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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

durch Haberfelder zu treiben, wobei der Verführer gezwungen war, an der Execution thätigen Antheil zu nehmen etc. Dagegen erhielt ich von vielen alten Gebirgsbewohnern die Versicherung, daß die Benennung dieser altbaierischen Vehme einfach daher rühre, daß bei ihnen die letzte Einheimsung in Haber bestehe, und daß, ehe das Haberfeld leer ist, das Sittengericht ohne Beschädigung der Feldfrüchte nicht vollzogen werden könnte. Was übrigens die Organisation dieses Geheimbundes betrifft, so weiß man gerüchtweise, daß im Gebirge mehrere Haberfeldmeister aufgestellt sind, die alle ihre eigenen Untergebenen haben. Jeder Eintretende bezahlt, der Sage nach, drei Gulden in die gemeinsame Casse und verpflichtet sich, zu jeder Minute dem Rufe des Meisters zu folgen.

Der Ort, wo Haberfeld getrieben werden soll, sowie der Tag oder resp. die Nacht der Vollführung dieses Actes, werden natürlich von den Eingeweihten immer möglichst geheim gehalten. Trotz alledem sind die Bewohner, denen ein solches Gericht zugedacht ist, nicht immer unvorbereitet auf die Dinge, die da kommen sollen; es gehen demselben gewöhnlich allerlei andeutende Sagen vorher, welche das Eintreten des Ereignisses früher oder später mit ziemlicher Gewißheit vermuthen lassen. Manchmal gehen dem Acte sogar Drohbriefe an diejenigen voraus, deren lasterhaftes Leben zur Kenntniß des Geheimbundes gelangt ist. Ich selbst habe einst ein solches Warnungsschreiben gesehen, in welchem einem Landwirthe erklärt wurde, daß, wenn er sein Laster „nicht lasse bleib’n“, so müsse er „halt kommen zum Haberfeldtreib’n.“ Und dieser Drohung folgte wirklich nach Verlauf eines Jahres die Strafe. –

Die Zuzüge der Treiber nach einem ausersehenen Punkte geschehen außerordentlich rasch und fast ganz unbemerkt, und ein gleichzeitiges Eintreffen, ungefähr eine Stunde vor Mitternacht, scheint eine Hauptaufgabe für alle Theilnehmer zu sein; denn plötzlich, wie durch Zauberschlag, wimmelt der ganze betroffene Ort von diesen Zugvögeln, die oft an dreihundert und noch mehr Köpfe zählen. Während nun die größere Masse Halt macht, ist eine Abtheilung damit beschäftigt, umher zu spüren, ob nicht irgend Gensd’armerie oder sonst Feindliches auf der Lauer stehe. Ein anderer Trupp hat die Aufgabe, die Bewohner des Orts zu wecken und mit dem, was geschehen wird, bekannt zu machen, namentlich werden bei dieser Gelegenheit die erwachsenen Bewohner ermahnt, sich ruhig zu verhalten, das Vieh sorgfältig zu verwahren, damit Unglück verhütet werde, und schließlich erhalten sie die Einladung, ganz furchtlos dem Rügegerichte zuzuhören. Kommen sie an das Fenster eines Vervehmten, so setzen sie manchmal noch bei: „Du, Du bist besonders eingeladen zu erscheinen, denn heute werden Deine saubern Stückl bekannt gegeben.“ Daß aber solche Personen an das Fenster kommen müssen und das Haus nicht verlassen dürfen, oder, wie andere Berichte sagen, gar gezwungen werden, im Hemde außerhalb des Hauses zu erscheinen, beruht offenbar auf Irrthum, und ich zweifle sogar daran, daß solches Verfahren je einmal in frühern Zeiten stattgefunden habe; vielmehr glaube ich, daß derlei Berichte, die sich ohnehin häufig widersprechen, in das Reich der Erdichtung gehören.

Nachdem die Bewohner geweckt sind, schaaren sich die unheimlichen Sittenrichter wieder alle zusammen, und nun beginnt der Zug, in dessen Mitte immer viele Träger von gesammelten Lärminstrumenten bemerkt werden, nach dem Richtplatze. Gewöhnlich ist dies ein Hügel oder sonst ein erhabener Punkt außerhalb des Ortes, von wo aus jedes Wort weithin deutlich verstanden werden kann. Dort verschaffen sich zunächst die Haberfeldtreiber durch Ablesung aller Namen der Theilnehmer, die übrigens alle fingirt sind, die Gewißheit, daß Niemand fehle, was die Aufgerufenen[WS 1] durch ein kräftiges „Hier!“ bekunden. Und welche hohe Namen und Würden werden da nicht gehört! – Zuerst stets Kaiser Karl, dann Prinzen, Grafen, hohe und niedere Beamte, Pfarrer etc., und – sonderbarer Weise auch stets der baierische Hiesel[1], der unstreitig von den Treibern als ein Mann betrachtet wird, welcher seiner Zeit auch eine Art Volksjustiz übte. Während man hierauf eiligst ringsum alle Straßen, Wege, Brücken und Stege mit starken Wachen besetzt, um für möglichste Sicherheit zu sorgen, bildet die Masse ein Viereck oder auch oft einen Kreis, in dessen Mitte sich die Rednerbühne, die Lärmwerkzeuge und die Leute, die sie handhaben, so wie die Haberfeldmeister befinden. – Eine Menge Schüsse in der Runde verkünden alsdann, daß Alles in Ordnung ist und daß das Gericht beginnt. – Mehrere angezündete Laternen werden jetzt sichtbar. Der Redner hat bereits seinen Platz eingenommen. Durch einen kurzen Prolog verkündet er den Hörern vorerst die wichtigen Pflichten und christlichen Absichten der Haberfeldtreiber, daß sie nämlich gekommen seien, das Aergerniß öffentlich zu rügen und auszurotten etc. Dann verlangt er das Protokoll von einem der Umstehenden, worauf ihm dieser eine Papierrolle überreicht. Beim Laternenschein wird nun das Sündenregister desjenigen, der sich des Gerichtes am meisten schuldig gemacht hat, mit lauter Stimme in Knittelreimen abgelesen, nicht abgesungen, wie bisweilen behauptet wurde. Ist der erste Sünder abgefertigt, so geht ein geradezu unbeschreiblicher Spectakel mit den ungeheuerlichsten Lärminstrumenten los. Man hört das Geklapper von Windmühlen, das Aufeinanderprallen von Bretern, das knatternde Geräusch von Handrätschen, wie sie ehemals bei Treibjagden benutzt wurden, das Dreschen auf ästigen Läden, das Rasseln von Ketten, Schellengeläute, Kesselgeklirr, Mißtöne durch musikalische Instrumente hervorgebracht, Jauchzen, Geheul, häufige Schüsse etc. In diesen Höllenlärm mischt sich dann auch noch das stürmische Bravo der Zuhörer und die Rufe: „Recht ist dem Schuften geschehen!“ „Dem Lumpen gehört nicht mehr!“ „Leut’, habt’s gehört, was der Spitzbube alles treibt!“ etc. Hierbei ereignet sich manche Scene, die noch besondere Heiterkeit erregt. So z. B. stand ein Mann in meiner Nähe, welcher vor Freude hätte bersten mögen, daß sein mißliebiger Nachbar so hart mitgenommen wurde. Allein – o weh! nun kam auch die Reihe an ihn; auch sein Sündenkram wurde zur Schau gegeben, und nun veränderte er plötzlich die Sprache. Anstatt eines Bravo auf die Haberfeldtreiber, rief er unter großem Gelächter der Umstehenden einige Male heftig aus: „Niederschießen soll man die Herrgottss…t!“ und schlich dann davon, und in der Regel folgt solchem Beispiele noch Mancher, der sich im Gewissen nicht so recht sauber fühlt. – Indeß lockt der betäubende Lärm immer mehr Leute aus der Nachbarschaft herbei, die sich oft kaum halb angekleidet unter die Zuhörer mengen.

Nachdem diese Teufelsmusik einige Zeit gedauert, geben schnell auf einander folgende Schüsse das Zeichen zum Schweigen. Alles still – der zweite Act beginnt. „Wen wird’s jetzt treffen?“ flüstert man einander zu, und da äußert denn der Eine: „Gebt Acht, d’ Wirthin und der Landarzt müss’n jetzt in’s Feuer.“ Ein Anderer: „Dem Metzger g’höret halt auch was, dem schlechten Tropf!“ Ein Dritter: „Wenn’s aber die Pfarrerköchin auslass’n, dann soll d’ Haberfeldtreiber gleich –!“ – „Still!“ donnert ein Vierter, „jetzt fangt er wieder ’s Lesen an!“ und die Leute spitzen die Ohren und getrauen sich kaum zu athmen, um ja jedes Wort zu verstehen. – – „O Jemine, meine Nachbarin haben’s jetzt beim Schopf; hab’ mir’s gleich denkt, daß die was z’ schmecken kriegt,“ ließ sich ganz leise eine Stimme in meiner Nähe vernehmen. – Ist nun No. 2 sattsam durchcapitelt, dann fängt das Höllenconcert in voriger Weise wieder von Neuem an, und so wird fortgefahren, bis alle Auserwählten an den Pranger gestellt sind. Als Nachtrag hört man nicht selten noch kurze anzügliche Aeußerungen über Personen, deren Fehler nicht von solchem Belange sind, um in der Hauptliste einen Platz zu finden. So strafte man z. B. einen leichtsinnigen Schuldenmacher mit folgendem Vers:

„Aber N. N. segn’s Dir Gott,
D’ Schulden sind kein Zuckerbrod;
Frißt sie Du nicht – merk’ auf mich!
Steh’ Dir gut, so fress’n’s Dich!“[2]

Verschiedene Anzüglichkeiten werden auch schon beim Wecken der Leute an mancher Behausung vernommen. Sie berühren größtentheils die Fehler des Familienvaters, und da bekommt denn der Eine zu hören:

„Der N., das muß man sag’n,
Der thut auch jeden Pfennig durchjag’n.“

Ein Anderer:

„Der N., das wissen all’ Leut,
Der ist vom Wirthshaus nie weit.“

  1. Matthäus Klostermayer, gewöhnlich der baiersche Hiesel genannt, geb. 3. September 1738 zu Kissing in Baiern, ein berüchtigter Wildschütz und Räuberhauptmann, 1771 in Dillingen hingerichtet.
  2. Befürchtend, daß der altbaierische Dialekt nicht Überall verstanden werden dürfte, habe ich es für besser erachtet, denselben so viel möglich zu vermeiden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aufgerufenenen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_281.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)