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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

trat er in Graham’s Gesellschaft vor die Hausthür, wo soeben des Letzteren Pferd vorgeführt ward. Beide Männer drückten sich wie in abgemachter Sache die Hände, der Jüngere schwang sich in den Sattel und sprengte, respektvoll nach den obern Fenstern hinaufgrüßend, davon.

Wenige (engl.) Meilen den Fluß hinauf bildete eine breite Dampffähre die Verbindung zwischen beiden Ufern, und drüben breitete sich die volkreiche Handelsstadt aus, in welcher sich das Commissions- und Speditions-Geschäft von John Winter, sowie das Bank- und Wechselgeschäft von Charles B. Graham befand. Winter hatte sein Besitzthum auf dem diesseitigen Ufer als wenig bedeutende Farm bei seiner Verheirathung überkommen, hatte es erst bei zunehmendem Wohlstande mit dem jetzigen Hause und den verschiedenen Anlagen versehen, die Betreibung der geringen Landwirthschaft aber seinen wenigen Schwarzen unter Obhut seiner Frau überlassen, welche, in einfach ländlichen Verhältnissen erzogen, auch nur hierin ihre Befriedigung fand, und führte so, nach Art eines großen Theils der amerikanischen Geschäftsleute, ein völlig getheiltes Privat- und Geschäftsleben. Mit zunehmender Bedeutung war er bestrebt gewesen, seinen Kindern eine seiner Stellung gemäße Erziehung geben zu lassen; so war Jessy zu einer in fashionabeln Verhältnissen lebenden, verwittweten und kinderlosen Schwester seiner Frau gethan, Carry aber später in einer nahegelegenen sogenannten Akademie erzogen worden, und erst nach Jessy’s Rückkehr, die nach dem Tode der Tante erfolgte, war auch die jüngere Tochter wieder in’s elterliche Haus heimgekehrt. Ein noch jüngerer Sohn litt an fortdauernder Kränklichkeit, die ihn zum steten Gesellschafter der Mutter machte und nur mit großen Unterbrechungen ihn eine der städtischen Schulen besuchen ließ.

Das war es, was die Öffentlichkeit von Winter’s häuslichen Verhältnissen wußte; weniger aber war sie über das eigentliche Wesen seines Geschäftes klar, das ihm in verhältnißmäßig kurzer Zeit ohne sichtbare Glücksumstände zu einem nirgends bezweifelten Reichthume verholfen hatte. Man wußte, daß er viel mit Europa arbeitete; bei alledem waren seine Verschiffungen von kaum nennbarer Bedeutung, und sein gesammtes Comptoir-Personal bestand außer ihm nur in einem fast tauben Buchhalter und dem überall gekannten „alten Henderson“, einer Art Schreiber, der indessen ebenso Collector und Ausläufer für das Geschäft, als Factotum für Winter’s Privat-Angelegenheiten vorzustellen schien. Mit dem Buchhalter unter der Hand zu verkehren, war seines Gehörfehlers wegen kaum thunlich; Henderson aber zog bei jeder forschenden Frage eine fast kindliche Miene und sagte: „Da müssen Sie sich an Mr. Winter selbst wenden, ich weiß von nichts und thue nur, was mir aufgetragen wird!“ und so hatte die ältere Geschäftswelt sich an die darbietenden Unklarheiten gewöhnen müssen; war es doch genug, daß Winter selbst in kritischen Zeiten immer „gut wie Gold“ war; die jüngere Welt indessen zerbrach sich mit derlei Scrupeln noch weniger den Kopf, feierte die beiden Mädchen als Schönheiten und gute Partien, erklärte Jessy’s bekannte Sprödigkeit und eigenthümlichen Stolz mit dem doppelten Reichthume, welchen sie durch das Vermögen der Tante besaß, und drängte sich zu den einzelnen „Parties“, welche Winter im Laufe jeden Jahres in Oakhill gab.

Es war acht Tage nach der letztbeschriebenen Scene. In einer der Straßen, welche nur zu Privatwohnungen der kaufmännischen Aristokratie dienen und mit ihren grünumbuschten, von leichten Veranda’s gezierten Häusern eine Doppelreihe geschmackvoller Villen darstellen, standen in einem offenen, mit Orangerien und frischen Blumen geschmückten Eingänge ein alter, noch ungebeugter Mann und eine hellgebräunte Mulattin, Beide sichtlich in Erwartung von etwas Kommendem. „Und ich sage Ihnen, Mister, daß noch Niemand so etwas gesehen hat,“ sprach die Letztere wie in Fortsetzung einer begonnenen Rede, „und wenn Sie in der Logis-Einrichtung nicht eine verkehrte Wirthschaft angestellt haben, Sir, so will ich zeitlebens Baumwolle lesen!“

„Glaub’s, daß Ihnen als junge Frau die Einrichtung nicht behagen würde,“ nickte der Alte mit einem Seitenblick voll stillen Humors, „es wird aber doch so bleiben, sie hat einmal ihre Launen, wie Mr. Winter sagt.“

„Sie hat nicht ihre Launen, Mr. Henderson, und Sie sollten das am wenigsten nachsprechen!“ erwiderte die Farbige eifrig, „ich weiß noch ganz gut die Zeit, wo sie Ihnen oft ihren einzigen Vierteldollar zugesteckt hat, wenn Ihnen das Geld für Kautabak ausgegangen war –“

„Und Sie ihn mir wieder abjagen wollten!“ unterbrach sie der Andere mit ungetrübter Laune.

„Nun ja, Miß Jessy und ich waren eben noch Kinder!“ lachte das Mädchen, während ein reines Roth in ihre bräunlichen Wangen stieg; „ich möchte aber nur wissen, wer von üblen Launen bei ihr sprechen kann, wenn er es nicht eben nur darauf angelegt hat. Ich bin hier im freien Staate und könnte gehen, wohin ich wollte, aber ich möchte lieber drüben über dem Flusse mit auf dem Felde arbeiten, wenn’s sein müßte, als von ihr gehen!“

„Well, Flora,“ sagte Henderson mit plötzlich ernst werdendem Gesichte und gedämpfter Stimme, „wenn Sie sie denn lieb haben, so werden Sie gut thun, die Augen zuzumachen für Alles, was Sie hier sehen sollten, und so stumm zu werden, wie unser Buchhalter taub ist!“ Er nickte ihr mit einem bedeutungsvollen Blicke zu, und das Gesicht der Mulattin hob sich mit dem aufsteigenden Ausdrucke gespannter Neugierde.

„Sie meinen doch nicht, daß das auf die jetzige Art wirklicher Ernst werden soll?“ fragte sie halblaut und mit weit geöffneten Augen.

„Ich meine nichts und sage nichts!“ erwiderte er; „was hier oben Besonderes eingerichtet worden, ist auf ihre bestimmte Anordnung geschehen, und das ist Alles! Ich weiß aber, daß eine einzige unrechte Bemerkung schon mehr Unheil angerichtet hat, als sich jemals hat wieder gut machen lassen, und daß ein schweigsamer Mund noch niemals gefehlt hat!“

„Aber die doppelten Schlösser an ihren Zimmern, Henderson! er wird ja doch ihr Mann!“ flüsterte die Farbige.

„Sie sind’s nicht, die sich verheirathet!“ nickte der Alte entschieden, während er dennoch einen Seitenblick voll leichten Spottes nicht zurückhalten konnte; Flora indessen sah mit erregten Augen in’s Freie hinaus, und eine ganze Welt voll neuer Gedanken schien in ihr zu entstehen.

Da rasselte eine Equipage die Straße herab und hielt vor dem Hause; rasch herzueilend öffnete der Alte den Schlag, und Graham in sorgfältiger, steifer Toilette sprang heraus; ehe er sich aber noch umdrehen konnte, um die ihm folgende Dame zu unterstützen, hatte diese bereits den Boden erreicht und wandte den Kopf wieder nach dem Innern des Wagens. Es war Jessy in einfachster Straßentoilette. „Ich danke Dir herzlich für Deine Begleitung, Vater, aber damit sei es für alles Weitere genug!“ sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit. „Ich bedarf der Ruhe und möchte vor allen Dingen allein sein. Adieu, Carry!“ setzte sie in weicherem Tone hinzu, und in ausbreitendem Schluchzen lag die jüngere Schwester an ihrem Halse. „Besuche mich recht bald und recht oft!“ flüsterte sie dieser zu, als scheue sie sich, die Bewegung in ihrer Stimme laut werden zu lassen; dann aber riß sie sich kurz aus der Umarmung und bot mit einem kalten, ernsten Ausblick dem wortlos harrenden Graham ihren Arm.

Die Equipage rollte davon, und das Paar schritt dem Hause zu.

„Haben Sie die Decoration hier besorgt?“ wandte sie sich beim Erblicken des geschmückten Eingangs nach dem seitwärts folgenden Henderson, und ein halbes Unbehagen ging über ihr Gesicht.

„Es ist eine Aufmerksamkeit meiner Freunde, Jessy,“ versetzte Graham, und es war, als unterdrücke er ein Beben seines Tons; „es konnte Niemand glauben, daß nicht heute ein Tag des Glücks für mich sei!“

Sie antwortete nicht und reichte der ihr entgegenkommenden Mulattin die Hand, auf welche diese ihre Lippen drückte. „Laß das, Flora, und denke, ich sei heute nichts Anderes, als ich jemals war!“ wehrte sie leicht, „gehe voran nach meinen Zimmern, ich werde gleich selbst dort sein!“

Sie hatten die elegante „Halle“ betreten, und Jessy wandte sich mit einer bestimmten Bewegung der ersten Thüre zu, einen der beiden reich ausgestatteten Parlors öffnend, welche das Erdgeschoß des Hauses einnahmen. Sie machte sich nach ihrem Eintritte leicht von dem Arme ihres Begleiters los und hob mit ernster Ruhe den Kopf. „Haben Sie noch irgend einen Wunsch gegen mich auszusprechen, Sir?“ fragte sie. „Wo nicht, so wird das Abendessen zu rechter Zeit bereit sein, und ich werde Sie dabei erwarten!“

„Ich habe allerdings den Wunsch, einige Worte mit Ihnen zu reden!“ erwiderte er, sich nach der offengebliebenen Thür wendend und diese schließend. Dann zog er einen Stuhl herbei und deutete nach dem nächsten Fauteuil. „Setzen Sie sich einige Minuten, Jessy!“

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