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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

des Dasitzenden die Weise eines gänzlich verschiedenen Gesellschaftskreises aus, der auch das milde, dunkelblaue Auge nur zu entsprechen schien.

In der Ecke neben dem mit Büchern und Actenheften bedeckten Schreibtische, von welchem eine Solarlampe ihr helles Licht über das behaglich eingerichtete Zimmer ergoß, saß noch ein Dritter der gleichen Altersstufe, aber in merkbar abgetragenem Rocke, hatte beide Ellbogen bequem auf seine Schenkel gestützt und ließ die grauen, schlau blickenden Augen abwechselnd auf den beiden Ersteren ruhen.

„Wenn ich so bestimmte Angaben machen könnte, würde ich Dich nicht erst fragen lassen,“ erwiderte der Angeredete; „es ist Vieles anders geworden, Hugo, seit Du zum letzten Male in Deines Vaters Hause warst, aber die Aenderung läßt sich nur fühlen, ohne daß sie von den äußeren Erscheinungen viel berührt hätte. Der alte Herr sitzt noch gerade wie früher an dem funfzigjährigen Schreibepulte in seinem Arbeitszimmer, Alles selbst einsehend und decretirend, und der alte Mangold trägt die verschiedenen Ordres in derselben dienstlichen Haltung wie immer nach den Büreaux, wie nach der Familienwohnung –“

„Hat einmal aus Versehen einen Ladestock verschluckt, ist aber sonst ein ausgezeichneter Alter!“ warf der Zuhörer neben dem Schreibtische halblaut dazwischen.

„Die Großmama ist nur ein klein wenig älter geworden,“ fuhr der Erstere fort, „strickt indessen noch immer Strümpfe für die Mädchen, obgleich das Hundert für jedes längst voll ist, und sonnt sich an dem Fenster nach dem Garten hinaus, und Deine Schwestern walten im Hause wie früher, Muster von Wirthinnen und echte Damen zu gleicher Zeit – im Aeußeren ist Alles wie sonst, aber es herrscht ein anderer Ton im Hause, Hugo! Wo ich sonst als Dein Freund und Schulcamerad zwanglosen Zutritt hatte, da begegnet mir jetzt ein Etwas, das ich kaum recht mit Worten ausdrücken könnte. Die Dienstleute scheinen Ordre zu haben, die Form wie bei jedem Fremden gegen mich zu beobachten; Dein Vater, wenn ich ihn im Familienkreise treffe, nimmt einen kalthöflichen Ton an; die Großmama wird augenscheinlich ängstlich, wenn ich mich in gewohnter Weise zu ihr setze, scheint ihr freundliches, liebes Herz nicht unterdrücken zu können und sich doch zu fürchten, auf ein vertrauliches Gespräch mit mir einzugehen; Helene ist blässer, als ich sie jemals gekannt, und verschwindet in der Regel, sobald ich mich zeige, und Marie ist die Einzige, welche es zu wagen scheint, sich meiner anzunehmen. Aber es ist ein eigenthümlicher Ernst, mit welchem sie mich behandelt, und sie vermeidet es sichtlich, mit mir allein zu sein, als fürchte sie die Forderung einer Erklärung. Der frühere Umgangskreis ist auch theilweise ein anderer geworden – da ist ein Schuldirector Meßner, der rasch Carriere machen muß, denn er ist ein noch junger Mann; dieser scheint völlig Hausfreund geworden zu sein und es besonders der alten Dame angethan zu haben. Ich habe oft gestrebt, das Eis durch ein Gespräch über Dich zu durchbrechen, und hier war allerdings der einzige Punkt, dessen Berührung Deinen Vater zu einer längern Aussprache vermochte, aber es war niemals eine freundliche. Du lebst ihm zu viel in Gesellschaften, welche Dir unnöthige Depensen auflegen, Du gehst ihm mit Deinen modernen Anschauungen von Welt und Dingen weiter, als es mit geordneten Zuständen verträglich sei; Du treibst ihm überhaupt zu viel wissenschaftliche Allotria, anstatt Dich nur um Dein Assessor-Examen zu kümmern, und seit Du über Dein mütterliches Vermögen verfügen kannst, scheint er an ein absichtliches Lostrennen Deiner Interessen von denen der Familie zu glauben –“

„Und die Großmutter, Fritz – hast Du diese niemals ein Wort zu meinen Gunsten sagen hören?“ unterbrach ihn Hugo Zedwitz, der mit unverwandter Aufmerksamkeit den Worten des Freundes gefolgt war; „die Mädchen mögen es nicht wagen, ich kenne das, aber die alte Frau hat immer ihren Einfluß auf den Vater zu bewahren gewußt und sie hat mich lieb –!“

Der Angeredete schüttelte langsam den Kopf. „Es ist etwas Fremdes in Euere Familie getreten,“ erwiderte er, „das den frühern Geist darin zersetzt hat, über das ich mich aber, der jetzt außerhalb des Kreises gestellt ist, nicht weiter aussprechen mag –“

Hugo trat rasch einen Schritt auf den Redenden zu. „Es gab einmal eine Neigung zwischen Dir und der Helene, Fritz,“ sagte er die Augen zusammenziehend, als habe sich ihm ein leitender Gedanke geboten; „ist irgend etwas für des Mädchens Zukunft im Werke, dem Du im Wege bist? Dann könnte allerdings auch meine Freundschaft für Dich zur neuen Sünde für mich gemacht werden!“

Der Andere war roth wie ein Mädchen geworden. „Laß das aus dem Spiele,“ sagte er, den Blick senkend, „ich bin nur Kaufmann, der keine andere Carriere machen wird, als sie meines Vaters Geschäft bietet, und so würde ich für Deinen Vater am wenigsten ein so großes Hinderniß für einen seiner Pläne bieten, daß er Dir unsere Cameradschaft entgelten ließe. Wenn ich von mir sprach, so geschah es eben nur, um Dir ein Bild von dem veränderten Tone in Euerem Hause zu geben, der sich Dir in der scharfen Beurtheilung Deines Lebens und Thuns gezeigt hat – auch Deine Schweizer Reise wird eine Extravaganz genannt, und selbst die Großmama mag darin nicht Deine Partie nehmen –“

„Und nun möchte ich auch einmal ein Wort sagen,“ begann jetzt der Dritte, sich rasch aufsetzend. „Wenn mein Vater auch nur der Büreau-Diener Mangold ist und ich vom arbeitslosen Tischler aus purer Gnade zum Hausknecht und Factotum des Herrn Referendars avancirt worden bin –“

„Sei kein Esel, Heinrich!“ unterbrach ihn Hugo.

„Danke schön, habe aber schon eine ganze Sammlung von dergleichen Ehrenzeichen!“ nickte der Tischler gleichmüthig. „Also, wenn ich auch, und so weiter, so sind wir doch alle Drei aus einer Stadt und Schulkameraden, und ich gehöre wenigstens hier in Berlin zur Familie. Fritz Römer, wie er hier sitzt, dreht noch immer den Kopf weg, wenn er Andere auf den Kirschbaum steigen sieht, und wischt sich lüstern den Mund, wenn nichts mehr zu holen ist. Wo es so eine Großmutter giebt – Gott segne sie! sie hat mir manches Butterbrod und manchen Dreier zugesteckt! – da sollte mir Niemand in’s warme Nest kommen, das mir offen wäre. Nebenbei freilich gehört für hartes Holz ein scharfes Stemmeisen, und so ein alter Herr mit starrem Kopfe kümmert sich wenig um das, was immer bescheiden vor seinem Tritte ausweicht. Es ist doch gar kein so großer Unterschied zwischen einer Geheimrathsstelle und einem gehörigen Kaufmannsgeschäfte! – Das ist indessen eine Sache, die mich nichts angeht,“ unterbrach er sich, als Römer sich unbehaglich zu bewegen begann. „Wenn aber der alte Haken zwischen Vater und Sohn jetzt immer schärfer wird, ohne daß etwas Unrechtes geschehen ist, so muß doch irgendwie ein heimlicher Schleifergeselle dahinter sitzen, dem ein richtiger Freund geschwind genug auf die Finger kommen müßte. Da ist nun die Schweizer Reise!“ fuhr er rasch fort, als der Kaufmann den Kopf wie zu einer Unterbrechung hob. „Wenn Du keine dummen Streiche machst und kein Geld von mir verlangst, so thue, was Du willst, Heinrich! sagte mein Vater, und anders könnte auch ein Geheimrath nicht sprechen, wenn ihm nicht ein besonderer Floh in’s Ohr gesetzt wäre. Von den moralischen Folgen dieser Reise, daß jetzt selbst die niedlichste Schürze keine Gnade mehr vor unseren Augen findet, daß es sich nur noch um Prinzessinnen handeln kann, wenn einmal das zweite Geschlecht in Frage kommen soll – davon läßt sich zu Hause Niemand etwas träumen –“

„Heinrich –!“

„Sei kein Esel! weiß schon! Ich habe aber doch erst vorgestern mit eigenen Augen gesehen,“ wandte er sich wieder an Römer, „daß er wie vom Schlage getroffen in eine königliche Equipage hineinstarrte, mir in den Rockkragen fuhr, als wäre der Schneidercredit etwas ganz Ordinäres, und weiß wie sein Hemdenkragen, sagte: „Das ist sie, oder ich bin toll!“ Und umsonst habe ich den Anzug für die heutige Soiree auch nicht zweimal putzen müssen! Nun ja, das geht mich wieder nichts an!“ fuhr er fort, als der Referendar mit einer Bewegung der Ungeduld seinen Gang wieder aufnahm, „bei einer so unschädlichen Lebensweise aber wäre es kaum zu verstehen, was dem alten Herrn im Kopf steckt, wenn nicht der besagte Schleifergeselle wäre, und ein rechter Freund würde dem trotz aller Bescheidenheit das Handwerk legen. Damit bin ich fertig!“

„Sieh, Fritz,“ begann jetzt Hugo vor dem Kaufmann stehen bleibend und schnitt damit sichtlich eine beabsichtigte Frage desselben ab, „es kann kaum ein Sohn seinen Vater mehr lieben, als ich den meinen, und mag auch in früherer Zeit durch meine Schuld manche Verstimmung zwischen uns geschaffen worden sein, so ist doch jetzt nirgends eine Ursache dafür vorhanden. Er kann nicht verlangen, daß ich in allen Dingen dieselben Anschauungen mit ihm theile, kann nicht so viel Unrecht in einzelnen Nebenstudien

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_339.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)