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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Und ich, Jessy? und Deine beiden Geschwister?“ Es war ein eigenthümlich forschender, sorgenvoller Blick, welcher sich in das Auge des Mädchens senkte; sie sah dem Manne vor sich starr in’s Gesicht, und eine plötzliche Ahnung schien in ihr wach zu werden.

„Sprich ohne Vorbereitung zu mir, Vater, wenn Du mir etwas mitzutheilen hast!“ sagte sie aufmerksam, und der fremde Ton, welcher bisher ihre Rede bezeichnet, schien einem Ausdrucke erwachender Theilnahme Raum geben zu wollen.

Winter nahm einen Stuhl und ließ sich neben der Tochter nieder. „Ich möchte Dir nur beweisen, Jessy,“ begann er gedrückt, seine Stimme dämpfend, „daß Graham es am wenigsten ist, der aus Speculation um Dich wirbt. Wir stehen seit längerer Zeit in freundlicher Geschäftsbeziehung; aber während er mit vielem Glück gearbeitet hat, bin ich in den letzten Jahren zurückgekommen, ohne doch eine Ahnung davon laut werden lassen zu dürfen – ich gestehe Dir sogar, daß es oft nur Graham’s Beistand war, durch den ich mich aus bittern Verlegenheiten befreite. Unsere Geschäftsinteressen nun gehen naturgemäß so Hand in Hand, daß sich der Vortheil einer engern Geschäfts-Vereinigung längst herausgestellt hat; ich war indessen nicht im Stande, ihm so viel baare Mittel, wie sie nur einigermaßen seiner Geldkraft entsprechend gewesen wären, zu bieten. Nimm das einfache Geständniß, daß das Vermögen Deiner Tante, welches an Dich übergegangen ist, schon fast seit Jahresfrist meine einzige Stütze bildet, daß aber selbst dies der ersten neuen Verwickelung, die mich aus Mangel an disponiblen Fonds treffen könnte, nicht gewachsen ist. Trotz dieser Lage, in die mich nur eine Verkettung einzelner Unglücksfälle gebracht, erklärte mir Bennet bei einer offenen gegenseitigen Aussprache, daß ich und meine Erfahrungen ihm genügen würden, wenn nur Dein Vermögen dem gemeinschaftlichen Geschäfte erhalten bliebe, daß, wenn er Dich als Frau gewinnen könne, er mir den vollen Theil eines gleichberechtigten Partners einräumen wolle. Das hieß also: ein neuer sicherer Boden gegen einen Ruin, der über kurz oder lang, aber sicher auf mich einbrechen mußte. Ich hätte Dir diese Dinge schon längst mittheilen können, Jessy,“ fuhr er zu Boden blickend fort, „hätte Dir sagen können, daß es mir in den beabsichtigten Verhältnissen eine Kleinigkeit werden müßte, Verlorenes wieder zu erwerben und vor Allem die Zukunft Deiner andern Geschwister, die jetzt meine schwerste Sorge ist, sicher zu stellen – wenn ich überhaupt eine Einwirkung auf Dich hätte ausüben wollen, wenn ich nicht gehofft hätte, daß Alles auf natürlichem Wege sich zum Guten gestalten würde. Jetzt, wo von der nächsten Viertelstunde die ganze Zukunft unserer Familie abhängt, habe ich freilich sprechen müssen; dennoch wäre es wohl nicht einmal geschehen, wenn ich nicht gegen Graham bestimmte Hoffnungen geäußert, die ich geglaubt hatte aus Deiner Haltung gegen ihn schöpfen zu dürfen.“

Das Mädchen hatte den ruhigen, festen Blick in seinen Zügen ruhen lassen, und nur die zeitweilige Aenderung ihrer Farbe deutete den Wechsel ihrer Empfindungen an. „Das ist der Dollar!“ sagte sie jetzt halblaut, wie mehr zu sich selbst redend, und erhob sich rasch, nach dem Fenster tretend und den Blick in die abendlich beleuchtete Landschaft des jenseitigen Ufers senkend. Winter sah ihr mit ängstlich gespanntem Blicke nach.

Als sie nach längerer Zeit sich wieder zurückwandte, war ihr Gesicht auffallend bleich, und der Glanz der tiefblauen Augen schien völlig erstorben. „Und Du schwörst mir beim allmächtigen Gott, Vater,“ sagte sie, langsam auf den Wartenden zutretend, der sich bei ihrem Nahen erhob, „daß an meinem jetzigen Entschlusse die Zukunft meiner Geschwister wie Deine eigene hängt? daß Du nicht die Verhältnisse zu einem bestimmten Zwecke anders gefärbt hast, als sie der strengen Wahrheit nach bestehen?“

„Ich habe Dir die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt, meine Tochter,“ erwiderte er, ihr die Hand entgegenstreckend.

Sie faßte eine Secunde lang seine Finger und sah ihm starr in die Augen, dann senkte sie den Kopf. „Ich kann Dir meine ganze Zukunft opfern, Vater,“ sagte sie, als liege ein innerer Druck auf ihrer Summe, „aber nicht mich selbst – es wäre Hochverrath gegen das heiligste innere Gesetz des Weibes, wäre Selbstentwürdigung, und ich könnte dann nur auch sofort mit meinem Leben abschließen. Aber es wird auch dessen nicht bedürfen, es handelt sich hier nur um den Dollar und das Geschäft. Wenn Mr. Graham kommt, so sende ihn mir – bis dahin aber laß mich allein!“

„Ich weiß nicht, ob ich Dich recht verstehe, Kind,“ versetzte er zögernd, „es handelt sich nicht um das Opfer Deines Vermögens, das ich unter keinen Umständen und nicht in der dringendsten Gefahr annehmen würde; es handelt sich um ein Band, das naturgemäß die Verhältnisse ordnen würde, und wohl auch zugleich um eine Genugthuung Graham’s der Welt gegenüber!“

„Er soll seine Genugthuung der Welt gegenüber haben!“ nickte sie, „laß mich aber jetzt allein mit mir selbst, Vater!“

Er schüttelte leise den Kopf und wandte sich nach dem Ausgange; als sich aber die Thür hinter ihm schloß, sank das Mädchen auf den nächsten Sitz und drückte das Gesicht in die Polster der Lehne.

Auf dem Vorplätze ward im gleichen Augenblick das Geräusch eines herangaloppirenden Pferdes laut, und Winter’s Stimme trieb einen der zum Dienste im Hause bestimmten Schwarzen herbei.

Zehn Minuten darauf meldete ein hellfarbiges Mulattenmädchen „Mr. Graham!“

Jessy richtete sich langsam auf, warf einen Blick in den Spiegel und strich ihr Haar glatt; ein Hauch von Röthe kam wieder auf ihre Wangen, und ein heller Strahl, wie die Sicherheit eines klaren Entschlusses, belebte ihr Auge. Sich leicht auf die Lehne eines Stuhles stützend, blieb sie stehen, bis der Angemeldete in der Thür erschien, einen Blick voll halben Forschens in ihre ruhigen Züge warf und dann rasch auf sie zutrat. Sein Aeußeres ließ deutlich die besondere Absicht seines Besuchs erkennen; das duftende Haar zeigte das Werk des Friseurs; der dünne Backenbart war sorgfältig gekräuselt, der steif emporstehende Halskragen wie das feingefältelte Hemd von untadelhafter Weiße und der übrige Anzug sichtlich erst kurze Zeit aus der Hand des Schneiders.

„Ihr Vater sagt mir, Miß Jessy,“ begann er, den Kopf neigend, während die steifen Züge den Versuch zum Ausdrucke eines weichen Gefühls zu machen schienen, „daß ich endlich eine klare Frage an Sie richten und auf eine bestimmte Antwort rechnen dürfe – ist das so, Jessy?“

Ihr Auge begegnete voll seinem Blicke, aber sie bog leicht den Oberkörper zurück, als wolle sie einen Zoll mehr Raum zwischen sich und ihren Freier setzen, und deutete aus den nächsten Sessel. „Es bedarf wohl Ihrer Frage nicht mehr, Sie, mein Vater hat mir bereits das Nöthige mitgetheilt,“ sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit, den Armstuhl neben sich einnehmend. „Soweit ich blicken kann, handelt es sich um ein geschäftliches Interesse, um eine Vereinigung zwischen Ihnen und meinem Vater, zu welcher ich, mit dem was ich besitze, ein natürlich verbindendes Glied bilden soll –“

„Aber, Miß Jessy, wer wird denn in diesem Augenblicke vom geschäftlichen Interesse reden?“ unterbrach er sie eifrig, „Sie haben mir zum ersten Male vergönnt, mich gegen Sie auszusprechen, und so lassen Sie mich doch auch dieser Stunde ihr Recht geben!“

Ein Ausdruck von eisiger Kalte legte sich plötzlich über ihr Gesicht. „Ich wünschte, Mr. Graham, Sie ließen mich ruhig ausreden,“ erwiderte sie; „wie wir außergeschäftlich zu einander stehen, wird Ihnen wohl Ihr eigenes Gefühl längst gesagt haben, und ich habe auch jetzt keine Veranlassung, ein anderes inneres Verhältniß zwischen uns anzubahnen!“

Er hob den Kopf und blickte sie wie in einer plötzlichen Verwirrung aller seiner Vorstellungen an, sie aber fuhr ruhig fort: „Ich habe meinem Vater gesagt, daß er über meine Zukunft verfügen kann, soweit dies nur mit der Würde einer Frau vereinbar ist, und so bin ich auch bereit, Ihnen vor dem Richter meine Hand, die Sie gewünscht, und damit die freie Verwaltung meines Vermögens zu geben, betrachte dies aber als einen reinen Geschäftsact, Sir, der Ihnen nur die Rechte über meine Person verleiht, welche der Hausherr der Öffentlichkeit gegenüber auf sein Weib zu beanspruchen hat.“ Ein höheres Roth war bei den letzten Worten in ihre Wangen gestiegen, aber sie schien kräftig jede hemmende Regung ihrer Seele zu unterdrücken. „Wenn es Ihnen um eine derartige Genugthuung in den Augen unseres Gesellschaftskreises zu thun ist, so sollen Sie diese vollständig haben,“ fuhr sie fort, „unser inneres häusliches Leben aber bleibt so völlig getrennt, wie unsere bisherigen Beziehungen zu einander es nur je gewesen sind – ich werde die Vorsteherin Ihres Hauswesens sein, Sie der Verwalter und Nutznießer meines Vermögens; darin liegen die gesammten Interessen, welche uns aneinander binden werden, ausgedrückt. – Und um jeder falschen Erwartung für die Zukunft vorzubeugen,“ setzte sie, wie ihre ganze Kraft aufraffend, hinzu, „sage

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