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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Banquiers und sonstige reiche Leute, deren Hauptzweck es ist, sich in der schönen Welt zu zeigen und als Affen der Hochgebornen zu figuriren, ebenfalls alljährlich nach Baden rennen, ist wohl selbstverständlich.

Hervorzuheben ist noch der Umstand, daß das Maximum (der höchste Satz, den ein Spieler setzen darf) in Baden auf 6000 Franken festgestellt ist, 2500 weniger als in Wiesbaden, 6500 weniger als in Homburg. Man sieht also, es ist Alles daselbst auf einem viel solideren Fuße eingerichtet, als in den andern Höllen; in diesem solideren Anstrich liegt die größte Gefahr.

Je mehr das Laster sich in seiner natürlichen Gestalt zeigt, desto weniger wird es verlocken; nicht etwa weil die Moral der Menschen sich im Allgemeinen dagegen sträubte – sondern weil der Schönheitssinn verletzt wird, weil die Phantasie nicht mehr wirken kann und weil endlich auch der Schein nicht gut gewahrt werden kann. Dagegen kann es auf Erfolg rechnen, wenn es sich zierlich verhüllt. Dieses Thema weiter auszuführen, ist hier nicht der Platz, aber auf die Spielhöllen angewandt, führt es zu der Folgerung: Homburg und Wiesbaden tragen ein solch anwiderndes Gepräge, daß für Leute von besserer Erziehung fast keine Gefahr vorhanden ist und nur die wilde Leidenschaft dort ihre Zügel schießen läßt. Eine anständige Familie wird in diesen Orten ihre Söhne nicht verweilen lassen, ihre Töchter werden im Curhause – außer etwa im Lesezimmer und bei besonderen Bällen – nie gesehen werden. Aber in Baden können die jungen Marquis und Comtes und Barons, die jungen Banquiers und die Söhne von Rentiers sich gemächlich an den Tisch setzen, denn ihre Eltern spielen ja oft genug daselbst, und hinter denselben sitzt die Schwester manchmal als Zuseherin, und die französischen Journale erzählen uns sogar, daß dieser oder jener Millionär seinem Töchterchen eine Funfhundertfrankennote zugesteckt hat, um ihr auch einmal „l’innocent plaisir“ des Spieles zu gewähren. In dieser Weise gewöhnen sich die jungen Leute an das Spiel, so entfaltet sich in ihnen die Leidenschaft nach und nach, so werden die Menschen zu Spielern. In den oben zuerst angeführten Orten findet man heutzutage fast nur noch die Spieler, welche schon genau wissen, was sie thun und welche nur um des Spieles willen da sind; wenn irgend ein Unglücklicher sich dahin verirrt, wenn er als Opfer der Hölle fällt, wenn er sein Leben endet: dann weiß man wenigstens davon, die deutschen Journale in Frankfurt, Köln u. s. w. erfahren, melden es. Aber in Baden-Baden geht Alles mit einer unglaublichen Ruhe vor sich, viele Leute spielen, weil sie eben da sind, die meisten der Verlierenden schweigen von ihrem Verluste, und von den Opfern, welche dort fallen, wird fast nicht gesprochen. Die größern deutschen Blätter liegen von dort entfernter, als von Homburg und Wiesbaden, Baden ist für manches derselben schon halb französisch; die badischen Blätter können nicht gut die Schande des eigenen Landes aufdecken, und dafür, daß die französischen Journale schweigen – dafür ist gesorgt! Und doch ist Baden-Baden nicht viel ärmer an Katastrophen, als die anderen Orte. So manches junge Ehepaar aus Frankreich kam auf seiner Hochzeitsreise dahin, und – die Mitgift der Frau blieb am Tische zurück. So mancher Beamte, so mancher junge Mann erschoß sich, aber bisher haben deutsche Zeitungen von solchen Fällen nur gelispelt, und erst in neuester Zeit fing die Augsburger Allgemeine Zeitung an, etwas ernster und mit genauer Angabe davon zu reden.

Wenn also das Conversationshaus von Baden-Baden überhaupt in der Gesellschaft wie in der Presse mit viel mehr Rücksicht behandelt wird, als die „Curhäuser“ anderer Orte, so liegt der Grund hiervon in der Geschicklichkeit des Herrn Bénazet und in seinen Verbindungen, die viel, viel höher reichen, als die aller anderen Directoren. Diese kommen mit den großen Herren, die ihr Etablissement besuchen, nur dann in Berührung, wenn dieselben Geld brauchen; Herr Bénazet aber hat es verstanden, sich in gesellschaftlichen Verkehr mit ihnen zu setzen. Die Russen haben ein Casino, eine geschlossene Gesellschaft, deren Mitglieder nur durch Kugelung aufgenommen werden – das Local dieses Casino befindet sich – im Conversationshause; dieses Casino veranstaltet Bälle, und Herr Bénazet öffnet bereitwilligst seine glänzenden Säle. Die hohen deutschen Herrschaften empfangen ihre Gesellschaft zwar nur in ihrem Hause – in früheren Zeiten ließ sich die Prinzessin von Preußen (die jetzige Königin) manche Fremde in einem eigenen Saale des Conversationshauses vorstellen –, aber sie folgen der persönlichen Einladung des Herrn Bénazet zu seinen Theatern und Opern, in denen er quasi die Honneurs macht, und sie schreiben ihm Dankbriefe und beehren ihn mit Geschenken. Das dirigirende Comité für die Wettrennen besteht aus Genossen der höchsten Aristokratie aller Länder, die ihn wie ihres Gleichen behandeln; nur die Engländer zeigen sich noch etwas zurückhaltend und wollen lieber mit Pferdehändlern in ihrem Lande verkehren, als mit dem brillantesten Bankhalter auf dem Continente. Die Franzosen sind entzückt von seinen Jagden, von seinen reitenden Piqueurs und der Eleganz seiner Säle; selbst die Behörden der Stadt unternehmen nichts, ohne ihn zuerst zu befragen, und manche Mitglieder derselben betrachten und behandeln ihn um des vielen Geldes willen, das er den milden Anstalten widmet, als einen Wohlthäter der Menschheit; und nun frage ich: ist Bénazet nicht ein großer Mann, und hat er nicht das Recht, auf die paar dummen deutschen Moralisten mit Hohn herabzublicken? Thun es doch die andern Directoren auch, die in Bildung und feinem Wesen so tief unter ihm stehen; warum soll er es nicht thun, der sich rühmen kann, der liebenswürdigste und generöseste zu sein?

Es ist nun der Moment gekommen, den eigentlichen wunden Fleck zu berühren, die trügerische Decke wegzureißen, welche die Betheiligten, besonders aber die Regierungsleute der Länder, welche Spielbanken toleriren, über diese saubern Einrichtungen zu breiten suchen. Vorerst aber mögen noch einige Andeutungen über die Organisation der Banken im Allgemeinen, sowie über die eigentliche Bedeutung der Spieler (nicht des Spieles) Raum finden, damit manche unwillkürliche Irrthümer, sowie willkürliche, d. h. solche, die absichtlich von den Bankdirectoren und deren Verbündeten verbreitet werden, zur Aufklärung gelangen.

Die drei großen Spieletablissements, von denen wir bisher vorzugsweise gesprochen haben, sind ziemlich auf demselben Fuße eingerichtet. Das von Baden hat zwar weniger Regie-Unkosten, da es nur für sechs Monate offen ist, dafür sind die Ausgaben nach anderer Richtung hin um so bedeutender, die kleinen Opern und Lustspiele, welche von den ersten Mitgliedern der Pariser Bühne dargestellt werden, kosten jedenfalls soviel, daß sie die Wagschale der Ausgaben vielleicht noch schwerer auf Bénazet’s Seite sinken lassen.

Jede Bank hat zwei Spielaufseher für die Trente- und Quarante-Tische, deren Gehalt zwischen 6–8–10,000 Franken und mehr im Jahre variirt, zwei für die Roulette-Tische, die geringer bezahlt werden. Die Croupiers[1] am Trente und Quarante und an der Roulette erhalten von 800–1000 Franken monatlich bis herab auf 300. Da deren an jedem Tische immer vier zu gleicher Zeit beschäftigt sein und mit andern abwechseln müssen (das Spiel dauert ununterbrochen 12–13 Stunden), so kann man die Zahl dieser saubern Helfershelfer auf etwa dreißig annehmen. Die Gesellschaften unterhalten außerdem ihre eigenen Musikkapellen, lassen mitunter auch die Militärmusik aus Mainz oder Rastatt kommen, müssen eine große Menge Diener unterhalten, große Säle auf’s Hellste durch Oellampen beleuchten lassen –; Gas darf man nicht anwenden, weil bei einem plötzlichen zufälligen oder durch Absicht herbeigeführten Verlöschen die Bank beraubt werden könnte. Wenn man also diese Ausgaben nur einigermaßen in’s Auge faßt und noch dabei berechnet, was die Inserate in den Zeitungen, die großen Anschlagzettel u. s. w. kosten müssen, so wird man die Angaben, welche die Employés der Bank selbst machen: daß die Administration täglich 1000 fl. (560 Thaler) braucht, um ihre Unkosten (inclusive Pachtzins) zu decken, eher zu tief als zu hoch gegriffen finden; Homburg muß also 210,000, Wiesbaden und Ems bei 80,000 Thlr. gewinnen, bevor die Actien einen Heller wirkliches Erträgniß liefern können. Nun aber haben die beiden letztgenannten Orte gleich bei der neuen Organisation im Jahre 1857 315,000, sage dreimalhundert fünfzehn tausend Thaler Reingewinn erzielt, wie der Bericht der Administration selbst nachweist; sie muß also, wenn die Unkosten dazu gerechnet werden, in neun Monaten wenigstens 400,000 Thaler gewonnen haben, und wenn man die Dividenden vergleicht, die sie und Homburg jährlich öffentlich als von den Actienbesitzern zu erheben ankündigen, so wird man finden, daß jede Actie genau durchschnittlich 24 Procent im

  1. So heißen die an den Spieltischen angestellten Leute, welche theils am Trente und Quarante die Kartenpoints, an der Roulette die Nummern annonciren, theils die Gewinnste auszuzahlen und die Gelder einzuziehen haben. Das Wort Croupier stammt von croupe, was früher eine Sportel bei der Steuereinnahme. später einen Antheil an einem Geschäfte bedeutete. Die Herren nennen sich aber „employés“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_254.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)