers sterben zu lassen. So ging es Kepler. „Er wußte nur die Geister zu vergnügen, d’rum ließen ihn die Körper ohne Brod.“ Hätte er nur während seines Lebens die Summe gehabt, wofür man jetzt in Weil der Stadt ihm ein Denkmal zu setzen gedenkt!

Es ist bekannt, daß Heine’s Charakter in Deutschland vielen Anfechtungen von jeher ausgesetzt gewesen ist, daß sein Streit mit Börne und Platen als ein pathognomonisches Symptom betrachtet wurde, durch das man auf den ganzen Charakter zu schließen sich für berechtigt hielt. Wenn man auf synthetischem Wege eine Definition des Charakters aufstellt, wird man bei der Beurtheilung großer Männer sehr häufig in Verlegenheit kommen, zu bestimmen, ob sie überhaupt einen Charakter haben. Auf jeden Fall urtheilen Diejenigen zu hart, welche Heine eines schlechten Charakters beschuldigt haben. Mir scheint des Dichters Charakter darin zu bestehen, daß er keinen Charakter hat, und als er dichtete „ein Talent, doch kein Charakter“, scheint er eine Selbstschau gehalten zu haben. Große Männer dürfen nicht mit dem Maßstabe gemessen werden, mit dem man gewöhnliche mißt. Es ist überhaupt lächerlich, noch Untersuchungen über den Charakter eines Genies anstellen zu wollen. Der Charakter berührt allein die sittliche Sphäre des Menschen. Wenn nun ein Genie die Anlagen von Hunderten von Menschen in sich concentrirt, so ist es ungereimt, demselben es zum Verbrechen machen zu wollen, das nicht zu besitzen, nach dem zwar der gewöhnliche Mensch ringen und streben soll, das aber für ihn als Genie ganz gleichgültig ist. Große Männer vom christlichen Standpunkte und nach dem erhaltenen Facit ihre Größe beurtheilen wollen, ist eben so eitel als die Quadratur des Cirkels suchen. Ein Genie ist keine mit gewöhnlichem Maß meßbare Größe. Nicht indem man es nach einzelnen Thaten und Handlungen beurtheilt, sondern nur indem man es in seiner Totalität auffaßt, läßt es sich annähernd richtig beurtheilen.

Heine hatte keinen Charakter, wenn man denselben im Sinne unserer Dogmatiker nimmt, dafür aber hat sein Genie einen Charakter, und sein Genie ist sich stets treu geblieben und brachte noch auf dem Sterbebette Diamanten aus seinen dunklen geheimnißvollen Schachten an’s Tageslicht, deren Glanz selbst den unmuthigen Augen seiner Feinde Bewunderung entlockte.

Wir wissen, daß Heine zum Glauben an einen persönlichen Gott zurückgekehrt ist. Ich kann darin keine Inconsequenz erblicken. Der Geist hat eben sowohl seine Phasen durchzumachen, wie der menschliche Körper. Wundert man sich darüber, daß der Frühling dem Sommer weicht, dieser in den Herbst übergeht, welcher endlich dem Winter Platz macht? Oder wundert man sich darüber, daß ein Jüngling nicht immer Jüngling bleibt, daß er Mann, daß er Greis wird? Der Geist hat ebenso seine Ver- und Entwickelungszeiträume wie der menschliche Körper, und es ist die Aufgabe unserer Naturphilosophen, statt eine Identität der Gesetze des Körpers

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