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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

das einfache Wort sagen: Es giebt nirgends eine Ursache, die mir selbst den kleinsten Theil Ihrer Achtung rauben könnte! und Sie würden mir trotz der Widersprüche, welche der Augenschein Ihnen entgegenstellen mag, unbedingt Glauben schenken. Und wie sehr es mich gedrängt hat, dieses Wort zu Ihnen zu sprechen, mag Ihnen der gegenwärtige Schritt beweisen, den ich zugleich, ohne Rücksicht auf gesellschaftliches Herkommen, thue, um mich gegen den Freund, den ich jetzt nicht verlieren mag, so rückhaltlos auszusprechen, wie es die bestehenden Verhältnisse erheischen.

Ich darf vermuthen, daß die Karte, welche ich Ihnen in Berlin sandte, um Ihnen für alle Fälle ein Asyl anzudeuten, Sie hierher gebracht hat, und dennoch mußte ich die Letzte sein, welcher Sie begegneten – nur durch einen Einfall Carry’s und wider Ihren Willen begegneten, und der Sie dann um so eiliger auswichen! Nicht wahr, das geschah nur, weil Sie mich verheirathet fanden, ganz abgesehen von der Person meines Mannes? und wenn ich jetzt in Ihr Inneres blicken könnte, würde ich nur auf den Vorsatz treffen, möglichst bald durch eine genügende Entfernung jeder neuen Berührung mit mir vorzubeugen? Sie haben mich fast ohne Hülle ahnen lassen, was in Ihnen vorgeht, und so spreche ich auch muthig aus, was ich von Ihren Empfindungen erkannt zu haben meine, da sich nur hierdurch ein ruhiges, klares Verhältnis; zwischen uns bilden kann.

Wir sind zweimal unter Umständen miteinander in Berührung gekommen, die uns Beide wohl die alltägliche Welt vergessen lassen konnten, und ich darf es Ihnen unter allen Verhältnissen gestehen, daß ich nie ohne eine warme Anerkennung Ihres Charakters, sowie eine herzliche, freundschaftliche Neigung für Ihre übrige Persönlichkeit an Sie zu denken vermochte. Jetzt, lieber Freund, sind wir aus Ihrem romantischen Deutschland in unser nüchternes Amerika gelangt und haben die Wirklichkeit zu nehmen, wie sie sich bietet. Ich bin einer unabweislichen Nothwendigkeit gefolgt, welche mich in meine jetzige Stellung geführt, und habe, wie ich Ihnen schon sagte, nichts darin zu bereuen; wollen Sie denn nun aber die Wirklichkeit dafür verantwortlich machen, daß sie Ihnen nicht bieten kann, was Ihnen vielleicht irgend ein Traum gezeigt? Und ist es denn so wenig, was wir haben können, wenn wir nur wollen: ein helles, lebendiges Verständniß unserer Seelen und ein freundliches Nebeneinanderleben, das gerade durch seine Leidenschaftslosigkeit kaum getrübt werden kann?

Indessen will ich Ihrer Stimmung, die sich mir ja nur in einem kurzen Moment geboten, jetzt in keiner Weise vorgreifen. Sie dürfen ruhig Ihren bisherigen Geschäften nachgehen, ohne besorgen zu müssen, mir von Neuem zu begegnen; nur Carry’s mysteriöse Einladung brachte mich heute in das elterliche Haus,das ich sonst kaum betrete – bietet sich aber in späterer Zeit einmal ein neues Zusammentreffen, so reichen Sie mir vielleicht selbst ruhig die Hand und betrachten unsere europäischen Abenteuer als das, was sie einzig bleiben werden: Erinnerungen ans einer poesievollen Zeit.

Und nun erlauben Sie mir noch eine Bemerkung, die ich aus vollem Herzen an den Freund richte. Sie sagten mir, Sie haben kein Talent zum Geldmanne, und Sie ließen mich die Gründe ahnen, welche Sie im Augenblicke in Ihrer jetzigen Lage festhalten. Lassen Sie mich Ihre Wünsche oder Pläne sammt deren möglichen Hindernissen mit derselben Offenheit wissen, wie ich selbst jetzt Ihnen gegenüber alle Bedenklichkeiten habe fallen lassen; vielleicht dürfte es mir möglich werden, Ihnen auf eine oder die andere Weise freien Weg für eine neue Zukunft zu schaffen, und können Sie zu der Mrs. Graham kein Herz fassen, so lassen Sie mich immer für Sie sein: Ihre aufrichtige Freundin

Jessy Winter.“


Hugo hatte längst den Brief geendet, aber noch immer blicke er bleich und starr in die Schriftzüge. „Lüge, Lüge!“ murmelte er endlich, „sie möchte, da sie mir das Paradies verschlossen, mir einreden, daß sie nie mehr als ein sonniges Plätzchen auf dürrer Haide für mich gehabt – aber um das zu schreiben, wenn es Wahrheit wäre, hätte es nicht dieser Eile bedurft!“ Er rief das ganze Bild seiner heutigen Begegnung mit ihr wieder vor sich, er prüfte es, als habe er über einen fremden Fall zu richten, von ihrem Erschrecken, als sie ihn erkannt, bis zu dem zitternden letzten Händedrucke und ihrem Abschiedsblicke. „Sie fürchtet!“ fuhr er langsam fort, „fürchtet ebenso die stumme Anklage als das eigene Gefühl und möchte den Glauben an ihr kaltes Herz als eine Schranke zwischen uns ziehen; sie bricht dem Schlimmsten, was ihr begegnen könnte, dem Geständnis; meiner Leidenschaft und meines Elends, die Spitze ab und sagt mit klaren, ruhigen Worten, daß ich ihr nichts mehr zu bekennen habe; sie weicht nicht aus, wo ihr die Vergangenheit entgegen treten könnte, aber läßt sie nur als poetische Erinnerung gelten; sie befestigt ihre Stellung nach allen Seiten – aber möchte mir doch gern eine goldene Brücke bauen, wenn ich nur ginge und ihr den Kampf ersparte. – O, ich gehe ja schon,“ fuhr er fort, sich in den nächsten Stuhl fallen lassend, „du sollst nicht beunruhigt werden, aber ich mag auch nicht deine Freundschaft und nicht deine Hülfe, Jessy – ich habe nicht dein starkes Herz, das sich selbst zu bezwingen und der Wirklichkeit volle Rechnung zu tragen vermag, aber ich habe meinen Stolz, der mich lieber darben, als ein Almosen annehmen läßt!“

Er legte den Kopf, das Gesicht in den untergelegten Arm gedrückt, auf den Tisch. Er war vollkommen klar mit sich, daß er morgen Winter’s Geschäft und die Stadt zu verlassen habe. Auch abgesehen von seiner Herzensangelegenheit, die ihn hier zu einer fortlaufenden Pein verurtheilt hätte, erforderte seine Ehre die Trennung von Winter; dann aber, wenn er wirklich seine amerikanische Carriere als Barkeeper oder dergleichen beginnen sollte, wollte er dies wenigstens an einem Orte thun, wo er kein Auge zu scheuen hatte. Er versuchte, sich den Abschied von seinem bisherigen Principale, dem er offen die Gründe seines Austritts mitzutheilen gedachte, vor die Augen zu stellen; aber durch seine Seele klangen fort und fort Bruchstücke aus Jessy’s Zeilen, seine Gedanken ableitend, und bald grübelte er fast unbewußt nur noch über einzelne ihrer Sätze, suchte er sich eine Erklärung für die „unabweisbare Nothwendigkeit“, welche sie in ihre Ehe geführt, zu schaffen, rief er sich ihre bleiche, veränderte Erscheinung, die in vollem Widerspruche mit der ruhigen, überlegten Ausdrucksweise ihres Briefes zu stehen schien, zurück, und erst die herbe Bitterkeit über diesen zur Schau getragenen Gleichmuth, welche ihn beschlich, führte ihn wieder mit größerer Bestimmtheit zu seinem Entschlusse, am nächsten Tage das Haus zu verlassen, zurück.

Da legte sich eine Hand auf seine Schulter; fast zusammenschreckend fuhr der Sinnende auf und sah in das Gesicht des alten Henderson, das ihn mit einer eigenthümlichen Theilnahme anblickte. „Sie hat bitter geweint, Sir, als sie das geschrieben hat,“ sagte er, auf den offen daliegenden Brief deutend, „aber nur Muth, Sir, was sie auch geschrieben haben mag! Sie weiß selbst nicht, wie es steht, und daß Henderson, der sie auf seinen Armen getragen, und ihr in manchem kleinen Unfälle geholfen hat, schon dabei ist, um sie auch von ihrem großen Unglücke zu erlösen. Nur nicht verzagt, Sir, es wird Alles werden, wie es soll, und wenn es einmal so weit ist, dann sollen Sie auch erfahren, wie tapfer das Kind gestritten!“ Es ging ein wunderlicher Ausdruck, aus Humor und Rührung gemischt, durch seine Züge, für welchen Hugo ebensowenig eine Erklärung hatte, als für seine Worte.

„Ich verstehe Sie nicht, Sir,“ sagte er befremdet; „Sie wissen etwas in Bezug auf diesen Brief?“

„Nur was mir soeben Flora, das ist ihr Kammermädchen, gesagt, durch die ich aber überhaupt Vieles erst habe verstehen lernen!“ erwiderte Jener ruhig und zog sich einen Stuhl im Bereiche seiner Hand herbei. „Ist es nicht richtig, das; Sie mit Miß Jessy in Deutschland bekannt geworden und auf die Karte hin, die sie Ihnen geschickt hat, hierher gekommen sind? Heißen Sie nicht Hugo Zedwitz?“

„Und wenn das auch Alles so ist, was erklärt sich daraus?“ fragte Hugo, welchem dieselbe schon einmal gehörte Frage wieder in’s Gedächtnis; trat, jetzt mit einiger Spannung.

Der Alte nickte mit einem eigenthümlichen Lächeln. „Ich habe gar nichts dawider, daß Sie mich nicht verstehen, ich gehe damit auch immer am sichersten!“ erwiderte er. „Sie werden aber doch einsehen, daß ich einen Grund haben mußte, daß ich Sie, der heute erst in’s Geschäft getreten, ruhig gehen ließ, als Sie die ganze Unterredung zwischen Mr. Winter und dem Stadt-Comptroller angehört, daß ich Ihnen sogar noch meine eigene Herzensergießung dazu gab? Nun, Sie sollen wissen, wie das so gekommen!“ Er strich mit der Hand über sein Gesicht und fuhr dann mit ruhigem Ernste fort: „Es ist wohl über ein Jahr her, daß Miß Jessy von der Tante, wo sie gelebt und der sie die Augen zugedrückt, wieder nach Oakhill kam und daß mit hundert andern jungen Leuten Mr. Graham seine Augen auf sie warf. Sie war aber noch immer das sonderbare Ding, das sie als Kind gewesen, wo sie sich oft allein

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