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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Aus den Zeiten der schweren Noth.

Nr. 6. Ein braunschweigischer Bauer.

Eine halbe Stunde von Braunschweig, umgeben von fruchtbaren Feldern, üppigen Wiesen und wohlgepflegten Hopfengärten, liegt das freundliche Dorf Oelper. Für den Braunschweiger knüpft sich an diesen Ort ein besonderes patriotisches Interesse, und selten wohl wandelt ein Städter den als Spaziergang beliebten Weg dorthin, ohne erst durch das auf einer Anhöhe errichtete eiserne Monument an den 1. August 1809 als den Tag erinnert zu werden, an welchem Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig, ausgeschlossen von dem Frieden von Znaim, auf seinem berühmten Zuge von Böhmens Grenze bis zum Gestade der Nordsee, hier das sich seinem Weiterzuge entgegenstellende westphälische Armeecorps unter Reubel schlug. Schill’s Schicksal, der zwei Monate früher in den Straßen von Stralsund wie ein edles Wild zu Tode gehetzt war, schwebte am 1. August auch über Friedrich Wilhelm’s Heldenhaupte. Der Kampf war ein ungleicher, es war das Ringen einer kleinen, nur nothdürftig ausgerüsteten Schaar mit einem dreimal stärkeren Feinde, aber diese kleine Schaar war ausgezogen für Deutschlands Befreiung und stritt nun, durch Oesterreichs Friedensschluß mit Napoleon der Rache dieses übermüthigen Siegers preisgegeben, für Haupt und Leben, während jener nur „dem hohlen Winke des Herrschers“ folgte. Die Einwohner Oelpers waren an jenem Tage in nicht geringer Noth. Ihre Häuser, in deren Kellern Weib und Kind verborgen saßen, waren von Kugeln durchbohrt, ihre Gärten verwüstet, die noch nicht völlig beendete Ernte theilweise von Roß und Mann zertreten. Als aber nach grausiger Nacht die Sonne des zweiten August über dem Siegesfelde emporstieg, der Feind sich zurückgezogen hatte, der Held aber, für den sie gebangt, als freier deutscher Mann weiter gezogen war mitten durch geknechtetes Land, da war auch die Bekümmerniß um die gefährdete Habe dem Hochgefühle gewichen, ihren Herzog als Sieger über die Bedrücker gesehen zu haben. Es war wohl natürlich, daß Ereignisse wie dieses in jener Zeit tiefster Erniedrigung starke Hebel für die Erweckung des deutschen Nationalgefühls wurden; Schill’s ritterliches Ende, Palm’s Hinrichtung sind neben vielen andern, bis zu dem um des Vaterlandes Fall gebrochenen Herzen der Königin Louise hin, die mit Thränen in die Erde gestreute Saat, aus der später die goldene Aehre der Freiheit emporschoß.

In jener Zeit, wo Napoleon aus den bunt zusammengeworfenen Ländern Braunschweig, Hessen, Altmark u. s. w. seinem Bruder Jerôme das neue Königreich Westphalen gegründet hatte, und man von dem im Herzen Deutschlands etablirten französischen Hofe aus sich bemühete, das deutsche Volk nach französischem Muster zuzustutzen, war es in dem Dorfe Oelper besonders der Ackermann Oppermann, der voll Haß gegen den Usurpator deutsche Gesinnung und Gesittung zu erhalten und zu fördern suchte. Schon damals standen die Einwohner des durch Hopfen- und Tabaks-Cultur bekannten Dorfes in dem Rufe intelligenter, betriebsamer Leute; das rege Interesse, welches Herzog Karl Wilhelm Ferdinand an den in seinem gesegneten Ländchen neu auftauchenden Erwerbsquellen nahm, brachte sie wiederholt mit dem Herzoge sowie mit seinem Sohne und Nachfolger Friedrich Wilhelm in nähere Berührung. Noch kurz vor Beginn des Gefechtes bei Oelper war Letzterer mit freundlichem Gruße an den vor seinem Gehöfte stehenden Oppermann herangeritten und hatte ihn gebeten, einen alten Mann, Namens Hagen, der sich dem Corps des Herzogs bei Zittau angeschlossen, aber seiner Schwäche wegen zurückbleiben mußte, in sein Haus zu nehmen; – Oppermann that es mit Freuden, und Hagen, ein treuherziger, patriotisch gesinnter Mann, wurde bald eingeführt in den kleinen Kreis der Gleichgesinnten, für die Oppermann’s Haus der Sammelplatz ihrer geheimen Zusammenkünfte war. Wenn dann die Männer Abends im sorgfältig verrammelten Stübchen beisammen saßen, aus den sonst versteckt gehaltenen Pfeifen rauchend, an deren Köpfen das Bild Friedrich Wilhelm’s prangte, dann umstanden die älteren Söhne, Wacht haltend, das Haus, denn es waren schon die Tage gekommen, wo der ehrliche Mann sich des unverfänglichsten Wortes enthalten mußte, wollte er nicht Gefahr laufen, von den Spionen der sanctionirten westphälischen Polizei als „gefährlich“ bezeichnet, in das Castell nach Cassel zu wandern. Aller Vorsicht ohngeachtet war man doch von Seiten jener spionirenden Behörde auf Oppermann und seine Freunde aufmerksam geworden, man kannte ihn als deutschgesinnt, man fahndete auf ihn; es fehlte nur die Handhabe, um den im besten Rufe stehenden Mann anzufassen, – doch auch dafür sollte Rath werden.

Im Spätherbst 1811 brachte Hagen, der in der Zwischenzeit nach Wolfenbüttel übergesiedelt war, einen an ihn mit eingegangenen Brief vom Herzog Friedrich Wilhelm an Oppermann, worin dieser, sich auf die bisher ihm bewiesene Treue und Ergebenheit beziehend, ihm mittheilte, daß er zum Zweck eines nahe bevorstehenden Unternehmens gegen die westphälische Regierung eine große Menge Waffen in Hannöverisch-Münden habe aufkaufen lassen, die er von dort ab durch sichere Leute nach Wolfenbüttel schaffen lassen wolle; Hagen solle sich dort nach einem Manne umsehen, welcher dieselben bis zum bestimmten Tage in Verwahrung nehmen könne, Oppermann möge dagegen für zwei bedeckte vierspännige Ackerwagen sorgen, um darauf die Waffen von Münden abzuholen. Das Nähere solle ihm durch einen Bevollmächtigten, den er binnen Kurzem nach Oelper senden würde, und dem er sich ohne Rückhalt anvertrauen könne, mitgetheilt werden. – Mit Thränen in den Augen drückte der wackere Mann das theuere Schreiben an seine Lippen und sagte rasch entschlossen zu Hagen: „Ich bin zu Allem bereit, sorgt Ihr für den, der die Waffen verwahrt, ich liefere sie dorthin – Gott wird helfen.“ – Kurze Zeit darauf wurde Abends an Oppermann’s Thür gepocht; eine Magd, die geöffnet hatte, brachte ihrem Herrn, der eben mit den Seinen beim Abendessen saß, die Nachricht, daß zwei fremde Herren draußen seien, die ihn zu sprechen wünschten. Dieser, schon daran gewöhnt, Besuche zu empfangen, die von seinen Hausgenossen unerkannt kamen und gingen, ergriff die auf dem Tische stehende Lampe und trat auf die Hausflur hinaus. Hier begrüßte ihn Hagen mit einem Händedruck und wies schweigend auf seinen in der Dunkelheit stehen gebliebenen Begleiter. Mit einem Wink nach diesem führte Oppermann Beide in ein kleines Stübchen des zweiten Stocks, dessen Thür er, nachdem sie eingetreten, sorgfältig verschloß. Der Fremde, den Hagen nun als den in des Herzogs Briefe angekündigten Bevollmächtigten vorstellte, war ein stattlicher Mann in den mittleren Jahren, dessen Manier, trotz der bürgerlichen Kleidung, den ehemaligen Militair verrieth. –

„Ich bin erfreut,“ sagte er mit vertraulichem Tone an Oppermann herantretend, „einen Mann persönlich kennen zu lernen, der durch gleiche Gesinnung meinem Herzen lange schon nahe stand, und der das Vertrauen unseres verehrten fürstlichen Herrn in einem so hohen Grade besitzt. Ich komme, um mit Ihnen die Ausführung eines Dienstes näher zu verabreden, der für des Herzogs Unternehmen augenblicklich von Wichtigkeit ist. – Dieses Unternehmen, an welchem eine große Zahl deutscher Männer sich unter des Herzogs Leitung betheiligen, wird unser Vaterland von dem Joche befreien, unter das es schmachvoll gerathen ist. Hier meine vom Herzog ausgestellte Vollmacht.“ Dabei übergab er Oppermann ein Schriftstück, worin Friedrich Wilhelm alle Diejenigen, welche bei dem Waffentransporte nöthig sein würden, aufforderte, sich dem Inhaber unbedingt anzuvertrauen.

Nachdem Oppermann dem Bevollmächtigten hierauf versichert hatte, daß der Herzog auf ihn rechnen könne und daß er die Wagen stellen werde, richtete dieser die Bitte an ihn, bis zu dem noch näher zu bestimmenden Tage auch 900 Thaler bereit zu halten, die dem Herzoge, der augenblicklich über eine solche Summe nicht verfügen könne, zur Bestreitung der nächsten Kosten bei Auslieferung der Waffen nöthig wären. Auf Oppermann’s Bedenken, daß er selbst nicht im Besitze so vielen baaren Geldes sei, verwies ihn der Fremde an gleichgesinnte Freunde und machte ihn dabei besonders auf den Ackermann und derzeitigen Municipalrath Meier aufmerksam, der ein reicher Mann und guter Patriot sei. Oppermann versprach nun auch die Beschaffung des Geldes, und nachdem der Bevollmächtigte Hagen den Auftrag ertheilt, einen gleichfalls zuverlässigen Mann in Wolfenbüttel auszukundschaften, der die Waffen in Verwahrung nehmen wolle, beiden Männern aber die äußerste Vorsicht und Geheimhaltung anempfohlen hatte, trennten sie sich spät in der Nacht.

Gegen Ende des Monats December waren alle Anstalten zu dem Unternehmen beendet. Hagen hatte einen vor Wolfenbüttel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_424.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)