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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 26.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Die Thür hatte sich während der letzten Worte geöffnet und den Hausherrn eingelassen, der jetzt mit einem unmuthigen Blick nach der Sprecherin herantrat. „Laß uns allein, Carry,“ sagte er, „ich habe mit Deiner Schwester zu reden.“

„Ich weiß schon, Vater, aber ich wollte, ich hätte Dir meine Meinung zu sagen!“ erwiderte die Angeredete und eilte, mit einer kräftigen Kopfbewegung das Haar von der Stirn werfend, aus dem Zimmer.

„Ich danke Dir, meine Tochter, für die kurze Erledigung dieses nothwendig gewordenen Schrittes,“ sagte jetzt Winter, dem Mädchen die Hand entgegenstreckend, „ich wußte, daß ich mich in Deinem gesunden Sinne nicht verrechnen konnte, und die Zukunft wird Dir die vollste Genugthuung geben!“

Jessy sah ihm mit einem völlig theilnahmlosen Blicke in die Augen, und eine steife, eiskalte Hand legte sich auf die seinige; er schien indessen keins dieser Zeichen zu bemerken und fuhr angelegentlich fort: „Wir haben jetzt über das nächst Vorliegende zu reden. Mr. Graham als stricter Geschäftsmann will natürlich nicht eher zu dem beabsichtigten Arrangement mit mir die Hand bieten, ehe nicht durch Eueren Heiraths-Contract auch die nöthigen Bestimmungen über Dein Vermögen getroffen worden sind. Indessen liegen einige so bedeutende Geschäfte in meinen Händen, in welche ich ihn vor unserer Vereinigung nicht einweihen mag, daß meine Mittel nicht dafür ausreichen und der Vortheil mir so aus den Fingern schlüpfen müßte, wenn ich nicht in der kürzesten Zeit die nöthigen Baarfonds dafür anschaffen kann. Und doch wäre der Gewinn ein so bedeutender Anfang zu meiner Aufhülfe, Jessy! Ich sehe nun keinen vernünftigen Grund, Kind, warum der einmal beschlossene Schritt nicht auch in der kürzesten Zeit ausgeführt und Eure Hochzeit in den nächsten Tagen gefeiert werden soll – unsere Freunde erwarten seit Langem nichts Anderes. Es würde Dir völlig überlassen bleiben, ob eine geräuschvolle Fête oder eine stille Feier in der Familie den Tag bezeichnen soll; da aber Graham für die Einrichtung Eures künftigen Hauses längere Zeit gebrauchen dürfte, so ist er völlig damit einverstanden, daß Ihr die ersten Wochen hier in unserem Hause lebt. Das obere große Zimmer würde mit Leichtigkeit zu Eurem Schlafzimmer und das anstoßende als Sitting-Room eingerichtet werden; vielleicht dürfte Dir das sogar ein willkommener Uebergang in die neuen Verhältnisse sein –“

Ein energisches Kopfschütteln des Mädchens unterbrach seine Rede. Sie stand bleich, aber hochaufgerichtet vor ihm, und ihr Auge hatte sein volles Feuer wieder gewonnen. „Hat Mr. Graham seine ausdrückliche Zustimmung zu diesem Arrangement gegeben?“ fragte sie mit einer Bestimmtheit, welche den Alten die Augen weit öffnen machte.

„Ausdrücklich – weshalb gerade ausdrücklich?“ erwiderte er; „wie jeder Bräutigam hat er bereitwillig erklärt, daß er Allem zustimme, was seiner Lady recht sei!“

„So muß ich Ihnen Eins sagen, Sir!“ versetze sie, und ihre Stimme nahm einen harten Klang an, während es leise um ihren Mund fast wie Verachtung zuckte. „Ich bringe das Opfer meines ganzen Lebens und bringe es der Zukunft derer, die mir am nächsten stehen – aber nicht eines augenblicklichen Vortheils Ihres Geschäfts willen, Sir. Sie scheinen das, was ich zu thun bereit bin, völlig zu verkennen, sonst würde Ihnen das einfache Gefühl den nöthigen Zartsinn gegen mich gelehrt haben; Sie scheinen meine Opferfähigkeit als gute Chance zu betrachten, aus welcher möglichst schnell der größtmöglichste Gewinn gezogen werden muß, und Sie scheinen mich noch zuletzt recht gründlich lehren zu wollen, daß mein früheres Urtheil – selbst in dem Verhältniß des Vaters zur Tochter– keine Ausnahme erleidet!“ Ihre Augen verdunkelten sich, und eine plötzliche Aufregung schien sie übermannen zu wollen. Aber sie kämpfte kräftig die augenblickliche Schwäche nieder. „Was ich zu thun versprochen habe, werde ich in meiner Weise thun, Sir!“ fuhr sie fort, „und sollte Ihnen oder Mr. Graham eine meiner Anordnungen nicht conveniren, so bedarf es eben nur eines Wortes, um die heutigen Verhandlungen als ungeschehen zu betrachten. Ich werde für unsere künftige Wohnung selbst ein Haus in der Stadt auswählen, wie es meinen Anforderungen entspricht, ich werde mir zwei Zimmer darin nach eigenem Gutdünken einrichten lassen, wogegen Mr. Graham in allem Uebrigen seinem eigenen Geschmacke folgen mag. Dann werde ich den Tag bestimmen, der, ohne die geringste festliche Bezeichnung, mich in meine neue Heimath bringen soll, und liegt Ihnen daran, Sir, diesen Zeitpunkt möglichst nahe zu rücken, so senden Sie mir zu meiner Unterstützung den alten Henderson aus Ihrem Geschäft, von dem ich wenigstens hoffen darf, daß er mir ohne Selbstinteresse oder Nebenzwecke dienen wird!“ Sie neigte sich mit leichter Kürze und verließ, als wolle sie jeder Antwort ausweichen, raschen Schrittes das Zimmer.

Winter sah ihr einen Augenblick mit demselben unbeweglichen Gesichte nach, welches er während der ganzen Rede beibehalten hatte, und strich dann mit der Hand über die Stirn. „Ich bin zu hastig gewesen,“ murmelte er; „indessen ist die Hauptsache in Ordnung, denn sie hält ein gegebenes Wort für heilig, und nach abgeschlossenem Contract mag er suchen, mit ihr fertig zu werden!“ Er schritt langsam hinaus nach der Vorhalle und nach einer Viertelstunde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_401.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)