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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

brachte einen nur freundlichen Eindruck auf ihn hervor. Indessen mußte er bei dem Verlangen nach Logis für einige Zeit sich einer Musterung seines Aeußeren, wie einer Examination über sein Gepäck unterwerfen, und erst als Beides befriedigend ausgefallen schien, ward er mit dem Versprechen, daß ein passendes Zimmer bereit gemacht werden solle, zum Sitzen eingeladen und nach Wer und Woher gefragt. Das Zimmer war bei der frühen Morgenstunde noch leer, und der junge Mann beschloß ohne Weiteres die Gelegenheit wahrzunehmen, um ein Urtheil über seine Aussichten zu erlangen. Er bestellte zur Einleitung des weitern Gesprächs Bier, für sich wie für den Wirth, und begann dann dem Letzteren in kurzen Worten seine kaum geschehene Ankunft im Lande, seine Unkenntnis der Verhältnisse, wie seine Gedanken über einen künftigen Broderwerb mitzutheilen, gab eine Andeutung seiner vorhandenen und noch zu erwartenden Geldmittel, deren Verbrauch vor Gründung einer Existenz er indessen nicht abwarten dürfe, und bat dann den „Landsmann“ um Abgabe seiner ungeschminkten Meinung über die sich bietenden Aussichten, wie möglicherweise um einen Rath.

Der Wirth hatte ihn, ohne eine Miene zu bewegen, angehört und schob jetzt den Schirm seiner Mütze, welche den Tag über nicht von seinem Kopfe zu kommen schien, aus der Stirn. „Sind Sie denn katholisch?“ fragte er. Hugo schüttelte befremdet den Kopf und erkundigte sich nach dem Grunde der Frage.

„Ja, dann wäre vielleicht eher etwas zu machen gewesen,“ erwiderte der Erstere und begann mit dem Finger nachdenklich Figuren auf den Tisch zu zeichnen; „die Katholiken allein haben unter den Deutschen eine besondere Schule, und der Pfarrer könnte wohl etwas für Sie thun; damit ist es nun aber nichts. Die übrigen Deutschen schicken ihre Kinder in die amerikanischen Freischulen und geben auch auf anderweites Lernen nicht viel. Unter den Amerikanern könnte sich wohl, wenn Sie die Kenntnisse dazu besitzen, manche Gelegenheit zu einer Anstellung für Sie finden, aber Sie müßten eben Bekanntschaften und Empfehlungen haben, ohne die es nicht geht. Es ist eine traurige Geschickte in Amerika, wenn Einer nicht sein richtiges Geschäft hat, zu dem er hier wieder greifen kann, und ich habe schon manchen tüchtigen Menschen, der nichts weiter konnte, als was man drüben auf Schulen und Universitäten lernt, verlumpen sehen – ich sag’ es Ihnen frei, und gleich jetzt, damit Sie sich keine großen Hoffnungen machen, an denen Sie nur Zeit und Geld verlieren können! Versuchen Sie Ihr Heil,“ fuhr er aufsehend fort, „besuchen Sie die Präsidenten in den verschiedenen Schulanstalten, vielleicht haben Sie irgendwo ein ganz besonderes Glück, denn ohne das soll sich ein völlig Fremder und noch dazu ein Deutscher auf nichts Rechnung machen!“

Hugo sah in das Gesicht des Mannes, in dem zwar wenig Theilnahme, aber die volle Aufrichtigkeit der Ueberzeugung geschrieben stand, und wie ein Gespenst trat es zum ersten Male vor ihn, daß er doch kaum leichtsinniger hätte handeln können, als sich auf Gerathewohl den Verhältnissen eines unbekannten Landes anzuvertrauen – nur im Hintergrunde seiner Seele noch standen einzelne unbestimmte Geschichten von jungen Leuten, ähnlich ihm, die hier in andere Broderwerbe übergegangen und ihr Glück darin gemacht hatten; aber er klammerte sich unwillkürlich, wie an den einzigen sichtbaren Halt, daran. „Und giebt es denn nicht irgend einen andern Weg, auf dem ein junger Mann mit gutem Willen sich zu einer neuen Existenz verhelfen könnte?“ fragte er, nur mühsam seine innere Stimmung verdeckend, „ich wäre doch gewiß nicht der Erste, der, ohne gerade ein Handwerk gelernt zu haben, sich hier forthelfen würde!“

„Der Erste allerdings nicht und gewiß auch nicht der Letzte – Sie haben sogar noch vor Vielen voraus, daß Sie, wie Sie sagen, fertig im Englischen sind,“ erwiderte der Wirth, langsam seine Mütze rückend, „von denen aber hat noch Keiner sich in ein fertig gemachtes Nest hineinsetzen können, wie Sie es wollen. Es kostet für Leute Ihrer Art zweierlei, um sich hier einen Weg zu schaffen: zuerst Alles ausstreichen und vergessen, was drüben einmal gewesen, und sodann sich hier geduldig jeder Lehrzeit unterziehen, wenn sie vorläufig nur das nackte Leben bringt, denn hier giebt es keine Arbeit, die einen Menschen schändet. Manche freilich kommen niemals aus der Lehrzeit heraus, eben weil sie sich nicht dem neuen Lande mit Allem, was sie sind und haben, ergeben können und immer noch mit zehnerlei Gefühlen und dergleichen an ihrer Vergangenheit hängen; das sind die Menschen, die sich endlich hier das Leben nehmen oder, wenn sie es fertig bringen, wieder nach Deutschland zu kommen, drüben Amerika schlecht machen; der ordentliche Mensch mit richtigem Verstande und kräftigem Willen aber merkt ganz geschwind selber, wenn er über die Lehrzeit hinaus und für das Land reif geworden ist, und was ihn erst am meisten gedrückt hat, das wird ihm nachher zum Mittel, um sich überall seinen Weg zu schaffen. Wie Sie mich hier sehen, war ich der Nächste zum Ober-Zollinspector, als ich Anfang der dreißiger Jahre froh sein mußte, mit heiler Haut aus Amt und Heimath zu entkommen; ich wurde zuerst in New-York eine Art Küfergehülfe, wenn ich auch nur in meiner Wein- und Spirituosen-Kenntniß das Zeug dazu hatte, und dankte noch Gott für das neue Brod – jetzt hat mein Sohn mein hier später errichtetes Weingeschäft sammt den Weinbergen bei der Stadt übernommen, und ich habe das Gasthaus wie eine Art Ruheposten behalten.“ Er rückte wieder nachdenklich an seiner Mütze, während der junge Mann vor einem Wirrsal von Gedanken, welches die derbe Rede in ihm hervorgerufen hatte, zu keinem eigenen Worte zu gelangen vermochte.

„Ich habe Ihnen da mehr gesagt,“ begann der Sprecher nach einer kurzen Pause, „als ich sonst überhaupt sage, da bei grünen Eingewanderten selten ein Rath viel nützt; Sie haben aber offenherzig zu mir gesprochen, obgleich Sie noch Geld im Sacke haben, und so habe ich Ihnen geantwortet. – Ich will Ihnen sogar noch etwas mehr sagen,“ fuhr er fort, einen langsamen Blick über das ganze Aeußere des Gastes laufen lassend; „Sie könnten hier möglicherweise als Sprachlehrer auftreten und ein paar Schüler gewinnen, dabei aber in ewiger Zeit nicht aus dem Elende herauskommen, wie überhaupt das ganze Gelehrtenwesen hier keinen Boden hat, wenn es nicht als Geschäft mit einer eigenen Schule oder dergleichen betrieben wird, und dazu fehlt Ihnen die Kenntniß der richtigen Manier, was wir hier den „Humbug“ nennen, und mangeln Ihnen wohl auch die Mittel. Wollen Sie hinter sich werfen, was hinter Ihnen liegt, und Ihre Lehrzeit frischweg anfangen, so habe ich bei mir selbst eine Stelle als Barkeeper für Sie, das heißt als ein Mann, der hier die Gäste bedient, aber mich auch sonst in jeder Weise im Hause vertritt. Sie haben etwas an sich, das mir gefällt und mir Vertrauen macht, und stellen zugleich eine rechte Person vor. Sie aber werden dabei geschwinder das ganze amerikanische Leben kennen lernen und sich für jede Art von Geschäft fixer machen, als in irgend einer andern Stellung – geben Sie mir einmal jetzt keine Antwort!“ unterbrach er sich, als plötzlich ein tiefes Roth in Hugo’s Gesicht trat, und ein eigenthümliches Lächeln glitt über das wohlgenährte, faltenreiche Gesicht des Sprechenden, „ich kann mir vorstellen, daß Ihnen der Vorschlag kommt, wie ein Donnerwetter um Weihnachten. Es wird jedenfalls gut sein, wenn Sie sich erst ruhig im Hause einrichten und sich das Leben hier ansehen, auch in Gottes Namen ein paar Versuche zu einem andern Unterkommen machen. Ich bin die letzten Tage allein fertig geworden, da ich nicht jedem beliebigen Menschen meine Sachen anvertrauen mag, und werde es auch noch zwei oder drei Tage länger können. Also,“ setzte er mit dem früheren Lächeln, sich langsam erhebend, hinzu, „nehmen Sie einmal den Porter mit sich, der Ihr Gepäck hierher schaffen wird, und trösten Sie sich vorläufig damit, daß, wenn Alles fehlschlägt, Sie wenigstens eine Stellung haben können, die Ihnen das tägliche Brod giebt!“ – Hugo befand sich, um seine Uebersiedelung bewerkstelligen zu können, auf dem Wege nach seinem bisherigen Hotel, hätte aber vor dem Drange der in ihm kämpfenden Empfindungen und Vorstellungen kaum die Richtung eingehalten, wenn er nicht mechanisch dem ihm beigegebenen Begleiter gefolgt wäre. Es hatte ein solches Gepräge der Wahrheit auf jedem Worte gelegen, welches der Wirth gesprochen, daß er sich der Wirkung derselben, trotzdem sich sein ganzes Gefühl gegen eine praktische Anwendung erhob, nicht entziehen konnte; es war sichtlich reines Wohlwollen gewesen, was dem Manne seinen letzten Vorschlag dictirt, und doch empfand diesen Hugo wie eine Beleidigung, wie eine Verletzung seiner innern Würde. Ungerufen trat die stolze, glänzende Erscheinung des Mädchens, deren Familienadresse er hierher gefolgt war, vor ihn, und nun dachte er sich selbst daneben als – ersten Aufwärter eines kleinen Gasthauses! Und dennoch stand wieder etwas in seiner Erinnerung von den trüben ersten Jahren eines Jeden, der ohne bestimmten Plan in das sonderbare Land kommt, etwas, das mit der „Lehrzeit“ seines Rathgebers völlig übereinstimmte, und zugleich klang ihm das: „hier schändet keine Arbeit!“ von Neuem in die Ohren

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