Seite:Die Gartenlaube (1862) 442.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Dem im Herbst vorigen Jahres zu Bremen gegründeten Schützenbunde gebührt das Verdienst, die ersten Schritte auf dieser Bahn gethan zu haben. Die Vertreter von mehr als hundert Schützengesellschaften, welche den Ausschuß für die Berathungen zu Bremen constituirten, haben als leitende Gesichtspunkte bei der Gründung des deutschen Schützenbundes aufgestellt: „die Vervollkommnung in der Kunst des Schießens und dadurch Hebung der Wehrfähigkeit des deutschen Volkes und die Verbrüderung aller deutschen Schützen“. Diese Ziele wird man von nun an unverrückt im Auge behalten und damit dem Vaterlande eine gut verbreitete und leicht bewegliche Wehrkraft zuführen, welche gleichsam als Ergänzung der stehenden Heere in den Tagen der Gefahr dienen soll und wird. Zu diesem Behuf war vor Allem auf eine einheitliche, leichte und handliche Waffe Bedacht zu nehmen, und man hat daher den Schweizer Ordonnanzstutzen als Bundeswaffe[1]angenommen. Dieselbe darf nur zwölf Pfund wiegen. Auf die Feldscheiben sollte eigentlich schon beim diesjährigen ersten Bundesschießen nur mit der Schützenwaffe geschossen werden, doch hat man diese Bestimmung in Anbetracht, daß sich die Einheit der Waffe nicht so rasch herstellen lasse, und um nicht dadurch Theilnehmer vom Feste abzuhalten, nachträglich für diesmal wieder aufgehoben. Aus ähnlichen Rücksichten hat man die ursprüngliche Bestimmung der in Bremen vereinbarten Schießordnung, daß nur aus freier Hand geschossen werden dürfe, dahin modificirt, daß auf 10 von den 100 aufgestellten Scheiben das Aufgelegt-Schießen gestattet ist. Der freie Handschuß soll jedoch natürlich bei Weitem vorwiegend bleiben. Die Schußlänge der Standscheiben beträgt 175 Meter (1 Meter ungefähr – 3 Fuß), die der Feldscheiben (Mannsscheiben) 300 Fuß. Man sieht also, daß der Schütze, der sich auf diese Entfernungen tüchtig eingeschossen hat, seine Kunst auch anderswo als auf dem Schießplatz, d. h. im Felde und wo er ihrer ernstlich bedarf, verwerthen kann. Aber auch bei Feststellung der Schützenkleidung hat der Ausschuß des Schützenbundes bewiesen, wie sehr ihm zeitgemäßes Vorgehen und Zweckmäßigkeit am Herzen liegt. Die dunkelgraue Joppe (mit Zündhütchentäschchen, grünem Kragen und Passepoil), weit genug, um nöthigenfalls noch einen Rock unterzuziehen, sowie der dunkelgrüne Filzhut haben den Sieg über die buntscheckigen Schützenuniformen davon getragen, denen man beim Schützenfeste in Gotha noch in ziemlicher Menge begegnete.

Mit Beseitigung alles veralteten Plunders und unnützen Trödelkrams, mit gänzlicher Aufgebung des alten Schlendrians hat der deutsche Schütze fortan seine Ehre nur in der geschickten Behandlung der Waffe zu suchen. Diesen Gedanken, diese Gesinnung sollen die alle zwei Jahre stattfindenden deutschen Nationalschießen überall im Vaterlande zum Durchbruch und zur Ausführung bringen helfen. Ob sie ihre Aufgabe erfüllen? Wir wollen es wünschen und zugleich hoffen, daß an kleinlichen Bedenken nicht wieder große Ziele scheitern. Jedenfalls aber werden sich durch das persönliche Zusammentreffen auf diesen Festen die verschiedenen Volksstämme näher rücken, mit erweitertem Gesichtskreis und befruchtet mit neuen anregenden Anschauungen in die Heimath zurückkehren und so zur allmählichen Ausgleichung vieler Vorurtheile und Gegensätze beitragen. In diesem Sinne heißen wir das erste deutsche Bundesschießen willkommen und ersuchen den Leser, mit uns eine Wanderung auf den Schauplatz desselben, die alte, echt deutsche Stadt Frankfurt am Main, anzutreten.

Bei dieser Wanderung durch die berühmte Krönungsstätte des weiland heiligen römischen Reiches deutscher Nation wird er auf Schritt und Tritt die Spuren einer im großartigsten Maßstabe angelegten vorbereitenden Festthätigkeit treffen. So mag es einst in dieser Stadt hergegangen sein, da man sich zum würdigen Empfang und zur Krönung der deutschen Kaiser rüstete, nur daß der zu erwartende Fremdenzudrang in keinem annähernden Verhältniß mit dem damaligen steht, denn – selbst die Kaiser fuhren damals noch nicht auf Eisenbahnen. Zehn Festcomités, welche sich in förmlich und genau organisirter Verwaltung in die verschiedenen technischen, finanziellen, künstlerischen, literarischen etc. Geschäftszweige theilen, haben alle Hände vollauf zu thun. Sitzungen folgen auf Sitzungen, viele Hunderte von Arbeitern sind seit Monaten für das Fest thätig, die Annoncen in den Zeitungen, die Auslagen in den Erkern, Alles weist darauf hin; es bildet den Ein- und Ausgangspunkt aller Gespräche und greift tief in die ganze bürgerliche Thätigkeit der Stadt und in viele Privatverhältnisse ein.

Die Betheiligung der Behörden und der Bürgerschaft ist im Allgemeinen eine sehr rege, mit Ausschluß der sogenannten Crème der Gesellschaft, welche dem Nationalfeste keinen angenehmen Geschmack abzugewinnen scheint. Nicht die leichteste Ausgabe ist dem Wohnungscomité zugefallen, denn es ist keine Kleinigkeit, in einer großen Stadt wie Frankfurt, in der jedes Eckchen Raum von hohem Werth ist und die, wie andere große Städte, auch ein Lied von der Wohnungsnoth zu singen weiß, eine Schaar von 5–6000 Schützen und die gewiß fast doppelte Anzahl von Verwandten und Freunden, die in den Familien zum Besuch des Festes eintreffen, gastfreundlich unterzubringen. Man hat sich deshalb genöthigt gesehen, Schulen und andere öffentliche Gebäude für die Unterkunft der Schützen herzurichten und das Bettwerk zum Theil von außerhalb zu verschreiben. So hat der Großherzog von Baden, der als echt deutscher Fürst alle nationalen Bestrebungen befördert und unterstützt, dem Festcomité 1800 ganz neue Betten aus den badischen Militairdepots zur Verfügung gestellt. Man hatte anfänglich höchstens auf 4000 Festtheilnehmer gerechnet. Nachdem aber jetzt der bekannte Conflict wegen des Erscheinens italienischer Schützen beim Feste glücklich beigelegt ist, laufen die Anmeldungen aus Süddeutschland, besonders aus Baiern, massenhaft ein und wird die oben genannte Zahl von 5–6000 Schützen ohne Zweifel erreicht werden, worunter sich allein 600 Schweizer befinden. Viele deutsche Eisenbahnen befördern die Schützen zu ermäßigten Fahrpreisen, eine österreichische sogar ganz umsonst. So ist auch der baierische Staatstelegraph dem Festcomité zu freier Benutzung überlassen.

Der großen Betheiligung von Einzelnen und Vereinen entspricht auch die Masse und der Werth der angemeldeten und einlaufenden Ehrengaben, die sich bis jetzt schon auf annähernd 200 belaufen und einen Gesammtwerth von ungefähr 45,000 Gulden darstellen; die geringste derselben ist 18 Gulden werth. Aus einer einzigen Stadt z. B. (Stuttgart) kommen zwölf Gaben in Silber und Gold, Hanau sendet das Hermanns-Denkmal, vier Fuß hoch, in Silber, Gold und Bronze; Pokale und Trinkhörner im Werthe bis zu 600 Gulden, kostbare Büchsen, Pistolen und Revolver, in Silber ausgelegt, Uhren in Gold und Silber, Pendules, silberne Bestecke und dergl. sind in Fülle vorhanden. Viele Buchhändler Deutschlands senden ihre besten Verlagswerke in Prachteinband, Oelgemälde von vorzüglichen Meistern sind aus München, Frankfurt, Lemberg beigesteuert, darunter ein Morel aus dem Jahre 1681. Aus allen Theilen Deutschlands sind Gaben edlen Weins eingetroffen, und die Fässer, in denen derselbe verwahrt ist, sind fast alle Meisterwerke feiner Arbeit. Kurz, die Ausstellung sämmtlicher Preise wird eine deutsche Industrieausstellung im Kleinen bilden. Die bedeutenden von der Stadt Frankfurt, von Vereinen und Einzelnen ausgesetzten Geldpreise sind in einer früheren Nummer der Gartenlaube bereits erwähnt worden.

Verfügen wir uns vor das Friedberger Thor auf den Schauplatz des Schießens selber, so stoßen wir auch hier auf jenes buntbewegte und anregende Treiben, welches einem großen Feste vorauszugehen pflegt und das Ergötzen aller Flaneurs bildet, die sich halbe Tage lang mit neugieriger Betrachtung und Kritik aller Einrichtungen auf dem Festplatze unterhalten. Zwischen Bergen von Hobelspähnen, Bretern, Balken und Moos rennen geschäftig und schaffend die Zimmerleute, Schreiner, Decorateure, Maler und Gärtner hin und her, um die großartigen Baulichkeiten ihrer Vollendung zuzuführen. Die Entwürfe zu den Festgebäulichkeiten sind von Herrn Architekten Pichler. Mit den Localitäten des Festplatzes ist der Leser im Allgemeinen schon in einer früheren Nummer der Gartenlaube bekannt gemacht worden. Der Vollständigkeit halber seien hier die Hauptdata nebst einigen Ergänzungen nochmals in Kürze

angeführt. Der Festplatz ist ein 480,000 Quadratfuß großes, mit

  1. Für Diejenigen, welche sich specieller dafür interessiren, möge hier die genaue Beschreibung dieser Waffe nach §. 56 der Satzungen des deutschen Schützenbundes folgen: „Die deutsche Schützenwaffe hat einen einschließlich der Patentschraube 0,84 Meter langen gezogenen Lauf, der bis hinter das Absehen achtkantig, dann bis zur Mündung rund geschliffen ist. Absehen mit Klappe und Korn sind offen. Die Waffe ist durchaus – bis 0,08 Meter vor der Mündung – geschäftet. Die Kolbennase darf höchstens 0,033 Meter, das Kolbenende höchstens 0,066 Meter von der geraden Linie abstehen, die man sich über die Oberfläche des Laufes gezogen denkt. Die Kappe darf höchstens einen Einschnitt von 0,028 Meter haben. Der Kolben hat keine Backen. Die Waffe ist versehen mit einfachem Feldstecher und Abzugsbügel mit nur einem Griff. Die Waffe ist versehen mit Vorrichtung zum Aufstecken eines Bajonnets und mit eisernem Ladestock. Das Geschoß hat einen Durchmesser von 0,010 bis 0,011 Meter. Die Waffe darf einschließlich Bajonnet höchstens zwölf Pfund wiegen.“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_442.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)